Moorlandschaft

Klimawandel So können Moore beim Hochwasserschutz helfen

Stand: 04.07.2024 14:15 Uhr

Moore speichern nicht nur große Mengen CO2 - sie können auch zum Hochwasserschutz beitragen, sagen Naturschützer. Denn bei extremen Regenfällen entlasten sie Bäche und Flüsse.

Von Stefanie Peyk, SWR

Unterwegs im Gummistiefel-Land. Im Moorgebiet Blindele See bei Leutkirch im Allgäu versinkt man bei fast jedem Schritt knöcheltief im Wasser. Nach dem Dauerregen vor einigen Wochen ist es hier noch nasser als sonst. Die Pflanzen, die im regengespeisten Hochmoor wachsen, können Wasser aufsaugen wie ein Schwamm.

NABU-Biologe Siegfried Kehl pflückt eine Handvoll Torfmoos und presst es aus. Das Wasser tropft nicht nur, es fließt. Torfmoose haben besondere Wasserspeicher-Zellen. In ihnen können sie mehr als das 30-fache ihrer Trockenmasse an Wasser fassen.

Naturnahe Moore sind Wasserspeicher

Auch der meterdicke Torf unter dem Torfmoos kann große Mengen Wasser speichern. Außerdem sammelt sich Wasser in den vielen kleinen Senken im Moor. "Das Wasser läuft einfach nicht so schnell ab", erklärt Kehl. "Das ist genau das, was wir wollen." Denn bei starken Regenfällen entlaste dies nahegelegene Bäche und Flüsse, die so weniger stark anschwellen.

Wenn umgekehrt renaturierte Flüsse bei Hochwasser über die Ufer treten, können besonders die Niedermoore entlang von Flüssen als Teil der Überflutungsfläche in der Auenlandschaft dienen.

Wenn Wasser gezielt ins Moor geleitet wird

Dass Moore so viel Wasser aufnehmen können, hat man in einem anderen Moor kürzlich sogar ganz bewusst ausgenutzt. Wegen des vielen Regens hat das Allgäuer Flüsschen Eschach sehr viel Wasser geführt, eine Bedrohung für die Stadt Leutkirch. Als das Hochwasser-Rückhaltebecken voll war, wurden automatisch - wie für solche Fälle geplant - fast fünf Millionen Kubikmeter Wasser in ein nahes Moor geleitet, das Naturschutzgebiet Taufach-Fetzach-Moos.

Das bedeutete einen extremen Wasseranstieg in dem sowieso schon nassen Moor. Feuerwehr und Technisches Hilfswerk mussten dort einen aufgeweichten Damm sichern. Wenn der Damm nicht gehalten hätte, wäre das für Leutkirch eine Katastrophe gewesen, so Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle im SWR: Der Ortsteil Urlau wäre wahrscheinlich "ziemlich zerstört worden, und dann hätte sich das Wasser weiter den Weg nach Leutkirch gebahnt und auch dort große Schäden verursacht". Moor und stabilisierter Damm waren in dem Fall die Rettung.

Gezielte Hochwasser-Flutung kann neue Probleme verursachen

Naturschützer Kehl macht sich nun allerdings Sorgen um die empfindlichen Hochmoor-Flächen im gefluteten Naturschutzgebiet. Den seltenen Pflanzen dort könnten die zusätzlichen Nährstoffe, die der Fluss gebracht hat, schaden. Denn anders als Niedermoore sind Hochmoore von Natur aus sehr nährstoffarm. Die Eschach, meint Kehl, bräuchte eigentlich schon vor dem Rückhaltebecken mehr Platz in der Aue.

Hochwasser entstehe nicht nur wegen hoher Mengen an Niederschlag, sondern auch, weil sehr viel Fläche versiegelt sei. "Jeder Weg hat einen Graben, und das Wasser läuft einfach sehr schnell ab. Wenn man das verhindern kann, auch durch Moore, dann haben wir schon viel getan für den Hochwasserschutz." Laut Naturschutzbund NABU sind Moore dabei nur ein Baustein von vielen. Nach mehreren Tagen starkem Dauerregen kämen auch Moore an ihre Grenzen, weil sie dann "voll" seien.

Naturnahe Moore puffern Extreme ab

Moore, die wie Schwämme wirken und das Wasser nur langsam abgeben, sind gleichzeitig eine Art Versicherung gegen Dürre, so Moorschützer Kehl. "Die Umgebung von Mooren ist oftmals lange Zeit noch feucht. Während andere Wiesen nebenan vielleicht trockenfallen, haben wir im Moor immer noch eine gewisse Restfeuchte." Bei Hitze können große Moore wie Klimaanlagen wirken. Wenn Wasser verdunstet, kühlt das laut dem Greifswald Moor Centrum die lokale Umgebung. Naturnahe Moore können demnach die Extreme abpuffern.

