Indien und der Ukraine-Krieg Modis Rücksicht auf Russland
Indien und Russland pflegen enge Beziehungen, und das wird für Premier Modi zum Problem: Er vermeidet eine Verurteilung des Ukraine-Kriegs und möchte die Kooperation noch ausbauen. Im Land regt sich Unmut.
"Mit großer Betroffenheit bestätigen wir, dass ein indischer Student sein Leben durch den Beschuss von Charkiw verloren hat." Die Todesnachricht verbreitet Indiens Regierung über Twitter. Der 21-jährige Medizinstudent wurde offenbar auf dem Weg zum Bahnhof von Charkiw von einer Rakete getötet.
Vor einer solchen Nachricht fürchten sich in Indien zurzeit Tausende Familien, denn sie warten auf ihre Töchter und Söhne, die in der Ukraine studieren. Mehr als 9000 indische Studenten halten sich noch immer im Kriegsgebiet auf. Indiens Regierung versucht sie fieberhaft außer Landes zu bringen.
Fast täglich telefoniert Premierminister Narendra Modi mit Wladimir Putin in Moskau. Indien und Russland - Modi und Putin - pflegen seit Jahren enge Kontakte.
Enthaltung und Schweigen
Im UN-Sicherheitsrat enthielt sich Indien in der vergangenen Woche bei der Resolution gegen Russlands Invasion. Neu-Delhi bedauerte in seinem Statement lediglich, dass die Aufrufe zu diplomatischen Gesprächen und Dialog nicht befolgt wurden.
Indien forderte Moskau zwar indirekt auf, das Völkerrecht zu respektieren, verurteilte aber nicht den Einmarsch in die Ukraine. Russland lobte Indiens Enthaltung im UN-Sicherheitsrat. In den westeuropäischen Hauptstädten und den USA wird Neu-Delhis Haltung als faktische Unterstützung für Putins Aggressionskurs wahrgenommen.
Kritik in der Presse
In Indien wird nun Kritik am Kurs von Premierminister Modi und seiner rechtsgerichteten BJP-Regierung laut. "Delhi hat keinen Grund, den verhängnisvollen Weg von Putin zu gehen. Neu-Delhi muss erkennen, dass Putin und Russland nicht dasselbe sind", so heißt es im Kommentar der Tageszeitung "Indian Express".
Russland sei der größte Partner bei der Modernisierung Indiens gewesen. Nun müsse Indiens Elite aber ihre Sympathie für Russland von dem selbstzerstörerischen imperialen Projekt Putins abkoppeln.
Im vergangenen Dezember besuchte Putin Indien. Insbesondere die militärische Kooperation zwischen beiden Staaten blüht.
Enge militärische Kooperation
Doch dem stehen Indiens Sicherheitsinteressen entgegen, die eng mit Russland verknüpft sind, so Chitrapu Uday Bhaskar, Direktor der Gesellschaft für Politische Studien in Neu-Delhi, weist gegenüber der ARD darauf hin, dass auf der Militär-Parade zum diesjährigen Nationalfeiertag "mehr als die Hälfte der präsentierten Waffen aus Russland" kamen.
Gerade wird das russische Raketen-Abwehrsystem S-400 an der pakistanischen Grenze installiert. Man wolle sich vor Angriffen von pakistanischer und chinesischer Seite schützen, so Indiens Begründung für den millionenschweren Waffen-Deal. Als Gegenleistung produziert Indien für Russland Kalaschnikows.
Die Türkei hat es gekauft - und auch Indien: das Raketenabwehrsystem S-400.
Biden will noch etwas klären
Als US-Präsident Joe Biden auf einer Pressekonferenz zu Indiens Standpunkt zum Ukraine-Konflikt gefragt wurde, antwortete er nur kurz: "Wir werden Konsultationen mit Indien führen. Wir haben das noch nicht vollständig geklärt."
Die USA beschäftigt auch eine weitere Frage. Es geht um mögliche Sanktionen gegen Indien wegen des Kaufs der S-400-Raketen. Der "Countering America's Adversaries Through Sanctions Act" (Caatsa) von 2017 verbietet es, mit Russland, Iran und Nordkorea Rüstungsgeschäfte abzuschließen.
Russland hat Indiens wachsende Beziehungen zu den USA in den letzten zwei Jahrzehnten akzeptiert, aber die Ukraine könnte nun zum Testfall für Neu-Delhi werden. Berichten zufolge ist Indien auch bestrebt, seinen Rupien-Rubel-Handelspakt mit Moskau zu stärken. Die Bemühungen des Westens, Russland vom globalen Finanzsystem zu isolieren, würden damit untergraben.
Riskanter Balanceakt
Der Einmarsch Russlands in die Ukraine lässt Indiens Balanceakt zwischen Moskau und dem Westen wackliger denn je erscheinen, so politische Beobachter.
Die indische Tageszeitung "The Economic Times" titelt: "21-jähriger Student ist das erste indische Opfer von Putins Krieg". Für den Putin-Freund Modi könnte der Krieg in der Ukraine innenpolitisch heikel werden.
Modi möchte als Premierminister 2024 wiedergewählt werden. Seine Partei die BJP befindet sich bereits im Wahlkampf.