Selenskyj zum russischen Angriffskrieg "Es geht nicht nur um die Ukraine"
Präsident Selenskyj hat in seiner UN-Rede Russland scharf angegriffen: Mit der Verschleppung ukrainischer Kinder begehe der Kreml Völkermord. Zugleich nutze Putin Nahrung und Energie als Waffen. Nicht nur die Ukraine sei in Gefahr, warnte Selenskyj.
Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ist es die erste Rede vor der UN-Vollversammlung seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. In New York warf er Russland vor, mit seiner Aggression auch viele andere Staaten zu bedrohen. "Es geht nicht nur um die Ukraine", sagte Selenskyj. "Wenn Hass als Waffe gegen eine Nation eingesetzt wird, dann hört es nie damit auf", mahnte er. "In jedem Jahrzehnt zettelt Russland einen neuen Krieg an."
Teile von Moldau und Georgien seien besetzt, Russland habe sich Belarus fast einverleibt, bedrohe Kasachstan, die baltischen Staaten - und die internationale Ordnung. "Viele Sitze in der Halle der Generalversammlung könnten leer werden, wenn Russland mit seinem Verrat und seiner Aggression Erfolg hat."
Lebensmittel und Energie als Waffen
Moskau greife die Ukraine nicht nur militärisch an, sondern nutze auch andere Instrumente als Waffen - "und diese Dinge werden nicht nur gegen unser Land eingesetzt, sondern auch gegen Ihres", sagte Selenskyj an die Adresse der Mitgliedstaaten gewandt.
"Russland setzt Lebensmittelpreise als Waffe ein", erklärte er. "Die Auswirkungen erstrecken sich von der Atlantikküste Afrikas bis nach Südostasien." Gezielt greife Russland die ukrainischen Häfen an, um für eine Lebensmittelverknappung auf dem Weltmarkt zu sorgen. Ziel des Kremls sei es, dadurch eine Anerkennung der durch Russland annektierten Gebiete zu erzwingen.
Selenskyj dankte den Ländern, die sich für den Getreidedeal für einen sicheren Transport durch das schwarze Meer eingesetzt hätten. "Leider hat Russland die Initiative untergraben", so der Präsident. Die Ukraine arbeite daran, alternative Landrouten für den Export zu nutzen. Es sei alarmierend zu sehen, wie einige Länder in Europa diese Initiative blockierten, um vermeintlich ihre eigenen Interessen zu verfolgen - "dabei helfen sie Russland".
Nicht nur Lebensmittel, auch Energie werde von Moskau als Waffe genutzt, um Regierungen anderer Länder zu schwächen. Immer wieder habe der Kreml Öl und Gas eingesetzt, um andere Staaten zu schwächen.
Doch nun nutze Russland auch Atomenergie als Waffe. Atomkraftwerke würden in sogenannte "schmutzige Bomben" verwandelt, so Selenskyj und verwies auf das ukrainische Atomkraftwerk in Saporischschja. Die internationale Gesellschaft habe bislang keine Regeln für eine solche Form der Kriegsführung aufgestellt. "Terroristen haben kein Recht, Atomwaffen zu besitzen", mahnte Selenskyj mit Blick auf Russland und dessen Drohungen mit nuklearem Vernichtungspotenzial.
Selenskyj wirft Russland Völkermord vor
In seiner Rede sprach der ukrainische Präsident auch über die Verschleppung ukrainischer Kinder. "Diesen Kindern wird in Russland beigebracht, die Ukraine zu hassen, und alle Verbindungen zu ihren Familien werden zerbrochen", sagte der Präsident. "Das ist eindeutig ein Genozid."
Der Aggressor müsse seiner Waffen beraubt werden, betonte Selenskyj und lud die internationale Gemeinschaft zu einem Friedensgipfel ein: "Ich lade Sie alle - Sie alle, die keine Aggression tolerieren, ein, gemeinsam diesen Gipfel vorzubereiten."
Der ukrainische Präsident warnte vor Versuchen, hinter den Kulissen "zwielichtige Geschäfte" zu machen. "Dem Bösen darf nicht vertraut werden", sagte Selenskyj mit Blick auf Russland und dessen Präsidenten Wladimir Putin. "Fragen Sie Prigoschin."
Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, war im August bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen - auf den Tag genau zwei Monate nach einer Rebellion der Wagner-Söldner, durch die Prigoschin bei Putin in Ungnade gefallen war. Die Ukraine und viele westliche Länder vermuten hinter dem Flugzeugabsturz daher einen Racheakt des Kreml, was Moskau jedoch zurückweist.
"Müssen der nackten Aggression die Stirn bieten"
Zuvor hatte bereits US-Präsident Biden in seiner UN-Rede an die Weltgemeinschaft appelliert, die Ukraine zu unterstützen. "Die Welt muss der nackten Aggression heute die Stirn bieten, um andere potenzielle Aggressoren von morgen abzuschrecken", sagte Biden. "Wenn wir zulassen, dass die Ukraine zerstückelt wird, ist dann die Unabhängigkeit irgendeiner Nation sicher? Die Antwort ist nein."
Russland glaube, dass die Welt müde werde und dass Moskau die Ukraine ohne Konsequenzen brutal behandeln könne. Wenn die Kernprinzipien der UN-Charta aufgegeben würden, "um einen Aggressor zu beschwichtigen, kann sich dann irgendein Mitgliedsstaat sicher fühlen, dass er geschützt ist?", fragte Biden an die Adresse der UN-Mitgliedsstaaten gewandt.