Umgang mit der Klimakrise "Ein Wir-Gefühl entstehen lassen"
Die Klimakrise ist kompliziert - viele Menschen fühlen sich deshalb überfordert. Die Psychologin Dohm rät dazu, sich mit anderen zusammenzuschließen und im Alltag nach Lösungen zu schauen. So könne auch neuer Zusammenhalt entstehen.
tagesschau.de: Die Klimakrise ist bei uns spürbar - der Oktober machte mit Rekordwerten von sich reden. Trotzdem befassen sich viele Menschen nicht gerne mit dem Thema. Warum ist das so?
Lea Dohm: Ich denke, dass gerade viele Menschen sowieso hoch belastet sind. Wir erleben auf der Welt verschiedene Krisen gleichzeitig. Dazu kommt, dass Familien belastet sind durch Betreuungsausfälle, dass Mitarbeitende von Krankenhäusern belastet sind durch die Personalsituation. Also das Stresslevel ist insgesamt sehr hoch und da freuen wir uns natürlich über einen warmen Oktober.
Ich glaube aber auch gleichzeitig, dass viele Menschen bereits merken, dass das eben nicht nur Anlass zur Freude ist. Und wir wissen ja auch aus der Psychologie und aus der Forschung, dass die allermeisten bestens darüber informiert sind, dass es ein Problem gibt und dass wir mit dem Klima was tun müssen.
tagesschau.de: Bei den Folgen der Klimakrise und auch bei den Klimazielen, die wir uns gesteckt haben, geht es um sehr lange Zeiträume von zehn, zwanzig oder dreißig Jahren. Ist das zu weit weg für uns um das Ausmaß der Krise zu erkennen?
Dohm: Wir wissen aus der Psychologie, dass es einen sogenannten Present Bias gibt. Das heißt, wir sind mit unserer Wahrnehmung und unserem Denken sehr auf die Gegenwart gepolt. Im Zweifel sind wir also mehr beschäftigt mit Fragen wie: "Was muss ich heute noch einkaufen" oder "Woran muss ich gleich noch denken", statt uns Gedanken über die Zeit in zehn Jahren zu machen. Und das ist natürlich mit Blick aufs Klima wirklich ein Problem. Und da müssen wir alle üben, auch mal mehr in die Zukunft zu blicken.
tagesschau.de: Jetzt zeigt die Klimakrise aber schon erste Auswirkungen, wenn wir etwa an die Trockenheit und die Hitze des vergangenen Sommers denken, dann ist die Krise schon ganz nah bei uns und nicht nur in Spanien und Portugal ist die Zahl der Hitzetoten angestiegen.
Dohm: Absolut. Durch die Hitze, durch den zu warmen Oktober, durch die Flut im Ahrtal im letzten Jahr und so weiter merken wir, dass es uns betrifft. Und das ist bedrohlich. Da reagieren wir mitunter psychisch mit Abwehr. Aber wir müssen da hingucken. Wenn wir uns beispielsweise mit dem Thema Hitze beschäftigen, dann stellen wir fest, dass auch in Deutschland in diesem Sommer viele Menschen gestorben sind.
Das sind oft stille Todesfälle, also gerade ältere Menschen vorerkrankte Menschen, die dann alleine in ihren Wohnungen beispielsweise leiden und wo wir unsere Aufmerksamkeit hinrichten müssen, weil wir bisher hierzulande noch keine ausreichenden Konzepte dafür haben. Und auch in den Krankenhäusern brauchen wir dringend Hitzekonzepte, denn wir wissen auch, dass viele, viele körperliche und psychische Erkrankungen übrigens sich durch Hitze verschlimmern und verschlechtern und viele Kliniken nicht klimatisiert sind.
Selbstwirksamkeit hilft bei Motivation
tagesschau.de: Wie kann es denn gelingen, dass sich Menschen mehr mit der Klimakrise auseinandersetzen und nicht in eine Abwehrhaltung gehen, nach dem Motto, das ist die Krise zu viel?
Dohm: Das geht in erster Linie, wenn sie sich wirksam empfinden. Wenn ich also das Gefühl habe, das mit dem Klima ist ganz schlimm, ich verstehe das auch irgendwie, aber ich kann ja selbst überhaupt nichts tun - dann ist es auch kein Wunder, dass ich eher weggucke.
Deshalb geht es denke ich viel darum, Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, die tatsächlich für Menschen anknüpfungsfähig sind im Alltag. Wir alle haben ja noch diverse Handlungsmöglichkeiten und die sollten wir auch unbedingt nutzen. Denn so können wir eine sichere Zukunft für uns überhaupt schaffen und auch hier und jetzt bereits die die Weichen in die richtige Richtung stellen.
tagesschau.de: Es gibt es ja eine Gruppe an Menschen, die sehr viel handelt und sehr viel tut, etwa Fridays for Future, die regelmäßig auf die Straße gehen. Es gibt aber auch andere Protestaktionen von Leuten, die etwa Kunstwerken mit Kartoffelsuppe bewerfen. Wie verändern solche Aktionen die Akzeptanz des Themas?
