Aufgerissen und ausgetrocknet ist eine Sandbank an der Niedrigwasser führenden Donau in Mariaposching (Bayern).
interview

IPCC legt Bericht vor "Noch haben wir es selbst in der Hand"

Stand: 20.03.2023 17:18 Uhr

Der Weltklimarat hat seinen Abschlussbericht vorgelegt und verschärft darin seine Warnungen. Die Staatengemeinschaft müsse jetzt handeln, um die Schäden durch den Klimawandel zu begrenzen. Warum das so ist, erklärt Mitautor Garschagen.

tagesschau.de: Sie haben jetzt mehrere Tage mit Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt am Synthesebericht des IPCC gefeilt - wie ist Ihre Stimmung?

Matthias Garschagen: Ich bin froh, dass wir den Bericht erfolgreich zu Ende gebracht haben. Ich bin sehr müde, aber ansonsten ist die Stimmung gut, weil ich hoffe, dass die Welt uns zuhört, was wir zu sagen haben aus der Wissenschaft heraus.

Matthias Garschagen
Zur Person

Matthias Garschagen ist Professor am Lehrstuhl für Anthropogeographie mit Schwerpunkt Mensch-Umwelt-Beziehungen an der Ludwig-Maximilians-Universität in München (LMU). Er ist Mitglied des Kernautorenteams des Syntheseberichts des 6. Sachstandsbericht des IPCC.

tagesschau.de: Was sind die wichtigsten Erkenntnisse des Berichts?

Garschagen: Man kann die Kernbefunde in drei Punkten zusammenfassen. Zum einen haben wir uns damit beschäftigt, wie es um den Klimawandel und wie es um Risiken und Auswirkungen steht: Wir haben 1,1 Grad Erwärmung im globalen Durchschnitt ungefähr erreicht. Und wir sehen deutliche Auswirkungen, deutliche Schäden, die leider stärker ausfallen, als wir das vielleicht noch vor achteinhalb Jahren beim Abschluss des letzten Syntheseberichts gedacht haben.

Diese Schäden und Auswirkungen können immer stärker dem Klimawandel zugeordnet werden. Gleichzeitig sehen wir, dass zukünftige Risiken stark ansteigen werden mit jedem bisschen Erwärmung. Dass Ökosysteme, dass Gesellschaften noch sensibler auf den Klimawandel reagieren, als wir das vormals dachten. Das heißt, die Risiken, selbst bei zwei Grad, bei 1,5 Grad, sind höher, als wir dachten.

Zweitens: Wie reagiert die Welt darauf? Was passiert im Klimaschutz? Da sehen wir, es hat sich einiges getan. In vielen Ländern haben wir Klimaziele formuliert, wir haben Anpassungsstrategien und -pläne formuliert. Aber wir sehen, dass die Maßnahmen nicht ausreichen, um diese Ziele auch zu erreichen. Da klafft eine deutliche Lücke - und die Lücke wird größer.

Wir wissen aber drittens - und das ist vielleicht eine positive Nachricht - wie wir Maßnahmen so aufgleisen können, dass wir die Kehrtwende noch schaffen können. Vor allem, wie wir Maßnahmen so gestalten können, dass sie uns erlauben, gleichzeitig Klimaschutz und Klimawandelanpassung voranzutreiben.

Denken Sie zum Beispiel an Moore, an Feuchtgebiete, die gleichzeitig Kohlenstoffsenken und auch Hochwasserflächen bieten - vielleicht auch Naherholungsgebiete aufzeigen.

Matthias Garschagen, Ludwig-Maximilians-Universität München, zum Bericht des IPCC

tagesschau24 15:00 Uhr

"Die Dringlichkeit ist deutlich stärker"

tagesschau.de: Wie dringend muss jetzt was passieren?

Garschagen: Es ist sehr dringend. Wir sind momentan mit dem, was auf dem Tisch liegt - an Klimazielen, auch an Politik - auf dem Weg, dass wir diese 1,5 Grad reißen werden, dass wir es nicht schaffen werden.

Gleichzeitig wissen wir aus der Risikoanalyse, dass wir viele Schäden haben werden, wenn wir darüber hinausgehen. Im Übrigen auch, wenn wir nur temporär darüber hinausschießen. Denken Sie zum Beispiel an das Abschmelzen von Gletschern, an das Absterben von Korallenriffen oder daran, wie Extreme in gerade auch Entwicklungsländern zu vermehrten Schäden, zu Hungersnöten führen werden. Von daher ist es dringend, die Kehrtwende zu schaffen.

Es ist im Übrigen auch dringend, in der Klimawandelanpassung schneller zu werden. Wir denken häufig, dass die Klimawandelanpassung etwas ist, wo wir noch viel Zeit haben. Wie gestalten wir zum Beispiel Hochwasserschutz anders, wie kriegen wir Hitze aus den Städten raus. Aber auch das hat Vorlaufzeiten, das sagt der Bericht sehr deutlich. Wir brauchen teilweise zehn bis 20 Jahre, bis wir Planungsverfahren aufgestellt haben, Aushandlungsprozesse, politische Prozesse, auch rechtliche Änderungen aufgegleist haben.

