Abzug aus Afghanistan Fehler von gestern, dramatische Lage heute
Versprochen ist der Untersuchungsausschuss zur letzten Phase des Afghanistans-Einsatzes schon lange. Jetzt hat der Bundestag darüber debattiert. Gleichzeitig zog Außenministerin Baerbock eine Zwischenbilanz ihres Aktionsplans für Afghanistan.
Es ist ein Bild, das sich auch in die Köpfe deutscher Politiker eingebrannt zu haben scheint: Verzweifelte Afghanen, die am Flughafen Kabul über Stacheldraht hinweg westlichen Soldaten ihre Babys reichen - um wenigstens sie vor den islamistischen Taliban zu retten.
Jedenfalls erinnerten gleich mehrere Abgeordnete unter Verweis auf diesen Akt der Aussichtslosigkeit an die letzten, hektischen, chaotischen Tage des insgesamt 20-jährigen Einsatzes in Afghanistan.
"Problematische Lagebewertung" der Bundesregierung
"Natürlich müssen wir die Frage stellen, warum die Bundesregierung nicht frühzeitig über den drohenden Machtgewinn der Taliban im Bilde war", erklärte der designierte Untersuchungsausschuss-Vorsitzende Ralf Stegner von der SPD. Und sprach von einer "problematischen Lagebewertung" der Bundesregierung im August vergangenen Jahres.
Pikanterweise wurde damals auch das Außenministerium von einem SPD-Politiker geführt, von Heiko Maas nämlich. Doch das ist nur eine von vielen bohrenden Fragen, die sich stellen: "Wie konnte es zu einer derart dramatischen Situation kommen? Daraus müssen wir für die Zukunft Lehren ziehen", fordert und fragt in einem Atemzug Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul. CDU/CSU formulierten den Ampel-Antrag jedenfalls mit.
Tausende Schutzbedürftige bangen weiter um ihr Leben
Eine der Folgen des hektischen Abzugs von damals jedenfalls ist, dass bis heute tausende Schutzbedürftige Afghaninnen und Afghanen um ihr Leben bangen müssen. Auch die Frage, warum die Helferinnen und Helfer der Bundeswehr, die sogenannten Ortskräfte, nicht frühzeitig in Sicherheit gebracht wurden, solange noch Zeit war, wird den Untersuchungsausschuss beschäftigen.
"Insgesamt sind zwei Drittel der Menschen, denen wir eine Aufnahme-Zusage erteilt haben, nun in Deutschland. Das sind insgesamt 21.000 Afghaninnen und Afghanen", erklärte Außenministerin Annalena Baerbock, als sie eine Zwischenbilanz ihres Afghanistan-Aktionsplans zog.
Sie verschwieg dabei aber nicht, dass es trotz eines neuen Abkommens mit dem Nachbarland Pakistan "mühsam" sei, für die noch unter Lebensgefahr Ausharrenden eine Lösung zu finden.
Frauen und Mädchen leben in ihrem Zuhause eingesperrt
Die Haupthindernisse dabei sind: Viele der Schutzbedürftigen haben keine Reisepässe. Die Taliban haben die Bewegungsfreiheit von Frauen und Mädchen erheblich eingeschränkt. "Die Taliban haben eiserne Regeln wie Gitterstäbe um ihr Leben gespannt. Frauen und Mädchen leben heute in ihrem Zuhause eingesperrt wie in einem Gefängnis." So drückt es die Außenministerin aus.
Es gibt kaum einen Zweifel, dass die Lage in Afghanistan ohne die Taliban an der Macht nicht so erbarmungswürdig wäre. Dafür aber hätten westliche Truppen und Bundeswehr wohl noch länger bleiben müssen.
Enquete-Kommission zum Gesamteinsatz
Während sich der Untersuchungsausschuss dem Abzug und der Schlussphase des Einsatzes widmen soll, ist eine Enquete-Kommission - ein weniger scharfes Instrument also - für die Aufarbeitung der gesamten Mission, der vollen 20 Jahre am Hindukusch vorgesehen.
"Der Abzug, so chaotisch er war, war nicht der Grundfehler. Sondern es waren die 20 Jahre Krieg in Afghanistan“" so sieht es die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen. Genau wie sie hätte sich auch der AfD-Abgeordnete Stefan Keuter einen breiteren Auftrag für den Untersuchungsausschuss, nämlich eine Aufarbeitung des Gesamteinsatzes, gewünscht.
Genügend haarsträubende Versäumnisse in den letzten eineinhalb Jahren der Mission gibt es für das Gremium indes auch so aufzuklären. Vorausgesetzt, bei den Ampel-Parteien und der Union gibt es den Willen dazu.