US-Wahl 2024

Kamala Harris winkt auf dem Parteitag der Demokraten in Chicago (USA) den Delegierten zu.
interview

Parteitag der US-Demokraten "Es wird noch ein harter Kampf für Harris"

Stand: 23.08.2024 17:09 Uhr

Nach dem Parteitag der Demokraten wissen die US-Wähler nun etwas genauer, was Kamala Harris inhaltlich will, sagt die US-Expertin Cathryn Clüver Ashbrook. Doch vieles bleibe noch vage - und das Rennen sei knapp.

tagesschau.de: Was war für Sie in dem Auftritt von Kamala Harris das bestimmende, das herausragende Element?

Cathryn Clüver Ashbrook: Sie hat zwei Dinge gemacht. Sie hat ihre eigene Geschichte geschickt mit der der der Vereinigten Staaten verbunden in einer modernen Einwanderungsgeschichte - eine Erzählung, die viele Amerikaner kennen. Sie hat das verbunden mit Kernwerten, für die die Amerikaner immer einstehen. Das Verständnis von Gemeinschaft, Gemeinde, Heimatverbundenheit, das füreinander Einstehen. Diese Kernwerte haben den ganzen Parteitag geprägt hat, auch durch den Vizepräsidentschaftskandidaten Tim Walz. Harris hat dies mit ihrem progressiven politischen Ansatz verbunden - die Mittelschicht stärken, arbeitende Familien stärken.

Interessanterweise ist sie im dritten Teil stark auch auf außenpolitische Themen eingegangen. Auf den impliziten Vorwurf, dass eine Frau nicht die für dieses Amt nötige Entscheidungskraft habe. Sie hat betont, wie stark sie die Entscheidungen in der Ukrainefrage mitgetragen hat. Der größte Applaus kam ihr entgegen, als sie sich für eine bessere Lösung für den Nahen Osten aussprach - über einen Waffenstillstand hinaus, für die Würde und die Freiheit der Palästinenser, aber auch mit weiterer Unterstützung Israels im Kampf gegen die Hamas. Beide Klammern haben für sehr großen Applaus im Saal gesorgt, mehr noch als andere Themen, die sie vorher angesprochen hatte.

"Vielleicht eine verpasste Chance"

tagesschau.de: Harris hat bislang der Vorwurf begleitet, sie bleibe inhaltlich im Vagen, scheue vielleicht auch aus taktischen Gründen die Auseinandersetzung. Lässt sich dieser Vorwurf am Ende dieses Parteitags noch aufrechterhalten? Wissen die Amerikaner jetzt mehr über das, was sie in den kommenden vier Jahren angehen will?

Clüver Ashbrook: Sie wissen insofern mehr, als dass die politische Linie, die die Biden-Harris-Administration über die vergangenen fast vier Jahre verfolgt hat, jetzt eine persönlichere Dimension und in bestimmten Bereichen eine noch stärkere Betonung bekommen hat. Als Vizepräsidentin war es nicht ihre Aufgabe, eigene Akzente zu setzen. Aber es ist die Aufgabe der Kandidatin Kamala Harris.

Sie hat über die Dinge gesprochen, für die sie schon seit Jahren eintritt, über die Frage der individuellen Rechte, die Frage der unterschiedlich gearteten individuellen Freiheiten. Sie hat in ihrer Parteitagsrede interessanterweise weniger über ihr Wirtschaftsprogramm gesagt, hat dort weniger zusätzliche konkrete Akzente gesetzt, als sie es bereits im Wahlkampf getan hatte - vielleicht eine verpasste Chance.

Cathryn Clüver
Zur Person

Cathryn Clüver Ashbrook ist Leiterin des Future of Diplomacy Projects an der Harvard Universität. Die Deutsch-Amerikanerin ist Expertin für Außenpolitik und hat viele Jahre als Journalistin gearbeitet.