Allerdings ist die überwiegende Anzahl der Moore in Deutschland geschädigt. Das gilt für Norddeutschland genauso wie für Bayern oder Baden-Württemberg. In Niedersachsen, dem moorreichsten Bundesland, sind nur noch knapp fünf Prozent der ursprünglichen Moorfläche intakt. In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Schleswig-Holstein ist der Anteil intakter Moore sogar noch geringer.

Entwässerte Moore sind Klimakiller

Die meisten Moore in Deutschland wurden entwässert, um Torf zu stechen oder um die Flächen als Äcker und Wiesen zu nutzen. Das führt zu Problemen: Stark geschädigte Niedermoorböden können laut NABU kaum Wasser aufnehmen. Das Wasser läuft an der Oberfläche ab statt zu versickern. Bei Starkregen leiten die Entwässerungsgräben den Niederschlag mitunter schnell aus den Wiesen in sowieso schon übervolle Bäche und Flüsse. An Moore angepasste Pflanzen und Tiere verschwinden. Und trockengelegte Moore setzen große Mengen Klimagase frei, nämlich rund sieben Prozent aller deutschen Treibhausgasemissionen.

Ein Liter Milch von Kühen, die Gras von entwässerten Moorböden fressen, verursacht doppelt so viele Emissionen wie ein Liter Benzin. Das zeigt eine Grafik im Mooratlas 2023.

Teufelskreis Moor-Entwässerung

Trotzdem werden im Allgäu die Entwässerungsgräben auf Niedermoorböden Jahr für Jahr frei gebaggert, erzählt NABU-Biologe Kehl. Ein Teufelskreis, findet er. "Dadurch, dass sich der Torf zersetzt und CO2 entweicht, sinkt der Niedermoor-Boden nach unten." Er wandere pro Jahr rund einen Zentimeter tiefer.

"Das heißt, er wird irgendwann auch wieder nasser. Das möchte der Landwirt unter Umständen nicht, weil er sonst nicht regelmäßig mähen kann. Das heißt, er macht auch den Graben wieder tiefer. Dadurch sinkt der Wasserspiegel wieder und dadurch zersetzt sich wieder mehr Torf." Irgendwann sei kein Boden mehr da.

Wiedervernässung kommt zu langsam voran

Um die Emissionen aus trockengelegten Mooren zu stoppen, müssen die Wasserstände wieder angehoben werden. Das funktioniert zum Beispiel, indem man Pumpen abstellt, Drainagerohre aus dem Boden holt und Entwässerungsgräben verschließt. So wird Wasser in der Fläche gehalten. Auch das kürzlich verabschiedete EU-Renaturierungsgesetz sieht vor, geschädigte Moorböden wiederherzustellen.

Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden. Dafür müsste man jährlich mindestens 50.000 Hektar wiedervernässen. Das entspricht einer Fläche fast so groß wie der Bodensee, heißt es im Mooratlas. In den letzten Jahrzehnten war es aber nur ein Bruchteil davon, etwa 2000 Hektar im Jahr, klagt Greta Gaudig vom Greifswald Moor Centrum. Die Hauptschwierigkeit liegt darin, dass die meisten Moorböden für die Land- oder Forstwirtschaft genutzt werden. Werden sie wiedervernässt, brauchen die Bäuerinnen und Bauern alternative Einkommensquellen. Noch setzt die EU-Agrarpolitik dafür nicht die passenden Anreize.

Landeigentümer ins Boot holen

Die Mitarbeitenden im NABU-Projekt Naturvielfalt Westallgäu haben sich zum Ziel gesetzt, wenigstens einige Moore zu renaturieren. Etliche Projektflächen sind Staatswald von Forst BW, so auch am Blindele See. Aber auch hier müssen einzelne Landeigentümer überzeugt werden, ihre Flächen im Moor zu verkaufen oder zu tauschen.

Wenn das Moor erst einmal renaturiert ist, so hofft Naturschützer Kehl, tauchen vielleicht auch wieder Arten auf, die schon verschwunden sind - zum Beispiel die Kreuzotter oder verschiedene Libellen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet das rbb-Fernsehen in der Sendung "Die rbb-Reporter" am 06. Juli 2024 um 06:45 Uhr.