Protestbewegung im Sudan Verfolgung bis in die Krankenhäuser
Bei Protesten gibt es im Sudan viele Tote - dennoch gehen weiter Menschen gegen die Militärregierung auf die Straße. Ärzte, die Demonstrierende versorgen, werden zu Ikonen der zivilen Opposition.
Die Ruhe vor dem Sturm: Im Arbaeen-Krankenhaus in der sudanesischen Hauptstadt Khartum macht sich Doktor Alaa Nogouf bereit für den Nachmittag. Im drittgrößten afrikanischen Land hat die zivile Protestbewegung eine Großdemonstration angekündigt. Nogouf weiß: Es wird Schwerverletzte und Tote geben.
Seit Monaten enden die Proteste stets blutig und die Opfer oft bei Nogouf im Krankenhaus. Er gehört dem "Unified Doctors Office" an - eine Vereinigung, die sich darauf spezialisiert hat, verwundete Demonstrantinnen und Demonstranten medizinisch zu versorgen. Die Ärzte werden als Idole verehrt, die Menschen auf der Straße haben sie "White Army" getauft - die weiße Armee.
In seinem weißen Kittel steht Nogouf am Eingang des Krankenhauses und blickt Richtung Straße. Gemeinsam mit Aktivist Heitham Mustafa sieht er die ersten Frauen und Männer mit Trommeln und Fahnen aufmarschieren.
Nogouf arbeitet eng mit Mustafa zusammen, er koordiniert den Transport der Verletzten ins Krankenhaus. "Oft müssen wir verletzte Revolutionäre mit dem Motorrad transportieren. Es ist nicht das beste Transportmittel, aber es bleibt uns nichts anderes übrig, bevor sie zu viel Blut verlieren", erklärt Mustafa.
Behörden bestreiten Todesfälle
Auch die Proteste am vergangenen Montag endeten wie erwartet blutig: Soldaten, Polizisten und Milizionäre setzten Tränengas gegen die Protestierenden ein und schossen scharf. Es gab drei Tote und Dutzende Verletzte. Laut den sudanesischen Ärzten sind seit Ende Oktober insgesamt 76 Menschen bei den Protesten gestorben. Die sudanesischen Behörden bestreiten dagegen, scharfe Munition gegen die Protestierenden abzufeuern.
Der Grund für die Unruhen: Das Militär um General Abdelfattah Al-Burhan hat die Macht im Sudan vollständig an sich gerissen. Nach dem Sturz von Langzeitherrschafter Omar Al-Bashir 2019 galt der zivile Premierminister Abdallah Hamdok lange als Hoffnungsträger, er sollte den Sudan in demokratische Wahlen führen. Anfang des Jahres trat er frustriert zurück. Zu klein war sein Gestaltungsspielraum, zu groß der Machtanspruch der militärischen Kräfte um Al-Burhan.
Die Regierungen Deutschlands und der USA sympathisieren mit der zivilen Opposition. Ihre Entwicklungsgelder haben sie nach der Machtergreifung von Al-Burhan Ende Oktober ausgesetzt. Dabei hätte der Sudan die Euros und Dollars bitter nötig, das ostafrikanische Land ist in Geldnot. Mitte Januar verlor der Sudan sein Stimmrecht bei den Vereinten Nationen, weil er seine Mitgliedschaftsgebühren nicht bezahlt hatte. Es ging um 300.000 US-Dollar. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage scheut Al-Burhan bislang einen kompletten politischen Bruch mit Europa und den USA.
Misstrauen gegen die UN
Im Inland greifen Al-Burhans Verbündete nicht nur auf den Straßen hart gegen Aktivistinnen und Aktivisten durch. Es kommt zu Verhaftungswellen: So wurde am vergangenen Wochenende die sudanesische Frauenrechtlerin Amira Osman nachts aus ihrem Zuhause von bewaffneten Männern abgeführt, die Vereinten Nationen (UN) fordern ihre Freilassung.
Die UN hat sich in dem Konflikt als Streitschlichter in Position gebracht und einen Vermittlungsprozess zwischen Protestbewegung und Militärregierung in Gang gesetzt. Das Misstrauen vieler der insgesamt 44 Millionen Sudanesinnen und Sudanesen ist jedoch groß, ein Teil der zivilen Opposition lehnt die UN als Mediator ab. In früheren Konflikten war den Vereinten Nationen im Sudan vorgeworfen worden, sie seien voreingenommen.
Sicherheitskräfte stürmen Kliniken
Ein Kompromiss zwischen Generälen und Protestierenden ist derzeit nicht Sicht. Im Gegenteil: Verletzte Demonstranten würden sogar bis in die Krankenhäuser verfolgt, sagt Doktor Alaa Nagouf mit ruhiger Stimme. Er deutet auf Aufnahmen von Überwachungskameras seines Krankenhauses: "Die Sicherheitskräfte haben das Krankenhaus gestürmt und mit Gewehren die Revolutionäre gesucht. Dabei haben die Krankenhäuser einen Unantastbarkeitsstatus, das sind klare Menschenrechtsverletzungen."
Nagouf rechnet mit weiteren blutigen Auseinandersetzungen in seinem Heimatland. Denn den Mut, auf die Straße zu gehen, haben Tausende Sudanesinnen und Sudanesen nicht verloren. Wenn ein Motorrad mal wieder als Krankenwagen herhalten muss und um die Straßenecke heizt, wird er in seinem weißen Kittel bereitstehen, um Leben zu retten.