Debatte über Tierhaltung Können Zoos dem Artenschutz helfen?
Beinahe jedes fünfte Wirbeltier ist vom Aussterben bedroht. Zoos in aller Welt werben für den Artenschutz und investieren Millionen in Tierhaltung und Projekte vor Ort. Wie sinnvoll ist das?
Sie sind die Grandes Dames der Wilhelma: Pama und Zella leben schon seit den 1960er-Jahren im Zoo der Stadt Stuttgart, den alle nur Wilhelma nennen. Mindestens vier Direktoren haben die beiden Elefantenkühe schon miterlebt. Sie gehören zu den Publikumslieblingen. Weil sie mit ihren 55 und 56 Jahren aber als betagt gelten, können sie keinen Nachwuchs mehr bekommen. Doch das wäre dringend notwendig, denn der Bestand der Asiatischen Elefanten in der Natur ist laut der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN gefährdet. Etwa 50.000 Tiere gibt es noch in freier Natur und es werden immer weniger.
"Pama und Zella sollen und dürfen natürlich hier ihren Lebensabend genießen", sagt der Zoologische Leiter der Wilhelma, Volker Grün. Die alte, kleine Anlage soll aber weichen. Gemeinsam mit Zoodirektor und Elefanten-Experte Thomas Kölpin planen sie eine neue, zehnmal größere Anlage mit Platz für bis zu 14 Tiere, die in einer Herde zusammenleben. Dort soll dann auch wieder für den Arterhalt gezüchtet werden, so Grün. Für das Projekt nimmt der Zoo viel Geld in die Hand, voraussichtlich 44 Millionen Euro.
Artenschutz - eine wesentliche Aufgabe moderner Zoos
Theo Pagel hat sich den Artenschutz zur Lebensaufgabe gemacht. Der Direktor des Kölner Zoos ist erst kurz vor dem Gespräch mit tagesschau.de von der CITES-Artenschutzkonferenz aus Panama zurückgekehrt. Als Beobachter des Weltzooverbandes (WAZA) hat er verfolgt, wie sich die Mitgliedsstaaten unter anderem zu einem strengeren Schutz bei Haien und Rochen geeinigt haben.
"Artenschutz ist heute eine wesentliche Aufgabe eines Direktors eines wissenschaftlich geleiteten Zoos", sagt Pagel. "Artenschutz ist unser Thema. Und zwar auch in der Hinsicht, dass wir tatsächlich unsere Besucher aufklären und für den Natur- und Artenschutz gewinnen wollen." Der Kölner Zoo unterstützt Artenschutzprojekte weltweit, vom Schutz der Wechselkröte vor der rheinischen Haustür bis zum Schutz von Reptilien und Amphibien in Vietnam. Rund zwei Millionen Euro hat der Zoo in den vergangenen 13 Jahren für den Artenschutz gespendet.
Die Rolle von modernen und wissenschaftlichen Zoos habe sich gewandelt, sagt Pagel. Die Zeiten von Zoos als reine Spaß- und Freizeiteinrichtungen seien vorbei. "Zoos haben in den letzten zehn Jahren nochmal einen Quantensprung gemacht. Wir arbeiten jetzt sehr eng mit der Weltnaturschutzunion, der größten Naturschutzvereinigung der Welt, zusammen. Wir Zoos sind Partner des Artenschutzes", so Pagel.
Auswildern nur bei guten Bedingungen möglich
Warum aber müssen Zoos Tiere in Gefangenschaft halten, wenn doch immer mehr Projekte in den Ursprungsregionen der Tiere unterstützt werden? Zoologen beantworten die Frage gerne, in dem sie von "Reservepopulation" sprechen. Tiere in Zoos dienten demnach der Arterhaltung und könnten irgendwann einmal ausgewildert werden. Wenn die Voraussetzungen dafür stimmen. Und daran mangelt es laut Volker Grün von der Wilhelma oftmals: "Man muss vor Ort auch erstmal die Bedingungen schaffen, dass Tiere wieder ausgewildert werden können". Es geht also auch um praktische Fragen: Gibt es noch genug Lebensraum und Nahrungsquellen?
Die Zucht von bedrohten Arten in Zoos koordinieren Experten des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms (EEP). "Das EEP hat alle Daten von den Tieren in Europa und weiß ganz genau, welche Tiere besonders gut zusammenpassen, sowohl genetisch, als auch vom Charakter her", sagt Grün. So werde man dann auch gemeinsam mit dem EEP die neue Elefanten-Zuchtgruppe in Stuttgart zusammenstellen.
Kritiker: Zoos müssen mehr tun
Biologe Torsten Schmidt vom Bund gegen den Missbrauch der Tiere beschäftigt sich schon länger mit der Haltung von Wildtieren in Zoos. Aus seiner Sicht sind die Artenschutzbemühungen der Zoos eher ein "zusätzlicher Werbefaktor", um Besucher anzulocken. Bislang seien viel zu wenig Tiere wieder ausgewildert worden. "Der Erhalt und Schutz der natürlichen Lebensräume muss eindeutig im Vordergrund aller Bemühungen stehen" und das sei bislang nicht der Fall, so Schmidt. "Verschwinden diese Lebensräume ist der Versuch Einzelexemplare bedrohter Tierarten als vermeintliche Reservepopulation in fernen Zoos zu halten und zu vermehren bereits aus ethischen Gründen fraglich".
Weil auch viele heimische Arten gefährdet sind, fordert Schmidt zudem, dass der Schwerpunkt bei der Haltung, Zucht und Wiederausbürgerung bedrohter heimischer Tierarten liegen müsse. Eine Ablehnung des Systems Zoo klingt anders.
Auch Wissensvermittlung wichtig
Bundesweit gibt es mehr als 800 zoologische Einrichtungen, 71 arbeiten wissenschaftlich. Auch die Naturschutzorganisation WWF unterstützt inzwischen wissenschaftlich geführte Zoos: "Gerade in der Umweltbildung kommt Zoos eine wichtige Rolle zur Wissensvermittlung und Aktivierung zu - bei Abermillionen von Besuchenden ist die Reichweite auch enorm", sagt Arnulf Köhncke, Leiter des Fachbereichs Artenschutz beim WWF.
Das unterstreicht auch Zoodirektor Theo Pagel aus Köln: "Unser Vorteil ist die Emotion: Wenn Sie mal einen Elefanten gerochen haben, dann lassen Sie sich emotional gewinnen und spenden etwa Geld für den Schutz."
"Wir haben schon Arten gerettet"
Kritikern begegnet auch Zoodirektor Pagel immer wieder. Er wirft ihnen dann gerne diesen Satz zu: "Egal, wie Sie über Zoos denken. Wir können auf jeden Fall sagen: Wir haben schon Arten gerettet. Und viele derer, die uns kritisieren, haben das noch nicht geschafft." Pagel spielt damit etwa auf die Rettung der Goldenen Löwenäffchen an.
In den 1990er-Jahren zählten Wissenschaftler nur noch knapp 600 Tiere in freier Natur. Inzwischen sind es, auch dank der Auswilderung von in Zoos geborenen Tieren, rund 3700. WWF-Artenschutzexperte Köhncke fügt hinzu: "Wisente wären ohne Zoos heute sehr wahrscheinlich ausgestorben."