Angestellter Landwirt kontrolliert auf einem Rübenfeld die Arbeit vom Roboter.

Ernährungssicherheit Warum die Landwirtschaft Biodiversität braucht

Stand: 01.11.2024 11:29 Uhr

Nach langen Bauernprotesten Anfang des Jahres kippte die EU Umweltauflagen für die Landwirtschaft - zum Nachteil der Biodiversität. Doch laut Experten kann gerade die Landwirtschaft von Artenvielfalt profitieren

Von Sharin Santhiraraja-Abresch, tagesschau.de

Traktoren blockieren die Straße und belagern das Europäische Parlament in Brüssel - das sind Bilder, die Anfang 2024 von Bauernprotesten durch die Medien gingen. Unter anderem ging es den Landwirten um Umweltauflagen. Das EU-Parlament reagierte - und schwächte die Auflagen für Bauern ab, zum Nachteil der Biodiversität, denn gerade in Deutschland ist laut einer Stellungnahme der Leopoldina die Artenvielfalt auf vielfältige Agrarflächen angewiesen.

Die Biodiversität, also die Vielfalt der Pflanzen- und Tierarten sowie diverser Ökosysteme wie Wald oder Wildwiese, ist hierzulande in keinem guten Zustand, das geht unter anderem aus dem Faktencheck zur Artenvielfalt hervor.

Neben Klimakrise und invasiven Arten ist die Landwirtschaft laut des aktuellen EU-Zustandsberichts einer der größten Treiber, der für den Biodiversitätsverlust verantwortlich ist. Aber die Landwirtschaft als solche ist nicht das Problem, sondern eher die Art und Weise, wie sie betrieben wird, erklärt Landschaftsökologin Dr. Petra Dieker vom Thünen-Institut.

Von allem zu viel

Ein großes Problem ist der übermäßige Einsatz von Pestiziden und Dünger. Pestizide dringen beispielsweise bis in Naturschutzgebiete vor und sind laut einer Studie mitunter hauptverantwortlich für das Insektensterben. Laut Umweltbundesamt ist die Pestizidkonzentration in 80 Prozent der Bäche, die durch deutsche Agrarlandschaften fließen, deutlich über den Grenzwerten.

Auch der großflächige Einsatz von Dünger auf den Äckern schlägt sich in der Umwelt nieder: Laut einer Studie nehmen die Ackerpflanzen in der Regel nicht mehr als 50 Prozent des Stickstoffs im Dünger auf. Der Rest wird ausgewaschen und gelangt über das Grundwasser in Wälder und Gewässer. So kann es sein, dass beispielsweise giftige Algenblüten entstehen, da die Algen vom Stickstoff profitieren.

Deutschland wurde 2018 wegen der unzureichenden Umsetzung der Nitratrichtlinie vom Europäischen Gerichtshof verurteilt, das Verfahren ist mittlerweile eingestellt. Stickstoff ist unter anderem in Form von Nitrat in Dünger enthalten. Und auch wenn es in Deutschland ein wenig besser wird, sind die Nitrat-Grenzwerte an 15 Prozent der Messstellen überschritten. Außerdem führt eine Überdüngung zur Versauerung von Böden. Im Endeffekt schadet das wieder der Ackerpflanze, denn sie kann die Nährstoffe dann noch schlechter aufnehmen.

Äcker sind Ökosysteme

Viele Tier- und Pflanzenarten in Deutschland sind laut Dieker auf eine vielfältige Agrarlandschaft angewiesen. Doch vielerorts werden Flächen für die landwirtschaftliche Nutzung optimiert, indem nur wenige, aber ertragreiche Kulturen angebaut und säumende Landschaftselemente entfernt werden, um die Arbeit mit großen Maschinen zu erleichtern.

"Der Rückgang der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft ist so dramatisch, dass in Zukunft ernsthafte Folgen für die Funktionsfähigkeit der Agrarökosysteme und für das Wohlergehen des Menschen zu erwarten sind", schreibt die Leopoldina.

Ein Grund für die Entwicklung sei die sogenannte Flurbereinigung, heißt es in der Stellungnahme. Bis in die 1970er Jahre gab es noch viele Rückzugsräume für Tiere und Pflanzen zwischen den Äckern in Hecken und Brachlandschaften. Damit gab es auch Nahrung und Lebensraum. Dann wurden aber immer mehr Agrarlandschaften aufgeräumt, Felder zusammengelegt und Verkehrswege gesetzt. Diese zunehmende Industrialisierung hat den Ackerbau laut Dieker effizienter gemacht - zum Nachteil der Artenvielfalt.

Die Förderung der Biodiversität, wie etwa durch Blühstreifen oder der Beweidung durch unterschiedliches Vieh, kann nicht nur die Vielfalt von Wildbienen fördern, sondern laut dieser Studie auch zu höheren Erträgen führen. "Artenvielfalt erbringt gerade für die Landwirtschaft wichtige Ökosystemleistungen", sagt die Landschaftsökologin.

Durch Bestäuber wie Bienen oder Schmetterlingen profitiere der Obst- und Gemüseanbau. Und beispielsweise Käfer und Spinnen seien eine natürliche Schädlingskontrolle, während Bodenbewohner, wie Regenwürmer, die Bodenfruchtbarkeit verbessern. "Biodiversität ist unsere Lebensgrundlage", so Dieker.

Ernährung umdenken

Studien zeigen, dass ökologische Landwirtschaft etwas schonender für die Umwelt ist: Beispielsweise gelangt weniger Stickstoff in die Umwelt, und die Agrarflächen sind artenreicher. Aber Bio-Landwirtschaft ist auch weniger effizient: Für den gleichen Ertrag benötigt sie laut einer Studie 25 Prozent mehr Fläche als die konventionelle Landwirtschaft.

Deutschland hat laut Umweltbundesamt eine Fläche von knapp 360.000 Quadratkilometern, etwa 50 Prozent davon wird landwirtschaftlich genutzt. Auf mehr als der Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Flächen werden Futterpflanzen für die Tierhaltung angebaut, etwas weniger als ein Drittel wird dagegen für die menschliche Ernährung genutzt. Mehr als die Hälfte der Landwirtschaftsbetriebe sind Viehhaltungsbetriebe, in die Tierhaltung fließen laut einer Studie die meisten Agrarsubventionen.

Weniger Tiere pro Weide und weniger intensive Stallhaltung mit Kraftfutter, hätte aber viele Vorteile, erklärt Dieker. "Für ein Kilogramm Rindfleisch werden durchschnittlich 32 Quadratmeter Fläche in Deutschland benötigt, dagegen für ein Kilogramm Kartoffeln nur 0,2 Quadratmeter." Eine Umstellung der Ernährungsweise mit weniger Fleisch, also nur den Sonntagsbraten, würde laut der Landschaftsökologin in Sachen Flächenkonkurrenz schon einiges ausmachen.

Auch mehrere Studien weisen auf die vielen Vorteile einer mehr pflanzenbasierten Ernährung hin, wie etwa deutlich weniger Emissionen und Wasserverbrauch. Aber es liege laut Dieker nicht nur am Verbraucher, etwas zu ändern. Sondern es brauche auch entsprechende politische Rahmenbedingungen. So müsse die Gemeinsame Agrarpolitik der EU beispielsweise finanzielle Subventionen auf das Gemeinwohl ausrichten. Landschaftsökologin Dieker sagt: "Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe."