Perus neuer Megahafen Chancay "Eine Machtdemonstration von Peking"
Ein Megahafen in Peru eröffnet China neue Möglichkeiten in Südamerika. Die Anlage in Chancay verkürzt die Fahrtzeit von Riesencontainern und könnte zu mehr Handel mit begehrten Rohstoffen führen. Und auch zu politischer Abhängigkeit?
Der Megahafen von Chancay ist das neueste Vorzeigeobjekt der chinesischen Seidenstraße-Initiative. Betrieben wird der Hafen vom chinesischen Unternehmen Cosco Shipping Ports. In wenigen Tagen wollen Perus Präsidentin Dina Boluarte und Chinas Staatschef Xi Jinping in der Hauptstadt Lima den Startschuss für die neue Zusammenarbeit geben.
In Chancay, einer kleinen Stadt zwischen Wüste und Meer, 75 Kilometer von Lima entfernt, lebten die 35.000 Bewohner bislang vom Fischfang und einem Freizeitpark. An Wochenende reisen Familien an, um Abenteuer zu erleben zwischen einer Gips-Ritterburg, Nachbildungen von Big Ben und einer russischer Kathedrale.
Mit der provinziellen Beschaulichkeit ist nun aber Schluss: "Unser Ziel ist es, das Singapur Lateinamerikas zu werden", sagt Verkehrsminister Raúl Pérez Reyes zu Journalisten. An Peru solle kein Weg mehr vorbeiführen.
"Wenn jemand aus Brasilien, Venezuela, Bolivien, Paraguay oder Argentinien nach Asien will, wird er Peru als Ausgangshafen für Asien betrachten. Das ist unser Ziel."
Anlegeplatz für die größten Containerschiffe
Geht es um den Hafen, geht es um Superlative. Auf einer Fläche von 100 Fußballfeldern ragen Spezialkräne in die Höhe. Fast vollautomatisch betrieben können hier die größten Containerschiffe mit einer Kapazität von bis zu 24.000 Containern an- und ablegen.
Die Reisezeit nach China beträgt nur 25 Tage, zehn Tage schneller als zuvor. Keine Umwege mehr über andere Häfen, das spart Zeit und Geld.
Bei der "Party" dabeisein
Jorge Nuñez betreibt ein kleines Hotel mit Meerblick. Plastikflamingos zieren den Innenhof, die Inneneinrichtung könnte aus den 1970er-Jahren stammen, alles blitzblank sauber. Im Hintergrund läuft chinesische Musik aus den Boxen.
Nuñez' Hotel ist seit Monaten ausgebucht mit Ingenieuren, oder Programmierern, die am Hafen arbeiten. Bald soll ein Sheraton-Hotel entstehen, ein Marriot auch. Nuñez will auf der Gewinnerseite stehen:
"Es wäre doch traurig, wenn wir, die Anwohner von Chancay, Gastgeber einer Party sind, an der wir dann nicht teilnehmen. Es werden viele Möglichkeiten kommen, aber nur wenige bereiten sich darauf vor."
Ein Schub für das ganze Land?
Mario de las Casas arbeitet für Cosco Shipping. Für ihn steigt Peru dank China endlich in die Liga auf, in die das Andenland gehöre: in die Champions League.
Das Land sei reich an Lebensmitteln, aber auch Rohstoffen wie Kupfer, Silber, Zink. Die Menschen fleißig, Politiker und Bürokraten aber meist unfähig und korrupt.
Lange sei Perus Blick zum Atlantik gegangen, jetzt zum Pazifik: "Südamerika wird doch sonst immer abgewertet: Wir taugen nicht, wir haben keine Kultur, wir sind wie Hinterwäldler, aber so ist es nicht!"
Rund um den Hafen sollen Hightech-Industrieparks entstehen, auch das Dienstleistungsgewerbe soll sich ansiedeln und der Region Jobs bringen. De las Casas schreitet im Stechschritt über die Baustelle, direkt zum neuen Tunnel, der den Hafen mit der Panamericana verbinden soll: "Das ist majestätische Ingenieurskunst."
Triumph der Ingenieurskunst oder ein Bauwerkohne Rücksicht auf Anwohner? Der Tunnel von Chancay.
China hat im Hafen das Sagen
Für diesen Tunnel gab es Sprengungen direkt neben einer Wohnsiedlung, nahezu Tür an Tür mit der Wohnung von Miriam Arce. Die erste Sprengung hat sie aus dem Schlaf gerissen. Wäre so etwas in Deutschland möglich?, fragt sie.
An ihren Hauswänden zeigen sich Risse, bei ihrer Nachbarin noch deutlicher. Das also sei der Respekt vor Bürgerrechten, und der peruanische Staat schaue weg. "Ich fühle sehr viel Ohnmacht, kann der chinesische Präsident nicht etwas Mitgefühl mit den Bürgern und der Umwelt hier haben, mit allem, was zerstört wird?"
Arce gehört zu einer Bürgerinitiative zum Schutz der Anwohner in Chancay und fordert mehr Transparenz. Denn der Hafen liegt ganz in privater Hand und steht damit unter chinesischer Kontrolle. Als das bekannt wurde, sorgte es für einen Skandal. Der Verdacht der Korruption lag in der Luft.
Arce fragt: Wie kann es sein, dass das chinesische Unternehmen Cosco entscheidet, wer zu welchem Preis am Hafen an- und ablegt, statt der peruanische Staat?
Zugriff auf Ressourcen und das politische Handeln
Tatsächlich sei China der große Gewinner in Peru, sagen Analysten wie Eric Farnsworth vom Wirtschaftsverband Council of the Americas. China sichere sich den Zugriff auf das ressourcenreiche Südamerika, wo es ohnehin meist Handelspartner Nummer eins ist.
Durch die Partnerschaft wachse auch die geopolitische Macht: "Es ist unzweifelhaft, dass Chinas Engagement in Entwicklungsländern dazu führt, dass es zum Beispiel auch bei Sitzungen der UN mit der Unterstützung seiner Partner rechnen kann. Die USA und Europa müssen ihr Engagement spürbar erhöhen, weil China Südamerika echte Vorteile bringt."
Mit dem Hafen habe China auch ein symbolisches Druckmittel gegenüber den USA, weil theoretisch chinesische Marineschiffe dort anlegen könnten, so Farnsworth: "Das ist eine Machtdemonstration von Peking in der westlichen Hemisphäre, die so noch nicht vorgekommen ist."
Die erste Bauphase ist nun beendet, die zweite bereits in Planung. Ende November beginnt die Testphase: Dann fahren die Containerschiffe von Chancay nach Shanghai.
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