Dohm: Das ist natürlich ein großer Aufreger und Gott sei Dank ist den Bildern nichts passiert. Mir ist Kunst auch sehr wichtig und gleichzeitig denke ich, dass wir da aufpassen sollten, dass wir jetzt nicht anfangen, über die Kartoffelsuppe zu sprechen, sondern dass wir unsere Aufmerksamkeit lieber dem eigentlichen Thema zuwenden. Sonst entsteht so ein Sog der Aufmerksamkeit, dass wir dann plötzlich nur noch über die Kartoffelsuppe und das Bild sprechen.
Das Grundproblem ist aber ja klar, nämlich dass wir Emissionen reduzieren müssen. Und ich denke, dass wir ganz gezielt in diese Richtung schauen sollten. Dann werden nämlich bestenfalls solche Proteste auch überflüssig.
"Klimakrise wie medizinischen Notfall behandeln"
tagesschau.de: Wie also könnte man es hinbekommen, dass sich mehr Menschen mitverantwortlich fühlen oder fühlen, dass sie was tun können?
Dohm: Was wir uns klarmachen müssen, ist, dass die Klimakrise auch eine gesundheitliche Gefahr für uns bedeutet, und zwar in allen Fachbereichen, also von A wie Allgemeinmedizin bis Z wie Zahnmedizin. Sämtliche Erkrankungen werden schlimmer, die Behandlung ist dann schwieriger. Gerade vorerkrankte Menschen sind besonders gefährdet.
Auch die psychischen Erkrankungen werden zunehmen durch die Klimakrise und das können wir behandlungstechnisch weder auffangen noch einfach wegtherapieren. Da müssen wir an die Prävention ran, und zwar so schnell wie möglich und die Klimakrise als Notfall begreifen, analog zu einem medizinischen Notfall.
Das heißt, das Schlechteste, was wir jetzt machen können, ist gar nichts zu machen, weil wir uns irgendwie überfordert fühlen. Wir sollten jetzt anfangen und zwar am besten an den wichtigsten Stellen zuerst. Also das heißt nicht die Wunde am kleinen Finger angucken, sondern wenn es einen Notfall gibt, dann muss man auch mal eine Herzdruckmassage machen. Und genau so müssen wir das jetzt auch angehen in Sachen Klima.
Im eigenen Alltag schauen, wo gehandelt werden kann
tagesschau.de: Die Klimakrise ist aber ja ein kompliziertes Thema. Wie kriege ich dieses Gefühl der Überforderung weg?
Dohm: Das stimmt, aber es wird etwas überschaubarer, wenn wir anfangen, das mit unserem Alltag zu verknüpfen. Ich bin jetzt Psychologin, das heißt, ich kann mal gucken, was kann ich aus psychologischer Perspektive dazu dazu beitragen. Viele Menschen beispielsweise sind Spezialisten für ihre Arbeitsplätze und können da gucken, was dort gut und läuft und wo es noch Entwicklungsbedarf gibt. Dann kann man kleinere Herausforderungen gezielter angehen.
Wir wissen zudem, dass wir wirksamer sind, wenn wir uns mit anderen zusammentun und eben nicht nur alleine aktiv werden. Das heißt, wenn wir nicht irgendwie für uns selbst an unseren kleinen Verhaltensänderungen rumschrauben, sondern wenn wir gucken, wie ist es eigentlich in meinem Sportverein, wie ist es da an meinem Arbeitsplatz, wie ist es in meiner Kirchengemeinde?
Was ich auch für sehr wichtig halte, ist, dass wir anfangen, alle Emissionen offenzulegen, dass wir uns erst mal fragen: Wo entstehen die eigentlich und was sind eigentlich die großen Verschmutzer? Das ist vielen Menschen nämlich gar nicht so klar. Und wenn wir dann anfangen, da Schritt für Schritt einfach dranzubleiben und selbst immer wieder kritisch zu prüfen: Ist es jetzt wirksam, was ich tue oder wie könnte ich es noch wirksamer machen? Dann gehen wir auf jeden Fall in die richtige Richtung.
Neues Wir-Gefühl kann entstehen
tagesschau.de: Wie können wir dieses Wir-Gefühl denn erreichen? Schaffen wir das allein, oder brauchen wir die Politik als Impulsgeber?
Dohm: Wir brauchen auf jeden Fall die Politik. Wir müssen aber auch mit uns selber anfangen, denn ich denke, dass der Zivilgesellschaft in dieser Transformation, vor der wir stehen, eine Führungsrolle zukommt. Das heißt, wir müssen da auch ein bisschen Druck machen. Wir wissen aus der psychologischen Forschung, dass die Politik mitunter die Bürgerinnen auch unterschätzt, also dass sie uns weniger zutrauen, als wir bereit sind mitzutragen.
Außerdem hat die Klimakrise auch das Potenzial, so was wie ein Wir-Gefühl entstehen zu lassen, wenn wir alle an einem Strang ziehen. Denn das ist ja ein gemeinsames Problem, was wir nur gemeinsam lösen könnten. Also im Grunde kann es auch wenn es gut läuft, was sehr Verbindendes haben.
Das Interview führte Anja Martini, Wissenschaftsredakteurin tagesschau