Frauenrechtlerinnen in Afghanistan "Die Arbeit war nicht vergebens"
Für Frauenrechtlerinnen ist die Lage in Afghanistan nach dem Sieg der Taliban besonders bedrohlich. Monika Hauser von medica mondiale schildert im Interview, wie ihr Verein versucht, Frauen aus Kabul herauszubringen - und was von ihrer Arbeit bleibt.
tagesschau.de: Mit wem sind Sie derzeit in Afghanistan in Kontakt und was hören Sie von den Frauen?
Monika Hauser: Wir sind sehr froh, dass unsere Kolleginnen von den Standorten in Masar-i-Sharif und Herat nach Kabul fliehen konnten. Die Situation in Kabul ist aber beunruhigend. Wir bemühen uns darum, dass unsere Kolleginnen ausgeflogen werden und unterstützen sie vom Kölner Büro von medica mondiale aus mit allem, was ihre Lage verbessert.
tagesschau.de: Sind sie in Kontakt mit dem Auswärtigen Amt und der deutschen Botschaft?
Hauser: Wir sind mit dem Auswärtigen Amt in Kontakt. Dort weiß man, um wen es geht, und inzwischen erkennen wir auch einen politischen Willen, uns zu unterstützen. Das Wichtigste ist jetzt, dass genügend Flugzeuge kommen, um die Menschen rausbringen zu können, solange das Zeitfenster noch offen ist.
Aber es braucht einen international abgesicherten Korridor, damit die Frauen überhaupt zum Airport kommen können. In der Stadt haben die Taliban sämtliche Behörden und Checkpoints besetzt und wir hören von Frauenrechtlerinnen, die schon unterwegs waren und dann wieder umgekehrt sind. Der Weg ist noch viel zu gefährlich.
Zweifel an den "neuen" Taliban
tagesschau.de: Die Taliban versuchen derzeit, einen gemäßigten Eindruck zu erwecken. Deckt sich das mit dem, was Sie von Ihren Kolleginnen aus den Städten hören?
Hauser: Die alten Taliban haben ein Terrorregime ausgeübt und waren extrem frauenfeindlich. Was von den neuen Versprechungen zu halten ist, wissen wir noch nicht. Sicher haben die neuen Taliban auch in Sachen PR dazugelernt und können mit sozialen Medien umgehen. Aber von unseren Kolleginnen vor Ort hören wir, dass sie zu schreckliche Erfahrungen gemacht haben, um ihnen auch nur ein Wort glauben zu können. Die Taliban sagen, sie würden niemandem etwas antun, der nach der Scharia lebt. Aber das ist eine Sache der Auslegung. Und die alte Auslegung der Taliban war für Frauen tödlich.
tagesschau.de: Wenn die Ausreise jetzt nicht gelingt - welche Möglichkeiten bleiben den Frauen dann noch?
Hauser: Wir bleiben als Menschenrechtlerinnen hoffnungsvoll und bemühen uns, die Ausreise der Frauen zu ermöglichen. Wenn das nicht funktioniert, werden die Frauen entscheiden, welcher Weg für sie und ihre Familien möglich ist. Das kann bedeuten, dass sie zu einem anderen Zeitpunkt versuchen werden, auszureisen. Einige werden in den Untergrund gehen. Diejenigen, die sich 20 Jahre lang für Frauenrechte eingesetzt haben, sind massiv gefährdet.
"In 20 Jahren eine kraftvolle Frauenarbeit aufgebaut"
tagesschau.de: Was bleibt nun von ihrer Arbeit?
Hauser: Wir schauen jetzt auf die Katastrophe, die sich in kurzer Zeit ereignet hat. Aber es ist in den vergangenen 20 Jahren an drei Standorten in Afghanistan eine sehr kraftvolle Frauenarbeit aufgebaut worden. Die Juristinnen haben Frauen strafrechtlich verteidigt, die Gewalt erlebt haben. Sie haben Ehemänner hinter Gittern gebracht, die ihre Ehefrauen fast totgeprügelt haben. Sie haben Tausende Frauen ins Leben zurückholen können durch eine intensive psycho-soziale Arbeit. Sie waren Vorbilder in der Zivilgesellschaft und haben junge Frauen, aber sicher auch Männer dadurch gestärkt. Diese gesellschaftliche Bewusstseinsarbeit war nicht vergebens und ist nicht verschwunden. Ich baue hier auf die junge Generation, die den Umgang mit sozialen Medien gewohnt ist, die an der Uni war und dort hoffentlich bleiben kann. Ich glaube, dass diese Kraft auch weiterhin da sein und sich nicht von den Taliban einfach verdrängen lassen wird.
tagesschau.de: Das bedeutet aber auch: Es gab auch vor den Taliban genügend Anlass für Ihre Arbeit?
Hauser: Es gab schon vor den Taliban genügend frauenfeindliche Männer in der afghanischen Gesellschaft. Unsere Kolleginnen haben gegen so viele Widerstände ankämpfen müssen, um Frauen zu ihrem Recht zu verhelfen. Auch im Parlament und in der Regierung gab es so viel fundamentalistisches Gedankengut, dass unsere Arbeit schon bislang schmerzhaft und gefährlich war. Und dennoch ist etwas herangewachsen, das man in Deutschland vielleicht nicht genügend verstanden hat. Und das ist auch durch eine falsche Politik gefährdet worden.
Es sind Projekte wie dieses, die nun gefährdet sind: In diesem Gebäude in Kabul fanden bislang Frauen Zuflucht, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden waren. Hier konnten sie zugleich ein Restaurant betreiben, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Worum es hätte gehen müssen
tagesschau.de: Sie meinen damit eine Verengung des Einsatzes auf das Militärische?
Hauser: Wir kritisieren, dass die internationale Gemeinschaft einen gesellschaftlichen Friedensprozess von Anfang nicht ausreichend in den Blick genommen hat und den Fokus auf militärische Sicherheit und einen militärisch zu erreichenden Frieden gelegt hat. Die Menschenrechte zu stärken, die Rechtstaatlichkeit zu stärken, das Land zusammen mit der Bevölkerung wieder aufzubauen - darum hätte es gehen müssen. Natürlich gab es vor allem auf dem Land ein archaisches Stammesdenken. Aber die Frauen und die Mädchen wussten alle, wofür sie kämpfen. Sie wollen in die Schule gehen. Sie wollen nicht mit zwölf Jahren zwangsverheiratet werden. Sie wollen ein viel selbstbestimmteres Leben mit eigener Entwicklung führen. Und das haben auch viele junge Männer begriffen.
Jetzt zu sagen, der Job sei erledigt, wie es der US-Prasident Biden getan hat, ist perfide. Es braucht Generationen, um dafür ein Bewusstsein zu schaffen. Das wissen wir aus unserer eigenen Geschichte. Noch in den 1960er-Jahren konnten Frauen ohne die Unterschrift des Ehemannes keinen Job annehmen. Das Gesetz gegen Vergewaltigung in der Ehe ist in Deutschland erst 1997 eingeführt worden. Wir brauchen nicht arrogant auf Afghanistan zu zeigen.
tagesschau.de: Ist es richtig, dass die Entwicklungshilfe für Afghanistan zunächst gestoppt wird?
Hauser: Das hängt von der Begründung ab. Wenn es darum geht, dass Menschen um ihr Leben fürchten müssen, weil sie mit ausländischen Stellen kooperiert haben, ist nachvollziehbar, dass sie nun Schutz brauchen und fliehen können. Aber es gibt Bereiche der Entwicklungszusammenarbeit, die weitergehen müssen. Die Menschen brauchen ja weiter Unterstützung. Ich bin überzeugt, dass die Taliban die Anerkennung und westliches Geld brauchen. Und das muss an Bedingungen geknüpft werden, die mit Menschenrechten und vor allem auch Frauenrechten zu tun haben. Aber dafür muss man mit den Taliban verhandeln. Für Frauenrechtlerinnen ist das schwierig. Deshalb warten wir erst einmal ab, wie wir unsere Arbeit fortsetzen können.
Das Interview führte Eckart Aretz, tagesschau.de