Schutz des Amazonas-Regenwaldes "Der Regenwald wird von zwei Fronten bedroht"
Der Amazonas-Regenwald ist einer der wenigen verbliebenen großen Urwälder der Welt. Hier leben mehr Pflanzen- und Tierarten als an jedem anderen Ort der Erde. Er ist aber in Gefahr, wie Klimaforscher Niklas Boers im Interview erklärt.
tagesschau.de: Warum ist der Regenwald so wertvoll?
Niklas Boers: Es sind in erster Linie drei Dinge: Zum einen beheimatet der Regenwald ungefähr zehn Prozent der weltweit bekannten Arten. Er ist also ein absoluter Hotspot für die Biodiversität. Dann ist er für das regionale Klima extrem wichtig, weil er sehr viel Feuchtigkeit mit der Atmosphäre austauscht und damit zentral ist für das Funktionieren des südamerikanischen Monsuns. Für die Niederschlagsmuster in Südamerika spielt er somit eine entscheidende Rolle.
Nicht zuletzt er ist global äußerst wichtig, weil er sehr große Mengen an CO2 speichert, die freigesetzt würden, wenn das Ökosystem vom Regenwaldzustand in einen Savannen-Zustand übergehen würde. Diese Sorge gibt es momentan. Die Erde würde sich um etwa 0,3 Grad zusätzlich erwärmen, wenn der Amazonasregenwald absterben würde.
Niklas Boers ist Klimaforscher. Er arbeitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und ist Professor an der Technischen Universität München. In seiner Arbeit geht es darum, Klimamodelle zu optimieren, um extreme Wetterereignisse und mögliche Kipppunkte im Erdsystem besser vorhersagen zu können.
Regenwald ein zentrales Element des Erdsystems
tagesschau.de: Sie forschen schon sehr lange zum Thema Regenwald - was bedeutet er Ihnen ganz persönlich?
Boers: Der Amazonas ist eines der zentralen Elemente unseres Erdsystems. Wenn man an Klima denkt, denkt man wahrscheinlich in erster Linie erstmal an die Atmosphäre oder die Ozeane. Die Landoberfläche und insbesondere die tropischen Regenwälder sind aber auch ein ganz entscheidender Teil. Der Amazonas ist der größte Regenwald auf unserem Planeten und er spielt aufgrund seiner Welchselwirkungen mit der Atmosphäre regional für den Niederschlag in Südamerika eine wichtige Rolle. Allgemein ist er für das Funktionieren des Erdsystems unheimlich wichtig.
tagesschau.de: Wenn wir in Deutschland über den Regenwald etwas erfahren, dann hat das ganz oft auch mit dem Thema Abholzung zu tun. Große Teile des Regenwaldes sind davon betroffen - was passiert, wenn der Regenwald abgeholzt wird?
Boers: Der Amazonas-Regenwald wird von zwei Fronten bedroht. Auf der einen Seite sind da die Folgen des anthropogenen - also des menschengemachten - Klimawandels. Die globale Erwärmung hat eine steigende Frequenz und Stärke von Dürren sowie veränderte Niederschlagsmuster zur Folge. Auf der anderen Seite wird der Regenwald direkt durch Landnutzung zerstört, insbesondere durch die Abholzung, die Brandrodung, die stattfindet, um Platz zu schaffen für Landwirtschaft. Aber auch durch illegale Minen, die im Regenwald gebaut werden.
Diese beiden Bedrohungen kombiniert stellen den Amazonas tatsächlich vor ein sehr großes Problem. Mit einer von beiden könnte er vielleicht umgehen - aber beide Bedrohungen zusammen von zwei verschiedenen Seiten könnten den Amazonas Regenwald zerstören.
Vorhersagen zu kritischen Punkten schwierig
tagesschau.de: Ist das auch für Forschende ein Problem?
Auch uns als Wissenschaftler stellt das vor Probleme. Es ist schwer, genau vorherzusagen, wo kritische Punkte erreicht werden, sowohl in den Abholzungsraten als auch in der globalen Erwärmung und damit verbundenen Veränderung der Niederschläge. Es ist für uns eine der zentralen Fragen: Wann sind die kritische Grenzwerte erreicht, wo der Regenwald mehr oder weniger abrupt in einen Savannen-Zustand übergehen würde?
Resilienz des Regenwalds ist in Gefahr
tagesschau.de: Mit genau dem Thema haben Sie sich in Ihrer letzten Studie beschäftigt - gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern ging es um den Moment, an dem aus dem Regenwald Savanne wird. Was haben Sie herausgefunden?
Boers: Wir haben in der Studie Satellitendaten, die den gesamten Amazonas abdecken, ausgewertet und aus diesen Satellitendaten lokal, also für viele kleine "Gridzellen", die Resilienz des Regenwalds bestimmt. Herausgefunden haben wir, dass diese Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit des Ökosystems, in etwa drei Vierteln der Region signifikant abgenommen hat.Pflanzen brauchen Niederschlag und dort, wo ein Defizit an Niederschlag geherrscht hat, war der Resilienzverlust am stärksten.