"Auch Trump ändert seine Linie immer wieder"

tagesschau.de: Liegt darin nicht auch ein Risiko? Denn möglicherweise wird am Ende die Wirtschaft den Ausschlag für das Wahlverhalten geben, weil es vielen Amerikanern derzeit insgesamt schlechter als unter Trump geht - aus den unterschiedlichsten Gründen.

Clüver Ashbrook: Harris hat vor etwa einer Woche ihre Wirtschaftspolitik umrissen, aber danach gab es offizielle Korrekturen an den Arbeitsmarktzahlen - nicht gerade gut für die Kandidatin. Wir werden - aus taktischen Gründen - vermutlich erst in der ersten Debatte am 10. September genau hören, wie sie sich von Donald Trump absetzen will. Umgekehrt muss man Donald Trump attestieren, dass auch er seine Linie bei handels- und wirtschaftspolitischen Fragen immer wieder ändert, zum Beispiel, wenn er Strafzölle auf chinesische Güter in unterschiedlichster Höhe von 60 Prozent oder gar bis 100 Prozent fordert. Ich glaube, viele Wähler sind weiterhin im Unklaren, wie sich die Pläne von beiden Seiten auswirken würden.

Vorerst geht es Kamala Harris darum, erst mal Anknüpfungspunkte zu finden für mögliche Nichtwähler, Wechselwähler, Wähler der Mitte. Dass sie genug finden, mit dem sie sich identifizieren können und dass sie vor allem überhaupt wählen gehen.

"Es kommt darauf an, auf welchen Kongress sie trifft"

tagesschau.de: Harris hat vor dem Parteitag Themen angesprochen wie die Finanzierung von Immobilien, die Krankenversorgung, die Lebensmittelpreise und die Kosten der Kinderbetreuung. Das klingt alles nach einer sehr aktiven Rolle des Staates. Ist auch das nicht politisch gewagt?

Clüver Ashbrook: Das knüpft an eine Tradition des früheren Präsidenten Franklin Delano Roosevelt an. Die Biden-Administrationen hat das auch probiert und ist dann zum Teil am Kongress gescheitert. Das will Harris wieder aufnehmen. Aber dann wird es darauf ankommen, auf welchen Senat, auf welchen Kongress sie trifft.

Vorerst sind es Wahlkampfbotschaften, die sich an ihr Wahlpublikum und an die Gruppen richten, die sie gewinnen muss. Das sind die Frauen aus der Vorstadt. Das sind vor allen Dingen weiße Frauen, für die jetzt bestimmte Individualrechte eingeschränkt sind. Die will sie auf ihre Seite ziehen. Ihre Botschaften können verhaften, aber in der Realität könnten sie für den amerikanischen Steuerzahler unterm Strich teuer werden.

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tagesschau24, 23.08.2024 09:00 Uhr

Taktische Züge in der Migrationspolitik

tagesschau.de: Ebenfalls als offene Flanke gilt das Thema Migration. Hat Harris Hinweise gegeben, wie sie auf Vorwürfe reagieren will, sie sei für den starken Anstieg der Migrationszahlen mitverantwortlich?

Clüver Ashbrook: Harris führt als Argument den überparteilich beschlossenen Gesetzesentwurf zur Eindämmung der Migration an der Südstaatengrenze an. Die Demokraten sind damals als taktischer Schachzug auf eine Forderung der Republikaner nach einem schärferen Grenzregime im Süden des Landes eingegangen - aber in Verbindung mit weiterer Militärhilfe für die Ukraine und für Israel.

Dieser gemeinsame Gesetzentwurf von Republikanern und Demokraten ist von Donald Trump gestoppt worden, indem er Mike Johnson, dem Sprecher des Repräsentantenhauses, erklärt hat, er brauche diese vermeintliche Schwachstelle der Demokraten für den Wahlkampf. Johnson hat daraufhin den Beschluss gestoppt. Darauf hat sich Harris stark konzentriert und erklärt, dass es eine gemeinsame Lösung für ein nationales Problem braucht und die Demokraten dafür einen Vorschlag gemacht haben.

