Ein Jahr Taliban-Regime Die Hardliner haben das Sagen
Ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban gehen in Afghanistan weiter Frauen für ihre Rechte auf die Straße. An den Zuständen ändert sich wenig: In der Provinz Kandahar haben die Taliban ihre Ziele schon erreicht.
Zwei Tage vor dem Jahrestag der Taliban-Machtergreifung haben sich mehr als 30 Frauen am Morgen in Kabul auf die Straße gewagt. Sie wollten vor das Bildungsministerium ziehen, um für scheinbar banale Rechte zu demonstrieren: "Für Brot, Arbeit und Freiheit." Denn mehr als die Hälfte der Menschen in Afghanistan muss im neuen Islamischen Emirat der Taliban hungern, viele haben ihre Jobs verloren. Und dass es kaum noch Freiheiten für Frauen gibt, mussten die Demonstrantinnen nach wenigen Minuten aufs Neue miterleben.
Ehemalige Taliban-Kämpfer, die nun in Kabul als Polizisten agieren, schossen sekundenlang in die Luft. Ein grausames Feuerwerk, mit dem sie Macht demonstrieren wollen. Panik bricht aus. Die Taliban verhaften einige Frauen und auch internationale Journalistinnen und Journalisten. Bilder und Videos der Protestaktion löschen sie von den Handys, halten die Frauen und Medienleute mehrere Stunden in Gewahrsam. Erst am Abend lassen sie ihre Gefangenen wieder frei.
"Brot, Arbeit, Freiheit!", fordern die Frauen bei einer Demonstration in Kabul, kurz bevor die Taliban in die Menge schießen.
Geschlechtertrennung - zu Lasten der Frauen
Niemand wurde körperlich verletzt. Dafür wieder einmal die Rechte der Frauen und die der Medien, die darüber berichten wollten. Einen Tag später traut sich Zainab, die auch auf dem Protest war, zu einem Interview: "Als die Taliban vor einem Jahr die Macht übernommen haben, habe ich alles verloren: Meine Identität, meine Freiheit, meine Ziele im Leben", sagt sie. "Viele meiner Freundinnen sind ins Ausland geflohen. Aber jetzt müssen wir, die noch hier sind, darum kämpfen, dass wir unsere Träume doch noch erfüllen können."
Geschlechtertrennung in der Taliban-Praxis: Frauen müssen in einem Taxi im Kofferraum mitfahren, ein kleiner Junge sitzt im Passagierraum.
Die Träume der jungen Frauen in Kabul stimmen aber nicht mit den Vorstellungen der Islamisten überein, die vor einem Jahr die Macht ergriffen haben. Menschenrechtsverletzungen - die gebe es nicht unter den Taliban, sagt Abdul Rahman Tayyebi. Er ist in der Provinz Kandahar der Direktor vom Ministerium zur "Förderung der Tugend und zur Verhinderung des Lasters", das das Islamische Emirat installiert hat, um das ehemalige Frauenministerium zu ersetzen.
Sie sind besorgt über die Zustände in meiner Heimat? Das ist Ihre Perspektive, als Ausländerin. Aber ich lebe in diesem Land und ich will mein Haus und meine Heimat so gestalten, wie ich es für richtig halte.
Mit der Gebetskette in der Hand sitzt er auf dem Sofa in seinem Büro. Den Blick stur geradeaus verkündet er stolz, dass er die Anweisungen aus dem Ministerium aus Kabul bereits umgesetzt habe: "Wir haben in unserer Provinz durchgesetzt, dass Männer und Frauen sich außerhalb des Hauses kaum mehr einander begegnen. Dort wo sich Frauen aufhalten, dürfen keine Männer sein." In der Praxis bedeutet das eher: Dort wo sich Männer aufhalten, dürfen keine Frauen sein.
Kandahar, Herzland der Taliban
In Kandahar, im Herzland der Taliban, war das keine allzu schwere Aufgabe. In Restaurants müssen Familien mit Frauen am Tisch hinter Vorhängen essen, damit fremde Männer keine Blicke auf sie werfen können. Seit der Machtübernahme der Islamisten sind auch die öffentlichen Parks nach Geschlechtern aufgeteilt: Familien dürfen hier nicht mehr picknicken oder gemeinsam spazieren gehen. Fast die ganze Woche sind hier nur noch Männer unter sich - außer mittwochs, dann ist Frauentag.
Der Gründer der Taliban, Mullah Omar, ist in der Provinz Kandahar geboren, hier sind die Islamisten zum ersten Mal 1994 in Erscheinung getreten. Eine erzkonservative, zutiefst religiöse Region. Die meisten Frauen tragen traditionell die Burka.
Die wichtigsten Entscheidungen im Islamischen Emirat kommen auch heute wieder aus Kandahar. Hier tagt die Schura, die höchste Entscheidungsinstanz bei den Taliban, bei der im letzten Jahr auch der neue Staatsaufbau im Islamischen Emirat bestimmt wurde.
Junge Frauen wollen nicht aufgeben
Und auch kurz bevor das neue Schuljahr im März in Afghanistan wieder begonnen hatte, sollen Hardliner bei einer Schura dagegen gestimmt haben, dass die Mädchen zur weiterführende Schule gehen dürfen. Junge Frauen in anderen Teilen des Landes, vor allem in der Hauptstadt Kabul, wollen sich den islamistischen Vorgaben aber nicht beugen.
Zwanzig Jahre lang, also fast ihr ganzes Leben, haben sie die Freiheiten einer Republik erlebt, die sie nicht mehr aufgeben wollen: "Sie werden uns nicht stoppen können", sagt Zainab bei dem geheimen Treffen. "Sie haben Angst vor uns. Unsere Proteste werden größer, wir geben nicht auf. Die afghanischen Frauen sind stärker als die Taliban."
Die Protestgruppe der Frauen in Kabul ist aber eine sehr kleine Minderheit im Land. Auch wenn die Taliban nicht alle mit einer Stimme sprechen, haben seit der Machtübernahme die Hardliner noch immer das letzte Wort.