UN-Gipfel in Südkorea Plastik-Zertifikate gegen Müll
In Südkorea wird über ein globales Plastikabkommen verhandelt. Dabei geht es auch um Kosten für die Entsorgung. Ein Instrument sind Plastik-Zertifikate. Sie funktionieren ähnlich wie CO2-Zertifikate und sind ähnlich umstritten.
Lewi Neno wirft einen roten Müllsack auf einen Mini-Lkw. Er arbeitet für ecoBali, eine kleine private Müllabfuhr. Bis zu 70 Privathaushalte oder Firmen auf der indonesischen Insel steuern er und sein Kollege pro Tag an. Den Müll bringen sie zu einer Sortierstelle. Was recycelt werden kann, wird verkauft. Aber es bleibt immer etwas übrig.
Früher sei dieser Rest wertlos gewesen, sagt Ni Made Dwi Septiantari von EcoBali. Sie hätten das nicht recycelbare Plastik auf eine Deponie gebracht. Jetzt könnten sie es besser entsorgen - in einer Zementfabrik, wo es statt Kohle verbrannt wird. Früher haben sie das nicht gemacht, weil sie den Transport und den Zementhersteller bezahlen müssen. Jetzt bekommen sie das Geld dafür von CleanHub, einer Firma in Berlin.
"Unsere Mission ist es, die Verschmutzung durch Plastik zu stoppen", heißt es auf der CleanHub-Internetseite. Die Firma bietet "plastic credits" an, Plastik-Zertifikate. Die Idee: Für Geld, das jemand zahlt, wird woanders auf der Welt Plastik entsorgt. Und wer mitmacht, kann damit werben. CleanHub bietet dafür "alles, was Sie brauchen - von anpassbaren Vorlagen, Videos und Bildern - um sich von der Konkurrenz abzuheben."
Einige Firmen bieten die Zertifikate schon an
Hunderte Marken seien schon dabei - etwa ein bekannter Traubenzucker-Produzent und eine große Drogeriekette. Auch ein Hersteller veganer Produkte wirbt auf Instagram: "Mit dem Kauf von Schokolade könnt ihr die Natur und die Ozeane vor Plastik schützen."
CleanHub ist nicht allein. Dutzende Firmen und Organisationen bieten ähnliche Plastik-Zertifikate an. Oft wird der Plastikmüll in Zementfabriken entsorgt. Das zeigt eine aktuelle Analyse der britischen Organisation SourceMaterial. Kritiker sehen die Gefahr, dass dabei Schadstoffe freigesetzt werden können.
Ökologisch sei die Verbrennung in Zementfabriken aber besser, als den Müll irgendwo auf einer Deponie zu entsorgen, sagt Henning Wilts, Wissenschaftler am Wuppertal-Institut, der unter anderem die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) berät. Die GIZ unterstützt einige Plastik-Zertifikat-Projekte über die "Prevent Waste Alliance". Auch CleanHub ist Mitglied dieser Allianz.
Keine einheitlichen Standards
Noch sei der Markt eine kleine Nische, sagt Wilts. Doch das könnte sich ändern. Die Zahl der Projekte sei in den letzten Jahren deutlich gestiegen, schreibt die Weltbank in einer aktuellen Analyse. Dieser Trend werde sich wahrscheinlich fortsetzen, weil immer mehr Akteure auf das Instrument aufmerksam würden. Die Weltbank fördert selbst solche Projekte.
Und die aktuellen Verhandlungen für ein globales Plastikabkommen könnten ihnen zu einem Boom verhelfen. Sollten Plastik-Zertifikate als ein Baustein zur Finanzierung in den Vertrag aufgenommen werden, würde er davon ausgehen, "dass der Markt sich in den nächsten Jahren vervielfachen wird", sagt Wilts.
Doch noch zögern viele, Plastik-Zertifikate zu kaufen - auch weil es keine einheitlichen Standards gibt. "Hinter dem Begriff verbergen sich ganz unterschiedliche Dinge", erklärt Wilts. Einige Organisationen sagen, es werde Plastik aus dem Meer oder aus Flüssen geholt, bei anderen geht es um klassische Müllsammlungen. So sind auch die Kosten und Umweltauswirkungen sehr unterschiedlich.
Gefahr von Greenwashing
Und es besteht das Risiko von "Greenwashing", also dass sich Unternehmen "grüner" geben, als sie sind - und weiter Plastik verwenden. Sie könnten den Kauf von Zertifikaten "als ausreichend ansehen, um zu behaupten, dass ihre Auswirkungen ‚kompensiert‘ wurden", warnt etwa die Weltbank.
