Das zerstörte Begegnungszentrum "Dar as-Salam" in Wardaniyeh
reportage

Chouf Gebirge im Libanon Eine trügerische Sicherheit?

Stand: 11.10.2024 05:00 Uhr

Ein deutsch-libanesisches Begegnungszentrum galt als Platz für Hilfe und Sicherheit - bis zu einem Angriff mit Toten und Verletzten. Gab es jemanden im Haus, der mehr war als nur ein Vertriebener?

Said Arnaout ringt um Fassung. Der 73-Jährige aus Tübingen kann immer noch nicht begreifen, was passiert ist. Seine Begegnungsstätte, ein interkulturelles Zentrum im Libanon zerstört, sechs Menschen sind tot, zahlreiche verletzt. Eine Warnung habe es nicht gegeben, sagt er: "Von Israels Seite kam keine Nachricht. Im Krieg gibt es keine Pause und kein Erbarmen."

Vor 25 Jahren gründete der Deutsch-Libanese mit anderen das "Dar as-Salam" - das Haus des Friedens, um eine Begegnungsstätte und einen Ort für Weiterbildungen zu schaffen - nach dem Vorbild deutscher Akademien

"Die Begegnungsstätte war weit anerkannt, auch der deutsche Botschafter war mal im Haus, auch von den Vereinten Nationen und der schwedische Konsul. Wir haben eine Brücke zwischen Deutschland und dem Libanon gebaut", sagt Said Arnaout.

Zahlreiche Flüchtlinge aufgenommen

Seine Frau zeigt ein Foto: ein freundliches großes Gästehaus im Chouf Gebirge im Libanon, inmitten einer idyllischen Ortschaft, viele Bäume, viel Grün. Vor dem Gästehaus auf der Terrasse stehen Tische und Stühle, ein Sonnenschirm. Es sind Eindrücke aus friedlichen Zeiten. Mehr als 6.000 deutsche Besucher waren in den vergangenen Jahren hier zu Gast, berichtet das Paar stolz.

Aber der Krieg im Libanon hat auch das Haus des Friedens eingeholt: Zahlreiche Flüchtlinge aus dem Süden wurden hier aufgenommen, etwa 80 Menschen waren im Haus, als am Mittwoch zwei Raketen das oberste Stückwerk trafen - nur eine davon detonierte. Das Haus brach teilweise ein.

Opfer sind keine Fremden

Die Opfer sind keine Fremden. "Die Flüchtlinge, die wir aufgenommen haben, kannten wir fast alle persönlich. Der Schuldirektor war ein Kollege meiner Frau. Und die zwei Kinder schreien jetzt nach dem Vater."

Warum wurde ihre Begegnungsstätte getroffen? Said Arnaout, der seit 1972 in Deutschland lebt, und seine Frau können das nicht verstehen. Auch Heike Mardirian, Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Beirut, kannte das Haus gut: "Jetzt in diesem Moment war das eine Stätte, die die Menschen wahrgenommen haben, weil sie dachten, dass sie da in Sicherheit sind."

Eine trügerische Sicherheit?

Eine trügerische Sicherheit also? Friederike Weltzien, langjährige Pfarrerin aus Stuttgart, die im Libanon gelebt hat und vor wenigen Wochen noch im Haus des Friedens war, lässt diese Frage nicht los. "Es war so ein Ort, von dem einfach Hilfe ausging für die ganze Umgebung. Warum der bombardiert wurde, das ist uns so ein Rätsel", sagt sie.

Die israelische Armee betont, sie gehe im Libanon gezielt gegen die Hisbollah vor. Doch das Bombardement der Begegnungsstätte zieht dieses Narrativ in Zweifel. Oder gab es doch jemanden im Haus, der mehr war als nur ein Vertriebener?

"Das ist wahrscheinlich unser Verhängnis geworden, das man das eben nicht sicherstellen kann", so Weltzien. Man könne es den Menschen nicht ansehen. Gekommen seien hauptsächlich Frauen, Kinder und Familien. "Es wirkte auf uns so, dass es eben keine Hisbollah-Leute sind."

Keine Stellungnahme der israelischen Armee

Wie "gezielt" und "begrenzt" - das sind Formulierungen, die Israel immer verwendet - ist der Krieg im Libanon wirklich? Eine ARD-Anfrage bei der israelische Armee um eine Stellungnahme zu dem Angriff auf das Begegnungszentrum bleibt unbeantwortet.

"Ich denke, wenn es ein solches Zentrum trifft, dann ist schon eine ziemliche Schwelle überschritten", sagt Bente Scheller von der Heinrich Böll Stiftung. Sie ist erschüttert, als sie von dem Bombardement erfährt. "Das Zielgerichtete, das wir in einigen politischen Tötungen vorher durchaus gesehen haben, spiegelt sich in dieser Art des Angriffs nicht wider."

Sie war sehr oft selbst in dem Haus zu Gast, berichtet Scheller. Es sei ein wichtiger Ort der Begegnung in der schwierigen politischen Landschaft des Libanon mit seinen vielen Konfessionen und der Bürgerkriegsvergangenheit. "Das Besondere an diesem Begegnungszentrum war schon auch die Lage in den Bergen. Das war eine eine Atmosphäre, in der man sich sicher fühlte in einen Austausch zu gehen - auch über heikle Themen. Und die gibt es im Libanon ja zuhauf."

"Dar as Salam" soll wieder aufgebaut werden

Und genau deswegen müsse es weitergehen mit "Dar as Salam" - da sind sich alle einig. Viele Deutsche melden sich solidarisch bei den Gründern, in Bad Kreuznach wird es eine Mahnwache geben.

"Den Ort lasse ich nicht fallen", sagt Friederike Weltzien aus Stuttgart. "Das ist ein Ort, der dafür steht wiederaufzubauen, weiterzumachen und nicht aufzugeben, sich nicht von diesen Angriffen das zerstören zu lassen, was der Geist dieses Ortes ist."

Und auch Heike Mardirian sagt: "Die wird wieder aufgebaut. Wie vieles im Libanon. Und wir geben nicht auf." Aufgeben wollen auch der Tübinger Said Arnaout und seine Frau nicht. Wenn irgendwie möglich: Sie wollen ihre Begegnungsstätte wieder aufbauen. "Wir brauchen Sicherheit, wir brauchen Frieden, wir brauchen Stabilität, wir brauchen Unterstützung", sagt Latife Arnaout - damit der Libanon trotz des Krieges in der Zukunft wieder ein Haus des Friedens hat.