Großangriff auf Israel Wo die Toten einen Namen bekommen
Nach den Angriffen der Hamas kümmern sich auf einem israelischen Militärstützpunkt Freiwillige um die Identifizierung von Leichen - damit Angehörige Abschied nehmen können.
Ein Militärstützpunkt, 20 Kilometer südöstlich von Tel Aviv: Immer noch kommen hier Lkw und Krankenwagen an. Doch sie bringen keine Lebenden, sie bringen die Toten des Terrorangriffs der Hamas auf Israel. Mehr als 1.000 Leichen waren schon hier. Abigail kümmert sich mit einem Team darum, den weiblichen Toten ihre letzte Würde zu geben. Nach jüdischer Tradition werden sie von Frauen zur Beerdigung vorbereitet.
Abigail arbeitet eigentlich im Hightech-Sektor, jetzt steht sie hier in Uniform. Sie ist beherrscht, aber manchmal kann sie die Tränen nicht unterdrücken: "Die reinen Zahlen sind furchtbar. Unendliche Lastwagen, unendlich viele Leichensäcke in allen Formen und Größen - mit ganzen Körpern, Teilen von Körpern."
Sie habe das Gefühl für die Zeit verloren. "Ich glaube, das sind jetzt zehn Tage, rund um die Uhr in Schichten. Wir sind fertig und verzweifelt. Darauf kann man sich nicht vorbereiten. Diese Grausamkeit, die wir sehen, kann ich immer noch nicht begreifen."
Identifizierung über DNA und Zähne
Was sie sieht, sind misshandelte Körper - oder Teile davon. Viele so entstellt, dass man sie nicht mehr erkennen kann. Dann versuchen sie es über die DNA - oder über die Zähne. Maayan ist Zahnärztin und arbeitet, wie alle hier, freiwillig. Ihre Aufgabe ist es, die Toten zu identifizieren. Hunderte Leichen gibt es hier noch, die in den Orten rund um den Gazastreifen ermordet wurden - deren Namen niemand kennt.
"Wir schauen uns alles an, damit wir verstehen, was passiert ist. Wir untersuchen, wie getötet und missbraucht wurde. An den Schüssen, Schnitten, Prellungen und Abschürfungen sehen wir, was passiert ist", sagt sie. Einige Körper seien ohne Köpfe. "Manchmal wurden die Menschen nicht nur mit mehreren Schüssen getötet, auf ihnen wurde getrampelt, damit wir leiden - und damit sie nicht mehr erkennbar sind."
Fast 20 Container stehen in einer Reihe, die Kühlaggregate surren, es riecht nach Leichen. Als ein paar der Türen geöffnet werden, sieht man aufgestapelt schwarze und weiße Säcke, kleine und große, manche mit ganzen Leichen, manche nur mit Teilen davon.
"Wir sehen das reine Böse"
Wer die Brutalität sehen will, mit der die Terroristen der Hamas möglichst viele Menschen getötet haben, findet in den sozialen Medien zahlreiche Videos. Die Schlächter haben ihre Taten auch mit Kameras dokumentiert. Hier, wo sie versuchen, den Toten einen Namen zu geben, damit ihre Familien sie begraben können, haben sie jetzt all das vor sich. Sie sehen an den Körpern das Vergewaltigen, das Foltern, das Morden.
Abigail beherrscht sich mühsam, wenn sie davon erzählt. Fassen kann sie all das nicht: "Ich habe junge Mädchen gesehen, die in ihren Schlafanzügen umgebracht wurden. Eine Frau, der die Augen rausgeschossen worden sind. Köpfe, zerschossen und zertrümmert auf viele verschiedene Arten. Körper mit Schüssen überall. Zerteilte Körper, ohne Köpfe - auch ein geköpftes Kind."
Die Arbeit ist furchtbar. Und doch sind alle hier überzeugt, dass sie wichtig ist. Auch Maayan, die Zahnärztin kann nicht wegschauen. Um die Toten zu identifizieren, blickt sie in den Abgrund: "Wir sehen das reine Böse, das Fehlen jeglicher Menschlichkeit. Ich wusste nicht, dass es das noch auf der Welt gibt."
Familien können Abschied nehmen
Neben dem Ort, wo sie arbeiten, gibt es einen Raum für Familien, wo sie Abschied nehmen. "Während wir die Toten identifizieren, können wir die Schreie hören, das Weinen." Dabei sei eine Mutter, die ihr Kind verloren hat oder Kinder, die ihre Eltern verloren haben und nun Waisen sind. "Und nebenan identifizieren wir, um diesen Menschen den letzten Respekt zu erweisen, den ihnen niemand gegeben hat", sagt Maayan.
Es geht hier um Würde, Trauer und Abschied. Und um schrecklichen Terror. Und deshalb sind sie hier im Dauereinsatz. Wie lange noch? Abigail, die kleine, starke Frau, sie weiß es nicht: "I don’t know."