Also auch da läuft uns die Zeit davon. Und leider haben wir die Jahre seit dem letzten Bericht nicht so konsequent genutzt, wie es gut gewesen wäre. Die Dringlichkeit ist deutlich stärker als vor achteinhalb Jahren, das muss man leider sagen.

"Es bedarf tiefgreifender Veränderungen"

tagesschau.de: Dennoch sind Sie positiv gestimmt. Warum?

Garschagen: Noch haben wir es selbst in der Hand. Es bedarf allerdings tiefgreifender unmittelbarer Veränderungen. Es geht aber vor allem darum: Wie stark werden wir dieses Ziel überschreiten? Und da gilt es, dieses Überschreiten so gering wie möglich zu halten - von der zeitlichen Ausdehnung her, aber auch von den Gradzahlen, die wir überschreiten.

So gesehen: Ja, man ist positiv gestimmt. Ich glaube, dass auf die Wissenschaft gehört wird. Ich glaube, dass wir eine andere Situation hätten, auch in der Klimapolitik, wenn es diese Berichte nicht gäbe. Aber es wird eben nicht schnell genug und tief genug gehandelt, um auf einem Zielerreichungspfad unterwegs zu sein.

"Das wird immer schwieriger, je mehr Zeit vergeht"

tagesschau.de: Gleichzeitig gibt es aber auch neue Projekte, um zum Beispiel fossile Energien zu fördern. Hört die Politik denn wirklich auf Sie?

Garschagen: Ja, ich denke, die Politik hört zu. Es hat sich einiges getan. Wir haben Klimaziele formuliert, die sind deutlich straffer als vor achteinhalb Jahren, wir haben das Pariser Klimaabkommen und so weiter. Aber die Politik ist langsam darin, mutige, zügig tiefgreifende Maßnahmen umzusetzen, die uns auch wirklich erlauben, die Ziele zu erreichen.

Da ist zu viel Hoffnung noch darauf, dass wir es irgendwann auf der letzten Meile noch schaffen werden. Das wird immer schwieriger, je mehr Zeit vergeht.

tagesschau.de: Was muss denn in der Gesellschaft passieren?

Garschagen: Das ist ein ganz wichtiges Feld. Der Bericht zeigt sehr deutlich, dass natürlich die Klimakrise ganz fundamental mit unserem momentanen Konsumverhalten zusammenhängt. Die Art und Weise, wie wir diesen Planeten nutzen, teilweise auch missbräuchlich nutzen, wenn ich das so sagen darf, ist grundsätzlicher Treiber der Krise.

Ich glaube, eine Dimension, die häufig zu wenig Beachtung findet in der Debatte, ist die Frage: Was passiert eigentlich zwischen der großen Politik auf globaler und nationaler Ebene und dem eigenen Konsumverhalten? Auch da kann man vieles tun. Man kann sich in seinem Umfeld, im Kindergarten, in der Schule, in seinem Unternehmen, in seiner Organisation dafür einsetzen, auf andere Energieformen zu setzen, in Kantinen und Mensen entsprechend umzustellen.

Die Klimawandelanpassung ist auch ein wichtiger Punkt. Kommunen in Deutschland beispielsweise werden Probleme bekommen, den Hochwasserschutz weiterhin so aufrechtzuerhalten, wie wir das in der Vergangenheit gekannt haben. Die eigene Vorsorge, frühzeitig zum Beispiel ein Haus hochwassersicher zu machen, über eine Elementarversicherung nachzudenken: Das haben wir selbst in der Hand.

Globale Ausgleichszahlungen

tagesschau.de: Am stärksten betroffen sind ärmere Länder. Wie können reiche Länder helfen?

Garschagen: Der Bericht spricht über Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten auf zwei Ebenen. Zum einen zeigen auch neuere Daten, dass jetzt wieder die Länder, die am verwundbarsten sind gegenüber dem Klimawandel, die schlechteste Gesundheitsversorgung haben. Es sind diejenigen, die historisch betrachtet auch am wenigsten dazu beigetragen haben.

Da müssen globale Ausgleichsleistungen her, die auf dem Papier verabschiedet sind. Man hat zum Beispiel das Ziel, 100 Milliarden pro Jahr einzusetzen. Auch da sind wir nicht schnell genug, diese Gelder wirklich zur Verfügung zu stellen.

Der Bericht zeigt aber auch die Ungleichheiten innerhalb von Gesellschaften. Wie stark tragen die reichsten zehn Prozent in vielen Gesellschaften zu diesem Problem überproportional bei?

Und die dritte Frage ist: Wie gehen wir mit zukünftigen Generationen um? Wenn man sich anschaut, welche Risiken auf uns zukommen, zum Beispiel in einer Welt von zweieinhalb oder drei Grad, dann ist das brachial, was wir zukünftigen Generationen aufbürden.

Das Gespräch führte Inga Wonnemann, tagesschau-Redaktion. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert und gekürzt.