Tatsächlich werben einige Firmen damit, "plastikneutral" zu sein. Auch CleanHub hat über Jahre so Kunden gelockt. "Durch die Einführung der Plastikneutralität kann Ihr Unternehmen seinen Ruf verbessern", heißt es etwa in einem Eintrag auf der Firmenseite von Ende August dieses Jahres.
Der Begriff "plastikneutral" sei "völlig irreführend", kritisiert jedoch Henning Wilts. "Was ja bezahlt wird, ist das Einsammeln des Plastikabfalls, nicht aber die damit verbundenen Umweltschäden." Die Plastikproduktion und -verbrennung verursacht etwa große Mengen CO2.
Wer profitiert von Plastik-Zertifikaten
Im Interview mit NDR und Süddeutscher Zeitung distanziert sich CleanHub-Chef Joel Tasche jetzt auch von diesem Begriff. Man wolle ihn nicht mehr verwenden. Tasche sagt, er habe nicht gewusst, dass sie auf ihrer Seite noch Plastikneutralität beworben würde. Er werde das prüfen und von der Seite nehmen. Allerdings haben auch jüngst noch einige Firmen in Sozialen Medien verkündet, sie seien jetzt "plastikneutral" - "zertifiziert" von CleanHub.
Einige Wissenschaftler sehen Plastik-Zertifikate unter anderem wegen des möglichen Greenwashings kritisch. Es sei "fraglich, wessen Interessen diese Gutschriften letztlich dienen", heißt es in einer aktuellen Veröffentlichung von Mitgliedern der "Scientists‘ Coalition for an Effective Plastics Treaty", einem Netzwerk von Hunderten Wissenschaftlern weltweit, die sich für ein "wirksames Plastikabkommen" einsetzen. Tatsächlich scheint unklar, wer vor allem profitiert. Die Umwelt, die Müllsammler oder doch eher die Firmen, die damit werben und die Anbieter der Zertifikate?
Joel Tasche sagt, sie würden Firmen vor Ort einen Anreiz geben wollen, Plastik einzusammeln und kontrolliert zu entsorgen. CleanHub legt jedoch nirgends dar, wie viel des eingenommenen Geldes wohin fließt. Zu Vertragsdetails würden sie sich nicht äußern, sagt Tasche. Nur so viel: Die Partner bekämen unterschiedlich viel, abhängig von den Kosten vor Ort: für eine Tonne Plastik zwischen 120 und 656 Euro. CleanHub nimmt bis zu 1000 Euro für die entsprechenden Zertifikate. Sie würden derzeit viel Geld dafür aufwenden, „Aufmerksamkeit auf das Thema zu bringen und Kundenakquise zu betreiben“, sagt Tasche.
Situation der Müllsammler und -sortierer vor Ort
Eine Rendite erwarten allerdings wohl auch einige Finanzinvestoren. CleanHub hat nach eigenen Angaben knapp 10 Millionen Euro Kapital eingesammelt. Viel davon fließe in eine Software, die dazu dienen soll, zu überprüfen, dass Plastik korrekt entsorgt werde, sagt Tasche. Die Investoren würden darauf setzen, damit später Geld zu verdienen.
Profitieren sollen laut CleanHub schon jetzt die Müllsammler und -sortierer. Sie bekämen dank der Zertifikate mehr Sicherheit und höhere Löhne. Lewi Neno, der für den CleanHub-Partner auf Bali unterwegs ist, sagt jedoch, er bekomme umgerechnet nur knapp sieben Euro pro Tag und damit weniger als der dort vorgeschriebene Mindestlohn. Joel Tasche sagt dazu im Interview mit NDR und SZ, er sei froh, wenn so etwas aufgedeckt werde. Sie würden das überprüfen und im Zweifel beheben.
Aus Sicht von Kritikern - etwa der "Scientists‘ Coalition for an Effective Plastics Treaty" - sind solche Probleme kaum zu vermeiden. Sie befürchten auch, dass Plastik-Zertifikate als Argument dafür dienen könnten, verpflichtende Regeln zur Plastikvermeidung oder -entsorgung zu verhindern oder zu verzögen. Es sei zwar unbestreitbar, dass dringend finanzielle Mittel benötigt würden, um die Abfallwirtschaft zu unterstützen, aber Kunststoff-Zertifikate seien dafür "nicht das richtige Instrument", schreiben die Wissenschaftler.