Außerdem ist der Verlust von Widerstandskraft stark gekoppelt an die Nähe zu menschlicher Aktivität. Wir haben die Satellitendaten auch benutzt, um zu sehen, wo Menschen in irgendeiner Form aktiv sind. Viele diese Aktivitäten sehen wir nicht, weil sie unter der Baumbedeckung stattfinden. Trotzdem kann man relativ sicher sagen, dass je näher ein Teil des Regenwaldes an menschlicher Aktivität verortet ist, wie zum Beispiel Abholzung, wie Landwirtschaft, wie Minenaktivität, desto größer ist der Resilienzverlust des Waldes.
tagesschau.de: Was heißt Resilienzverlust beim Regenwald?
Boers: Als Resilienz verstehen wir die Widerstandsfähigkeit oder die Fähigkeit eines Ökosystems, sich von Störungen zu erholen. Diese Fähigkeit hat bei drei Vierteln der Fläche des Amazonas Regenwaldes in den letzten 20 Jahren abgenommen.
Regenwald könnte kaum noch CO2 aufnehmen
tagesschau.de: Was würde das denn für die Welt bedeuten, wenn diese Regenwald-Resilienz weiter abnimmt?
Boers: Für Südamerika wäre es dramatisch. Es gibt Schätzungen von Wissenschaftlern, dass der kritische Punkt für den Amazonas bei 25 bis 30 Prozent der gesamten Fläche liegt: Wenn ein so großer Teil des Regenwaldes zerstört ist, könnten die natürlichen Mechanismen zur Aufrechterhaltung der Resilienz so stark gestört sein, dass auch der Rest des Regenwaldes absterben könnte. Ein Bericht aus dem letzten Jahr von indigenen Völkern zeigt, dass ziemlich genau diese 25 bis 26 Prozent der originalen Fläche des Amazonas-Regenwaldes bereits degradiert bzw. entwaldet worden sind. Das heißt, wir sind möglicherweise bereits an diesem von Wissenschaftlern erwarteten kritischen Punkt. Wenn der überschritten wird, könnte es zu einem noch sehr viel größerem Absterben des Regenwalds und einem Übergang in eine Savannenlandschaft kommen.
Dadurch würden sich die Niederschläge in großen Teilen Südamerikas stark reduzieren, weil die Evapotranspiration - die Gesamtverdunstung von einer natürlich bewachsenen Bodenoberfläche - beim Übergang von Regenwald in Savanne deutlich zurückgehen würde. Global würde der sterbende Regenwald sehr viel CO2 emittieren. Eigentlich ist der Amazonasregenwald eine CO2-Senke, er nimmt also global gesehen CO2 auf. Der östliche Teil des Regenwalds hat allerdings durch die dort stattfindende Degradierung und Entwaldung, bereits seine Funktion gewechselt und ist inzwischen ein Emittent von CO2 - stößt also CO2 aus.
Wenn jetzt ein Kipppunkt überschritten würde, dann würde der gesamte Regenwald zu einem CO2-Emittenten werden, was dann längerfristig zu einer zusätzlichen Erwärmung von bis zu 0,3 Grad in den globalen Durchschnittstemperaturen führen würde.
Schutzgebiete für den Regenwald schaffen
tagesschau.de: Das bedeutet also, wenn dieser Kipppunkt erreicht ist, dann würde es kein Zurück mehr geben für den Wald?
Boers: Das ist das große Problem mit solchen sogenannten Tipping Points: Wenn der kritische Grenzwert des Amazonas erst mal überschritten wird und der Regenwald vollständig oder zumindest großskalig degradiert wäre, dann würden sich die Niederschläge reduzieren und damit wären die klimatischen Bedingungen nicht mehr so, dass ein Regenwald von sich aus direkt wieder wachsen würde. Dieser Vorgang wäre also praktisch wahrscheinlich irreversibel.
tagesschau.de: Und genau deshalb treffen sich jetzt die Amazonas-Anrainerstaaten - es geht um den Schutz des Regenwaldes. Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, um den Regenwald möglichst schnell zu schützen?
Boers: Man müsste einerseits die globale Erwärmung eindämmen, denn mit jedem Zehntelgrad an zusätzlicher Erwärmung erhöht man das Risiko eines großskaligen Absterbens des Amazonas. Und man müsste die Abholzungsraten massiv reduzieren.
Wenn es bei der Konferenz zu einem Konsens und zu Verträgen kommen könnte, in denen die Entscheindungsträger der verschiedenen Anrainerstaaten sich auf die Ausweisung sehr großer Schutzgebiete, in denen keine Abholzung und keine Landnutzung stattfinden darf, einigen würden, das wäre schon ein großer Schritt in die richtige Richtung.
tagesschau.de: Wenn der Regenwald nicht weiter abstirbt, dann, so haben Sie es gesagt, hat es auch Auswirkungen auf uns hier. Was können wir tun, um das Aussterben zu verhindern?
Boers: Wir können zum Beispiel schauen, woher das Fleisch kommt, das wir konsumieren. Um die globale Erwärmung zu reduzieren, sollte man seinen Fleischkonsum ohnehin überdenken. Insbesondere Sojaanbau und Fleischproduktion sind die Haupttreiber der Landnutzungsveränderung und der Abholzung im Amazonas. Das heißt, man sollte zumindest schauen, dass man weder Fleisch konsumiert, das direkt aus dem Amazonas stammt, noch - sofern man das feststellen kann - Fleisch konsumiert, das von Tieren stammt, die mit Soja aus dem Amazonasgebiet gefüttert werden.
Das Gespräch führte Anja Martini, Wissenschaftsredakteurin tagesschau. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert und gekürzt.