Ein Mitglied der syrischen Rebellen hält ein zertretenes Bild von Baschar al-Assad in der Hand
interview

Kämpfe in Syrien "Auch Assad ist massiv geschwächt"

Stand: 30.11.2024 18:01 Uhr

Die Gewalt-Eskalation in Syrien hat viel mit der Schwäche von Machthaber Assad zu tun, sagt Nahost-Experte Bank bei tagesschau24. Seit Jahren eröffne sich erstmals wieder eine Möglichkeit für ein breites Aufbegehren gegen das Regime.

tagesschau24: Die Lage in Syrien hat sich ja in den vergangenen Stunden noch einmal massiv zugespitzt. Wie gefährlich ist das, was wir da gerade erleben?

André Bank: Das ist auf jeden Fall ein Novum und eine neue Eskalation der Gewalt, wie wir sie so jetzt seit einigen Jahren nicht mehr gesehen haben. Ein Novum deshalb, weil es zum ersten Mal seit 2020 den Rebellen gelungen ist, wichtige Teile des von Assad kontrollierten Nordens des Landes wieder einzunehmen.

Wir haben es ja hier mit einer Allianz von zwei im Grunde verschiedenen Rebellengruppen zu tun, einmal der radikal-islamistischen Haiat Tahrir al-Scham (HTS), einem vormaligen Ableger der Al-Kaida, die auch in westlichen Staaten oft als terroristisch eingestuft wird. Und zum anderen mit der Syrian National Army (SNA), die eng mit der Türkei verbunden ist. Und die haben im Grunde eine Schwächephase von Assad und seinen Verbündeten ausgenutzt, um jetzt diese Offensive zu starten.

Zur Person
Der Islamwissenschaftler und Politologe André Bank arbeitet am Hamburger GIGA-Institut für Nahost-Studien. Er forscht zu Autoritarismus und Konflikten unter anderem in Syrien.

tagesschau24: Auf diese Schwächephase würde ich gerne eingehen. Russland als Unterstützer Assads hat ja derzeit viele militärische Kräfte in der Ukraine gebunden. Haben die Rebellen genau darauf gewartet, oder welche Aspekte spielen da insgesamt mit rein in diesem Zeitpunkt?

Bank: Also das Timing ist sicherlich so, dass die Rebellen ausgenutzt haben, dass es eine klare Schwächephase gibt, vor allem der Unterstützer von Assad. Also nicht nur Russland ist sehr stark in der Ukraine gebunden, sondern auch Iran steht unter Druck. Israel hat ja auch iranische Kräfte angegriffen, vor allem auch die libanesische Hisbollah, die bei der Einnahme 2016 von Aleppo aufseiten des Regimes eine wichtige Rolle gespielt hat. Die sind alle geschwächt, auch durch den israelischen Krieg gegen den Libanon und durch die Angriffe in Syrien. Und das wurde ausgenutzt.

Es gab schon Berichte, dass so eine Offensive im Oktober beginnen sollte, aber sie ist eben jetzt erst erfolgt und dieses Überraschungsmoment hat geholfen.

Auch Assad ist massiv geschwächt. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit des Regimes ist schon länger am bröckeln. Und vor allem ist es so, dass die wirtschaftliche Lage im Assad-Gebiet so schlecht ist, wie sie eigentlich noch nie seit 2011 war. Auch das gehört mit in diesen Kontext.

Entscheidend ist die Reaktion der internationalen Unterstützer

tagesschau24: Und unter Diktator Assad hat das Land ja dunkle Zeiten erlebt. Was aber nicht heißt, dass es ohne ihn besser werden würde. Oder was erwarten Sie, wie es jetzt in Syrien weitergeht?

Bank: Wenn die Rebellen Aleppo halten können und vor allem auch die Verbindungsstraße von der Hauptstadt Damaskus nach Aleppo, die wichtigste Nachschubroute für die Regimekräfte: Wenn das gehalten werden kann von den Rebellen und gleichzeitig im Süden des Landes, in der ehemaligen Rebellenhochburg Daraa, Kräfte wieder einen Aufstand gegen Assad fahren. Und wenn zugleich die Unzufriedenheit gegenüber dem Assad-Regime vonseiten der Bevölkerung so bleibt, dann ist wirklich eine breitere Aufstandsbewegung im Land möglich. Dann ist Assad möglicherweise massiv in Gefahr.

Entscheidend ist natürlich hier auch, wie die internationalen Unterstützer von Assad, eben vornehmlich Russland und der Iran, reagieren werden. Ich sagte bereits, dass sie unter Druck sind. Sicherlich wird es eine Phase der Instabilität der größeren Gewalt geben, auch weiteres Leiden der Bevölkerung. Aber es ist möglicherweise zum ersten Mal seit einigen Jahren wieder ein militärisches Fenster offen, das Assad von innen heraus quasi seine Macht verlieren könnte.

tagesschau24: Was müsste denn passieren, um das Land zu einen?

Bank: Es müssten vor allem eben diejenigen Kräfte in Syrien stärker werden und auch im Grunde ein Stück weit zusammenarbeiten, die eine syrische Vision für Syrien haben und nicht nur eine für ihre eigene Gruppe. Da denke ich eben nicht unbedingt an HTS. Das ist eine sehr problematische dschihadistische Gruppierung.

Da denke ich eher zivilere Rebellenbewegungen, die es im Süden gab, die es in Teilen von Zentralsyrien. Da denke ich auch an moderate kurdische Kräfte aus dem Nordosten, die vielleicht versuchen, gemeinsam etwas für Syrien aufzubauen.

Die Chancen, dass das gelingt, sind kurzfristig nicht sehr hoch, aber immerhin eröffnet ja diese Destabilisierung jetzt vielleicht ein kleines Fenster für ein mittelfristig besseres Syrien.

Türkei könnte Druck ausüben

tagesschau24: Spannend ist ja in diesem Zusammenhang die Rolle der Türkei. Was glauben Sie, wie wird die aussehen?

Bank: Die Türkei hat ja versucht, in zwei Runden wieder eine Art Normalisierungsprozess mit Assad zu starten, ähnlich wie die Arabische Liga das vor anderthalb Jahren ja eingeleitet hat. Assad hat es insofern zurückgewiesen, als dass er als Vorbedingung für Verhandlungen an die Türkei gerichtet hat, dass sie alle ihre Truppen aus Nordsyrien abziehen. Möglicherweise könnte die Türkei hier Druck auf Assad ausüben, denn die mit ihr verbündete SNA arbeitet ja eng mit HTS zusammen.

Für Erdogan gibt es im Grunde zwei Ziele in Syrien: Das eine ist die maximale Schwächung des kurdischen Einflusses, also auch Gebiete im Nordosten möglicherweise von türkischer Seite wieder zu besetzen. Und zum zweiten viele von den über drei Millionen Syrerinnen und Syrern, die in der Türkei leben, wieder nach Syrien zurückzuführen.

Alles das sind keine Ziele - gerade auch aus europäischer Sicht - die irgendwie für eine Destabilisierung oder Beruhigung sorgen. Also die Türkei spielt eine große Rolle, aber nicht unbedingt eine ganz unproblematische.

Das Gespräch führte Romy Hiller für tagesschau24. Für die schriftliche Version wurde es leicht gekürzt und redigiert.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 30. November 2024 um 13:00 Uhr.