"Neue Motivation für den Straßenwahlkampf"

tagesschau.de: Haben Sie den Eindruck, dass die die Demokraten auch ausweislich dieses Parteitages zu einem anderen Umgang mit Trump und seiner Politik gefunden haben? Dass bis vor einem Monat noch überwiegend Angst herrschte und sich jetzt eine gelassenere Haltung, vielleicht auch mit Mitteln des Humors, durchgesetzt hat - und dass das auch ankommt bei den Wählern?

Clüver Ashbrook: Ja, absolut. Sie haben für viele Konzepte, auf die sie sich schon geeinigt hatten, neue Ideen gefunden. Sie haben den richtigen Angriffspunkt, dass Trump nach einer Wiederwahl demokratiezersetzende Energien freien Lauf lassen würde - aber sie haben hier den Ton verändert. "Demokratie" war vielen Wählern zu abstrakt - nun setzt die Partei auf den Begriff der Freiheit und verbindet ihn mit einer Dimension des Pluralismus, der Diversität, für die Amerika auch in der Welt steht.

Auch Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz hat mit seinem Bild der "merkwürdigen Anderen" zu einem neuen Sprachbild beigetragen. Dem rückwärtsgewandten "Make America Great Again" der Republikaner setzen Harris und die Demokraten ihr vorwärts gerichtetes "We are not going back" entgegen.

Auf dem Parteitag war immer wieder die Rede davon, dass die Idee von Amerika eine immer fortschreitende, sich entwickelnde Idee ist, die von den Menschen geformt und von der Gemeinschaft nach vorne getragen wird. Das scheint in den Sprachbildern gut zu funktionieren und den Delegierten eine neue Motivation für den Straßenwahlkampf zu verleihen. Die haben sie gebraucht, denn die Umfragewerte zeigen, dass es immer noch ein sehr enges Rennen ist.

Deswegen war Oprah Winfreys Stimme vielleicht so wertvoll, die gesagt hat "Ich bin eine registrierte, unabhängige Wählerin, aber in diesem Moment kann man nicht mehr unabhängig sein." Diese Botschaft müssen die Delegierten und die vielen Wahlkämpfer an der Basis für ihre Kandidatin noch weiter ins Land tragen.

"Es ist weiter ein Kopf-an-Kopf-Rennen"

tagesschau.de: Die Strategen der Republikaner setzen offenbar darauf, dass der Aufschwung der Demokraten ein vorübergehender Effekt ist und dass sich die Umfragen im September wieder zugunsten von Trump ändern werden. Ist das eine berechtigte Erwartung?

Clüver Ashbrook: Die Umfragen sind weiterhin sehr eng, sie haben sich auch während des Parteitags hin und her bewegt und zeigen auch in den Swing States zum Teil einem Abstand von nur zwei Prozent zwischen Harris und Trump, der immer als statistische Fehlerquote angeführt wird. Es ist weiterhin ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Im Moment profitieren die Demokraten von einer unglaublichen medialen Aufmerksamkeit, auch durch den mit vielen Stars besetzten Parteitag, der auch in der Popkultur für Nachrichten sorgt. Deshalb haben aber zum Beispiel Michelle und Barack Obama gewarnt, dass die Arbeit der Demokraten jetzt erst losgeht: "Do Something!", war ihre Aufforderung an die Delegierten. Zumal Trump schon wieder angekündigt hat, er würde das Wahlergebnis anzweifeln. Das könnte umso stärker wirken, je enger das Wahlergebnis ist.

Harris muss die Wähler in kürzester Zeit überzeugen. Normalerweise hat ein Kandidat fast ein Jahr den Luxus, sich den Amerikanern vorstellen zu können. Wird Harris also die kurze Frist reichen? Trumps Anhänger haben trotz der Tatsache, dass er ein erratischer Kandidat ist, das Gefühl, er sei ihr Fürsprecher, ihr ideologischer Vorkämpfer. Von dieser Basis wird Harris keinen gewinnen. Es geht für sie darum, die schmale Mitte von fünf bis maximal zehn Millionen Wähler auf ihre Seite zu ziehen. Und das wird noch ein harter Kampf für sie.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de