Ein Jahr Krieg im Sudan "Sie waren Monster, keine Menschen"
Vor einem Jahr eskalierte im Sudan der Machtkampf zweier Generäle. Seitdem versinkt das Land in Chaos und Gewalt. Hunderttausende Menschen sind geflohen. Werden die Täter irgendwann zur Rechenschaft gezogen?
Die Sonne brennt unerbittlich, das Personal hat die Seiten des Krankenhauszeltes geöffnet, damit zumindest etwas frische Luft zu den Patientinnen und Patienten hereinströmt. Auf den Betten liegen Kinder und Erwachsene, die meisten kämpfen mit schlecht verheilenden Schusswunden. "Die Menschen, die Opfer sexueller Gewalt wurden, liegen woanders", sagt Amadou Yacoubs und seufzt.
Yacoubs kommt aus dem Niger und arbeitet für die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen". "So eine Krise wie hier in Adré habe ich noch nicht erlebt", sagt er.
Adré ist eine kleine Stadt ganz im Osten des Tschad, direkt an der Grenze zur sudanesischen Region Darfur. Wenn auch außerhalb der eigentlichen Kriegsschauplätze gelegen, wird das Elend des Sudan-Konflikts hier sehr greifbar. Hunderttausende Sudanesinnen und Sudanesen sind in den letzten zwölf Monaten nach Adré geflohen. Verwundete, traumatisierte, völlig erschöpfte Menschen, oft mit kaum mehr im Gepäck als den Kleidern, die sie am Leibe tragen.
Täglich fliehen mehr Menschen in den Tschad
Dass der Tschad selbst eines der ärmsten Länder der Erde ist und die Vereinten Nationen und andere internationale Helfer auch angesichts der vielen Krisen weltweit mit akuten Finanzierungsengpässen zu kämpfen haben, macht alles noch einmal dramatischer. "Wir wissen gerade nicht, wann wir die nächste Nahrungsmittel-Verteilaktion organisieren können", sagt Vanessa Boi, Notfallkoordinatorin des UN-Welternährungsprogrammes in Adré. Täglich kämen mehr Schutzsuchende über die Grenze. Kein Wunder, denn drüben im Sudan stehen die Zeichen auch ein Jahr nach Ausbruch der Kämpfe weiter auf Eskalation.
Es war am 15. April 2023, als der Machtkampf zweier Männer im Sudan den drittgrößten Staat Afrikas komplett ins Chaos stürzte. Auf der einen Seite steht das sudanesische Militär um General Abdel Fattah al-Burhan, auf der anderen Seite die Rapid Support Forces (RSF), angeführt von Burhans ehemaligen Stellvertreter Mohammed Hamdan Daglo, genannt "Hemeti".
Die beiden Parteien bekämpfen sich mit äußerster Brutalität, immer wieder geraten Zivilisten zwischen die Fronten. Mehr als acht Millionen Sudanesen haben innerhalb des vergangenen Jahres ihr Zuhause verloren.
Lage in Darfur besonders dramatisch
Besonders dramatisch und menschenverachtend aber ist die Lage in Darfur. Hier nutzten die RSF und andere verbündete Gruppen offenbar die Kulisse des Krieges, um massive Verbrechen zu begehen. Tausende Menschen sollen dort allein innerhalb der ersten Kriegswochen massakriert worden sein, weitgehend ignoriert vom Rest der Welt.
Medial ist Darfur, wie inzwischen fast der ganze Sudan, ein schwarzes Loch. Bis auf wacklige Videoclips und Zeugenaussagen sind die Gräueltaten, die viele Beobachter bereits als Neuauflage des Völkermordes vor zwanzig Jahren sehen, schwer zu dokumentieren.
"Mädchen vor den Augen ihrer Eltern vergewaltigt"
Unterhält man sich in den Lagern von Adré mit Flüchtlingen aus Darfur, hat so gut wie jeder hier furchtbare Erlebnisse zu berichten. "Sie haben die Mädchen vor den Augen ihrer Eltern vergewaltigt", erzählt Zahraa Shushade, eine ältere Frau mit einem schwarz-goldfarbenen Blumenmuster-Kopftuch: "Sie waren Monster, keine Menschen."
"Kurz nachdem wir geflohen sind, haben die Milizen gemordet und unsere Häuser in Brand gesteckt", sagt Ines Abdallah. Die 27-Jährige studierte im Sudan Agraringenieurwesen, jetzt ist sie zusammen mit ihren zwei jüngeren Schwestern auf der Flucht. Unter einer Zeltplane suchen sie Schutz vor der Hitze, Geld haben sie so gut wie keines mehr. "Das Leben ist sehr hart hier im Tschad. Wir versuchen Arbeit zu finden, aber das ist sehr schwierig."
Werden die Täter irgendwann zur Rechenschaft gezogen?
Werden die Täter irgendwann zur Rechenschaft gezogen werden? "Ich hoffe es", sagt der sudanesische Anwalt Ahmed Majjir, der mit seiner Familie ebenfalls aus Darfur in den Tschad fliehen musste. Tagein, tagaus sammelt er Zeugenaussagen und wertet Aufnahmen aus, die im Internet hochgeladen werden. "Ich fühle mit den Leuten, sehe das große Unrecht, das ihnen widerfahren ist. Nur Gott kann diese Menschen entschädigen, aber ich will meine Arbeit machen, damit die Verbrecher bestraft werden", sagt er.
Ausländische Verbündete und Unterstützer
Und doch: Verantwortung für etwaige Kriegsverbrechen übernimmt derzeit kein Befehlshaber im Sudan. Sowohl Armeechef Burhan als auch Milizenführer "Hemeti" präsentieren sich ihren Anhängern als rechtmäßige Führer des Landes und setzen in diesem rücksichtslosen Krieg auf Sieg.
Es ist offensichtlich, dass beide Lager dabei auch auf ausländische Verbündete und Förderer zählen. Während Burhan von Ägypten - aber offenbar auch zunehmend vom Iran - unter anderem durch Drohnenlieferungen unterstützt wird, bleiben die Vereinigten Arabischen Emirate der wohl wichtigste Unterstützer der RSF. UN-Experten halten Berichte, wonach die Emirate Waffen über den Tschad nach Darfur bringen, für "glaubhaft".