Waldgipfel "Es geht um Verteilungskämpfe"
Zahlreiche Waldexperten fordern, den Wald als Ökosystem zu betrachten, statt auf Plantagenwirtschaft zu setzen. Peter Wohlleben ist einer von ihnen. Vom Waldgipfel erhofft er sich "mehr Demut".
tagesschau.de: Sie beschreiben den Wald als wichtigen "CO2-Staubsauger" - können Sie die Klimaschutzaufgabe des Waldes und der Bäume aus Ihrer Sicht erklären?
Peter Wohlleben: Die Klimaschutzrolle ist zum einen natürlich die CO2-Speicherung, wobei die nicht nur im Holz stattfindet, sondern auch in Blättern, Zweigen und vor allem in der Walderde - im Humus und im Bodenkohlenstoff. Das ist besonders in unbewirtschafteten Wäldern der Fall. Die zweite große Leistung des Waldes, das kann jeder erfahren beim Spazierengehen, das ist die Kühlleistung. Wenn Sie an einem heißen Sommertag in den Wald gehen, kann der im Vergleich zu der Stadt um 15 Grad kühler sein, dadurch dass Bäume massiv Wasser verdunsten, in einem intakten, alten Laubwald.
Eine ausgewachsene Buche kann am Tag 500 Liter Wasser verdunsten. Man denkt immer, das ist der Schatten, der den Wald so kühl macht. Es ist aber genau diese Schwitzleistung der Bäume, die das verursacht, und das ist für uns momentan in Bezug auf den Klimawandel fast noch interessanter, weil das die Spitzentemperaturen dämpft.
tagesschau.de: Der Klimawandel macht dem Wald zu schaffen, Stürme und Trockenheit haben riesige Flächen zerstört. Wie geht es den Bäumen so ganz grundsätzlich?
Wohlleben: Fichte und Kiefer, die hier gepflanzt werden, bräuchten eigentlich eine andere Umgebung. Die gehören ins Gebirge oder in den hohen Norden - dorthin wo es feucht und kalt ist. Alte Laubwälder wurden viel zu stark aufgelichtet, und dadurch geht das kühle Innenklima verloren. Dann sterben auch Buchen und Eichen ab. Das haben wir dieses Jahr ja auch gesehen. Plantagen geht es schlecht, und den allermeisten Laubwaldreservaten geht es gut. Die haben diese letzten beiden Sommer gut überstanden. Das ist ja die positive Botschaft. Es ist nicht hoffnungslos. Nur dort, wo wir uns sehr weit von der Natur entfernt haben, da geht es den Berg runter.
tagesschau.de: Im Bundeslandwirtschaftsministerium wird über Hilfen für schwer geschädigte Wälder beraten. Was erwarten Sie vom "Nationalen Waldgipfel"?
Wohlleben: Ich kann es ganz kurz zusammenfassen: Mehr Demut. Das Bundeslandwirtschaftsministerium ist der Ansicht, man kann den Wald machen. Sie können keinen Wald machen, sie können immer nur Plantagen machen. Ich habe eine Petition an Ministerin Klöckner von siebzig Waldexperten und Wissenschaftlern mitunterschrieben. Unsere Forderung: Weg von der Plantagenwirtschaft und hin zum Wald als Ökosystem. Der Gipfel dreht sich im Kern um Holz und die Holzwirtschaft. Ein Ziel des Gipfels ist es ja, den Holzverbrauch zu steigern. Das ist kontraproduktiv. Wir müssen den Holzbedarf runterfahren, um Platz für Schutzflächen zu schaffen, um Platz für Übergänge zu schaffen.
tagesschau.de: Aber auch die Holzwirtschaft gehört doch nun einmal mit dazu, auch wenn es um den Waldschaden und die Zukunft des Waldes geht. Was sind denn dann konkret Ihre Ideen, die die Politik aus Ihrer Sicht berücksichtigen sollte?
Wohlleben: Die Aufforstungsflächen sich größtenteils selbst wieder bewalden lassen, das wäre eine klare Forderung. Nur im Ausnahmefall wieder durch Pflanzung ergänzen. Das zweite ist, die abgestorbenen Bäume im Wald lassen, weil diese Biomasse ganz wichtig ist für den nächsten jungen Wald. Wir brauchen aus meiner Sicht 20 Prozent Schutzflächen im Wald. 80 Prozent kann man bewirtschaften, aber zwanzig Prozent sollte man sich selbst überlassen und mal schauen, was die Natur da macht.
tagesschau.de: Da würde Ihnen jetzt sicher ein großer Teil der Forst- und Holzwirtschaft entgegnen: Holz und Holzverarbeitung vor allem haben etwas CO2-Einsparendes. So argumentiert ja auch die Bundeslandwirtschaftsministerin.
Wohlleben: In Deutschland hat die Forstwirtschaft die Deutungshoheit, die es so in anderen Ländern nicht gibt. Die staatlichen Forstbehörden, die kontrollieren, sind gleichzeitig die größten Holzverkäufer in Deutschland. In Wirklichkeit ist das auch PR für den Holzverkauf. Das ist ja auch legitim, wenn man Holz verkaufen möchte. Aber nicht, wenn das in einer Hand ist.
tagesschau.de: Sie sagen, Forstwirte müssen wieder zum Waldhüter werden - das klingt nach einem ziemlichen Pauschalurteil. Ist das nicht ein bisschen zu weitgehend?
Wohlleben: Ich kritisiere nicht die einzelnen Kollegen, sondern das System. Als einzelner Förster sind sie in der Pflicht, das Holz zu bewirtschaften und zu ernten. Das System ist fehlerhaft. Überwachungsfunktion und Wirtschaftsfunktion sind wie gesagt in einer Hand. Das habe ich bei uns auch. Deswegen lassen wir uns freiwillig extern kontrollieren.
tagesschau.de: Wenn Ihnen die Veranstaltung, der "Nationale Waldgipfel" von Ministerin Klöckner nicht gefällt, was ist dann Ihr Vorschlag? Wie kann man die unterschiedlichen Interessen zusammenbringen?
Wohlleben: Da habe ich eine Vision, die ich seit mehreren Jahren vertrete: Mit mehr Empathie und mit mehr Emotion an das Thema dranzugehen und weniger Sachlichkeit. Wir fokussieren uns immer noch auf das Materielle und nicht auf das was im Leben wichtig ist, wenn man mal im Schaukelstuhl sitzt und auf sein Leben zurückguckt. Dann ist das Liebe, Familie, Freundschaft, Glück. Das ist doch das was zählt. Im Moment geht es aber noch um Verteilungskämpfe, da steht Geld im Vordergrund. Das zeigt eben auch der Waldgipfel sehr schön. An Geldmitteln wird gemessen, wie erfolgreich das Ganze ist.