Lage am Kabuler Flughafen Rauskommen, bevor es zu spät ist
In Kabul wächst die Verzweiflung der Menschen, die Afghanistan verlassen wollen. Wohl schon bald heben die letzten Evakuierungsflüge ab. Doch überhaupt zum Flughafen durchzukommen, wird immer schwieriger.
Amir ging zu einem Hotel in der Innenstadt von Kabul, weil er erfahren hatte, dass er von hier zum Flughafen kommt. "Hier waren früher immer die ausländischen Diplomaten, bevor die Taliban die Kontrolle übernommen haben", sagt er. "Jetzt wird es von Taliban-Kämpfern bewacht. Es ist eine große Menschenmenge dort, weil jeder weiß, dass dort die Busse abfahren."
Und auch das weiß in Kabul inzwischen praktisch jeder: Wer vor den Flughafentoren steht, hat so gut wie keine Chance mehr reinzukommen. Man muss zu einem der geheimen Treffpunkte in der Stadt, dort hat man größere Chancen. Amir - der seinen richtigen Namen nicht nennen will - ist 34 Jahre alt, ehemalige Ortskraft der Bundeswehr, sagt er - und schickt ein Bild, das ihn mit deutschen Soldaten zeigt. Er habe es bisher nicht auf einen der Evakuierungsflüge geschafft, deshalb sei er zu diesem Hotel gegangen. Ähnlich wie am Flughafen seien auch da viele gewesen, die kaum Chancen hätten, ausgeflogen zu werden.
"Ich habe Leute gesehen, die hatten einfach Antragsformulare für elektronische Personalausweise dabei. Die dachten, damit käme man auch rein", erzählt er. Amir versuchte es auch: "Ich wollte einen der Taliban fragen, wie man reinkommt und welche Dokumente man genau braucht. Es waren so viele Menschen dort, selbst die Taliban konnten sie nicht unter Kontrolle bringen. Da haben sie angefangen, die Menschen mit Peitschen und Stöcken auseinanderzutreiben. Ich habe auch einige Peitschenhiebe abbekommen. Das war wirklich schlimm."
Kein Durchkommen mehr am Flughafen
Es wird immer schwerer, zum Flughafen zu kommen. Die Taliban hatten erklärt, dass sie nur noch diejenigen durchlassen, die gültige Papiere haben - für einen der Flüge. Man komme tatsächlich gar nicht mehr durch, sagte der Kabuler Akhtar Mohammad einem Reporter der Nachrichtenagentur AP. "Sie lassen die Menschen nicht in den Flughafen, um in andere Länder zu reisen." Auf der einen Seite stünden die Mudschaheddin, also Taliban-Kämpfer, auf der anderen die ausländischen Soldaten, die die Menschen am Betreten des Flughafens hinderten.
Die Menschen, die nun zum Flughafen drängten, hingen nur Phantasien nach, sagte Taliban-Führer Mullah Yakub. Wenn sie unbedingt für Jobs ins Ausland gehen oder ihr Leben verbessern wollten, könnten sie später Pässe beantragen und über legale Wege das Land verlassen.
Taliban-Sprecher Zabihullah Mudschahid hatte sich schon zu Beginn der Woche über diejenigen gesprochen, die das Land verlassen wollen: "Diese Menschen sind bedauernswert, wir haben wiederholt verkündet, dass sie keine Angst haben sollen, niemand wird ihnen etwas antun, sie sollen in ihre Häuser zurückkehren, seien Sie versichert, (und) die religiösen Kleriker sollten ihre Rolle bei der Übermittlung dieser Botschaft erfüllen."
Heute wohl letzte Bundeswehr-Flüge
Derweil geht die Evakuierung weiter. Heute soll es noch vier Bundeswehr-Flüge geben. Am Nachmittag könnte dann nach derzeitiger Planung die letzte deutsche Maschine aus Kabul abheben. Schon jetzt ist klar, dass viele deutsche Ortskräfte nicht dabei sein werden. Dennoch könnte es danach noch Möglichkeiten für sie geben, das Land zu verlassen - auf dem Landweg, aber auch mit zivilen Flügen.
Der deutsche Botschafter in Kabul, Marcus Potzel, teilte gestern Abend auf Twitter mit, er habe mit einem hohen Taliban-Vertreter darüber in der katarischen Hauptstadt gesprochen. Der Taliban habe den Deutschen zugesagt, dass Afghanen mit gültigen Papieren auch nach dem 31. August in ein Flugzeug steigen dürfen, das das Land verlässt.