Trudeaus Rücktritt Warum die Ikone der Liberalen gescheitert ist
Für viele Kanadier kam die Rücktrittsankündigung von Premier Trudeau eher zu spät. Sie werfen ihm eine verfehlte Einwanderungs- und Wirtschaftspolitik vor - und werden wohl bald neu wählen dürfen.
Die Szene war symptomatisch für das Ende der Ära Trudeau: Kurz vor seiner Rücktrittserklärung fegte ein kräftiger Windstoß das Redemanuskript vom Pult. Eisigen Gegenwind verspürte Trudeau spätestens seit Mitte Dezember, als seine langjährige Vertraute, die stellvertretende Premierministerin und Finanzministerin Chrystia Freeland im Streit mit Trudeau das Kabinett verließ.
Anschließend forderten immer mehr führende Liberale, Trudeau solle rechtzeitig vor der Wahl in diesem Jahr zurücktreten. "Es ist mir klar geworden", sagte Trudeau in seiner Rücktrittserklärung, "dass ich nicht die beste Option für die Wahl bin, wenn ich interne Kämpfe ausfechten muss".
Trudeaus Liberale im Umfragetief
Eine Entscheidung, die zu spät kommt, kommentieren die meisten Medien in Kanada. Seit Monaten befinden sich die Umfragewerte für Trudeau und die Liberale Partei im Sinkflug. Drei von vier Befragten in Kanada sprachen sich für seinen Rücktritt aus. Nur noch 20 Prozent wollen die Liberale Partei wählen. Doppelt so viele, mehr als 40 Prozent, bevorzugen die oppositionelle Konservative Partei.
Darrell Bricker, Chef des Meinungsforschungsinstituts Ipsos und einer der führenden Demoskopen in Kanada, sieht mehrere Gründe für das Scheitern von Justin Trudeau: "Die Sorge der Kanadier wegen der hohen Lebenshaltungskosten, der Mangel an bezahlbaren Wohnungen und, was früher nie ein Thema in Kanada war: die Einwanderungspolitik."
Trump machte sich über Trudeau lustig
Trudeaus progressive Einwanderungspolitik sorgte dafür, dass seit 2016 mehr als drei Millionen Einwanderer nach Kanada kamen. Zu viele, um sie vernünftig zu integrieren, räumte Trudeau selbstkritisch ein. Viele Kanadier hatten den Eindruck, der Premierminister ignoriere die Wirtschafts- und Alltagsprobleme und kümmere sich mehr um seine liberale Agenda, wie die Legalisierung von Cannabis oder die Aussöhnung mit den indigenen Völkern.
Schwierig gestaltete sich auch Trudeaus Versprechen, die kanadische Wirtschaft klimafreundlich umzubauen. Und für noch schlechtere Stimmung im Land, so Meinungsforscher Bricker, sorgte schließlich die Ankündigung des designierten US-Präsidenten Donald Trump, auf Importe aus Kanada Zölle in Höhe von 25 Prozent zu verlangen: "Unsere Wirtschaft ist unglaublich abhängig von den Handelsbeziehungen zu den USA. Die Zölle wären verheerend für die kanadische Wirtschaft."
Mit einem Blitzbesuch in Mar-a-Lago wollte Trudeau Trump umstimmen. Doch die Mission ging eher nach hinten los. Trump machte sich anschließend lustig über den "Gouverneur des 51. Bundesstaates" Kanada. Auch nach Trudeaus Rücktritt erneuerte Trump seinen Vorschlag, Kanada solle doch mit den USA fusionieren.
Neuwahlen könnten bereits im Mai stattfinden
Die politischen Turbulenzen in Kanada kommen zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Nicht nur wegen des Zollstreits mit Trump. Kanada hat gerade den Vorsitz der G7-Staaten übernommen. Bis das Parlament am 24. März wieder zusammenkommt, braucht die Liberale Partei eine neue Führung. Über das Verfahren will die Parteispitze in den nächsten Tagen entscheiden. Als Favoriten gelten die zurückgetretene Finanzministerin Freeland und der frühere Notenbankchef Kanadas, Mark Carney. Auch Außenministerin Melanie Jolie und der neue Finanzminister Dominic LeBlanc gelten als mögliche Nachfolger Trudeaus.
Doch egal, wer sich am Ende durchsetzt: Da weder die Konservativen noch die Linkspartei NDP mit den Liberalen regieren wollen, stellt sich Kanada auf vorgezogene Neuwahlen ein. Die könnten schon im Mai stattfinden und nach derzeitigem Stand der Konservativen Partei einen deutlichen Wahlsieg bescheren.
Deren Parteichef, der 45-jährige Pierre Poilievre, könnte Trudeau als Regierungschef beerben. Poilievre gilt als wirtschaftsnah aber bodenständig und ist eher ein traditioneller Konservativer, kein Rechtspopulist. Anders als Trump befürwortet er freien Handel, ist für eine starke NATO-Allianz mit den europäischen Bündnispartnern und er will die Ukraine weiter unterstützen.