Nach Gefechten in Beirut "Was sollen wir hier noch?"
Nach den Feuergefechten zwischen Christen und Schiiten ist die Lage im Libanon hoffnungsloser denn je. Die Einwohner Beiruts sind geschockt, viele sehen sich in dem Wunsch bestätigt, das Land zu verlassen.
Es sieht fast danach aus, als würden die Einwohner in Beiruts Maronitenviertel Ain al Remmanehs wie in Zeitlupe realisieren, was ihnen geschah. Noch immer sind die Straßen nahezu menschenleer, an vielen Stellen mit Geschosshülsen und Glassplittern übersät, sind die meisten Fensterläden verschlossen, viele Türen sind verriegelt.
Alle größeren Kreuzungen sind besetzt von schwer gepanzertem Militär. Nur ein paar ältere Leute trauen sich auf die Straße, weil ja irgendwann jemand den Dreck wegräumen muss, den das mehrstündige Feuergefecht hinterließ. "Die Kugeln sind durch meine Schaufensterscheibe durch und hinten in der Wand eingeschlagen", sagt der Lebensmittelhändler Eli Thanou. Er habe sich geduckt, sei auf dem Boden herumgekrochen und habe gehofft, dass es seine Frau oben im dritten Stock nicht erwischt.
Proteste gegen christlichen Ermittlungsrichter
Ein paar hundert Anhänger der schiitischen Hisbollah und der Amal-Bewegung waren aus Protest gegen einen umstrittenen Ermittlungsrichter vor dem nahegelegen Justizpalast aufmarschiert. Der Richter - ein maronitischer Christ - untersucht derzeit die Hintergründe der verheerenden Explosion im Hafen Beiruts, die im August 2020 weite Teile der Innenstadt verwüstete. Dabei scheint er einigen Hisbollah-Vertreten etwas zu nahe gekommen zu sein.
Das wäre vielleicht eine kleine Geschichte, allerdings legen sich in Beirut gewisse Kreise bei politischen Demonstrationen auch mal ein paar Panzerfäuste in den Kofferraum.
Ain al Remmaneh ist ein christlich maronitisches Viertel mit Straßennamen wie Saida Lourdes - Straße der Heiligen Jungfrau von Lourdes. Ausgerechnet von dort aus haben die Kämpfer der Christenmiliz Forces Libanaise den Protestmarsch der Schiiten unter Feuer genommen. Vier Stunden dauerten die Kämpfe, Sniper schossen aus Hochhäusern auf alles was sich bewegte, die Hisbollah feuerte mit Panzerfäusten zurück. Als es vorbei war, wurden sechs Tote und fast 30 Verwundete gezählt.
Der Staat als Beute
Eli Thanou, der Lebensmittelhändler, kennt das, er hat das alles schon mal erlebt als Jugendlicher in den Jahren des Bürgerkriegs, der 1975 begann, 15 Jahre dauerte und 150.000 Menschenleben kostete. Als es jetzt wieder los ging in seinem Viertel, Christen gegen Muslime, wurden die alten Traumata wach. "Das ist der Libanon", sagt er, "natürlich kann das wieder passieren, heute, morgen, in ein paar Monaten, hier weißt Du doch nie, was kommt."
Sein ältester Sohn hat das Land schon verlassen, er lebt in Kanada. Der zweite Sohn macht sich demnächst auf den Weg nach Europa. "Dann kommen wir Alten nach", sagt Eli Thanou. "Was sollen wir hier noch?"
Der Libanon verkommt zu einem hoffnungslosen Fall, darüber täuschen auch die schicken Bars und Restaurants an Beiruts Corniche nicht hinweg, die einer kleinen Oberschicht noch etwas Zeitvertreib bieten. Das Bankensystem ist zusammen gebrochen, das libanesische Pfund hat 90 Prozent seines Wertes verloren.
Und der Staat, geschwächt und korrupt, ist seit Jahrzehnten Beute der unterschiedlichen Clans und Konfessionen. Das Präsidentenamt gehört den Christen, der Ministerpräsident den Sunniten, die Schiiten stellen den Parlamentspräsidenten. So geht das quer durch die Regierungsbehörden. Überschneiden sich die Interessen, haben alle ihr Auskommen. Kommen sie sich in die Quere, ist für die Libanesen Gefahr im Verzug.
"Die jungen Leute sind nur noch deprimiert"
"Die einzige Lösung wäre, die konfessionelle Struktur des Systems zu zerbrechen", sagt Bassel Abdallah, einer der führenden Köpfe der Zivilgesellschaft in Beirut. "Wir versuchen jetzt seit 15 Jahren, Löcher ins System zu schlagen. Aber wir dringen nicht durch. Es braucht Zeit. Die Proteste von 2019 haben zumindest gezeigt, dass vor allem junge Libanesen den Wandel hin zum Säkularen wollen."
Aber wo sind heute die jungen Männer und Frauen, die vor zwei Jahren zu Tausenden friedlich gegen das korrupte Regime protestierten? "Sie sind nur noch deprimiert", sagt Abdallah. "Sie sehen, dass das Land am Ende ist, bankrott, dass hier nicht mal mehr eine Revolution etwas ändern würde."
Gewalt als Symbol der Trauer - ein Anhänger der Hisbollah feuert auf dem Trauermarsch für die Opfer Schüsse in die Luft.
Was aber immer noch ganz hervorragend funktioniert, sind die überlieferten Reflexe und Rituale, das Brüllen der Kampfparolen, das Abfeuern des Kalschnikows, das Zelebrieren bedingungsloser Opferbereitschaft.
So haben die Schiiten am gestrigen Nachmittag ihre Toten zu Grabe getragen, vier junge Männer, die beim Feuergefecht in Ain al Remmaneh ihr Leben verloren. "Schuhada", Märtyrer, nennt sie der Scheich, der sie gleich beerdigen wird. Und versichert, alle wollten doch Märtyrer sein, um der Freuden des Paradieses teilhaftig zu werden.