Proteste im Iran Lage in Kurdengebieten scheint zu eskalieren
Einsatz von Panzern, Schüsse auf Demonstranten - Augenzeugen zufolge eskaliert die Lage in den iranischen Kurdengebieten. Auch in anderen Landesteilen halten die Proteste an. Die USA sehen eine Gefahr für den gesamten Nahen Osten.
In der kurdischen Stadt Mahabad im Nordwesten des Irans ist es Augenzeugen zufolge bei Protesten zu massiver Gewalt gekommen. Demnach sollen Polizei- und Sicherheitskräfte am Samstagabend mit Panzern in die Stadt einmarschiert sein und wahllos auf Demonstranten geschossen haben.
Auch der Strom in der Stadt wurde demnach kurzfristig abgeschaltet. Die Situation sei eskaliert - zahlreiche Einwohner wurden verletzt, wie Augenzeugen berichteten. Unklar war, ob es auch Tote gegeben hat. Die Schilderungen ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Nach tagelangen Protesten befürchten Aktivisten eine blutige Niederschlagung der Demonstrationen in der Stadt. In der Provinz West-Aserbaidschan seien bewaffnete Truppen aus Urmia nach Mahabad entsandt worden, teilte die in Norwegen ansässige Menschenrechtsorganisation Hengaw mit. Aktivisten werfen der Führung in Teheran eine blutige Repressionskampagne in den Kurdenregionen vor.
Menschenrechtsorganisationen berichten von Schüssen
Tausendfach in den sozialen Medien geteilte Videos zeigten Militärkonvois, die durch die Straßen fuhren. Die in Oslo ansässige Menschenrechtsorganisation Hengaw berichtete von Helikoptern, die über dem Himmel der kurdischen Stadt kreisten.
"In den Wohngebieten von Mahabad" werde "viel geschossen", erklärte die Organisation im Onlinedienst Twitter. Ort und Zeit der Aufnahmen ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Ladenbesitzer in der gesamten Region hätten am Sonntag gestreikt, um gegen die Gewalt der Sicherheitskräfte zu protestieren, berichtete Hengaw weiter.
Die ebenfalls in Norwegen ansässige Organisation Iran Human Rights (IHR) veröffentlichte in der Nacht zum Sonntag Aufnahmen, in denen ihren Angaben zufolge Schüsse und Schreie in der Stadt zu hören sind.
Proteste in Kurdengebieten nehmen zu
Hengaw hatte am Samstag bereits vor einer "kritischen" Lage in der Stadt Diwandarreh in der Provinz Kurdistan gewarnt, wo Regierungstruppen mindestens drei Zivilisten erschossen hätten. Am Sonntag äußerte sich die Organisation auch besorgt über die Lage in anderen mehrheitlich von Kurden bewohnten Städten, darunter Bukan und Sakes. Dort hatten die Proteste zuletzt zugenommen.
Sakes ist der Heimatort von Mahsa Amini. Am Tod der jungen Kurdin hatten sich die seit zwei Monaten andauernde Proteste im Iran entzündet. Die 22-Jährige war Mitte September in Teheran im Krankenhaus gestorben, nachdem sie von der Sittenpolizei wegen eines angeblich nicht vorschriftsgemäß getragenen Kopftuchs festgenommen worden war. Aktivisten werfen der Polizei vor, Amini misshandelt zu haben. Teheran geht landesweit hart gegen die Demonstrierenden vor.
Die Justiz soll auch gegen zahlreiche Prominente ermitteln
Medienberichten zufolge gab es am Samstagabend auch in anderen Teilen des Landes erneut Proteste gegen den repressiven Kurs der islamischen Führung. Die iranische Justiz soll unterdessen Ermittlungsverfahren gegen mehrere Prominente aus Politik, Film und Sport eingeleitet haben. Zwei ehemalige Abgeordnete, fünf Schauspielerinnen und ein Fußballtrainer wurden demnach zum Verhör einbestellt. Ihnen werde vorgeworfen, sich in den sozialen Medien "provokant und beleidigend" Offiziellen gegenüber geäußert zu haben.
Insgesamt wurden bei den Protesten nach IHR-Angaben bisher mindestens 378 Menschen getötet, darunter 47 Kinder. Die iranische Nachrichtenagentur Tasnim beschuldigte derweil "Randalierer", in Mahabad "Terror zu verbreiten", indem diese Häuser von Sicherheits- und Militärangehörigen in Brand setzen und Straßen blockieren würden.
USA sehen "unmittelbare Gefahr" für die Region
Anfang November hatte der Iran seine rivalisierenden Nachbarländer, darunter Saudi-Arabien, gewarnt, dass er angesichts der Proteste im Land Vergeltungsmaßnahmen ergreifen könnte. Die Regierung in Teheran wirft Saudi-Arabien ebenso wie dem Westen eine "Destabilisierung" seines Landes durch Unterstützung der Protestbewegung vor. Der Iran habe bisher "strategische Geduld bewiesen", aber er könne nicht garantieren, diese beizubehalten, wenn die Feindseligkeiten gegen ihn weitergingen, hatte der iranische Geheimdienstminister Esmail Chatib damals erklärt. Dazu hatte das Land mit der Entwicklung einer Hyperschallrakete gedroht.
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Spannungen mit dem Iran kündigten die USA nun den Ausbau ihrer Verteidigungsinfrastruktur in der Golfregion und im Nahen Osten an. Das US-Militär ist an verschiedenen Stützpunkten in Ländern der Region mit Tausenden Soldaten präsent.
Washington konzentriere sich auf die Abwehr "unmittelbar bevorstehender Gefahren" in der strategisch wichtigen und energiereichen Region, erklärte der Koordinator des Nationalen Sicherheitsrats der USA für den Nahen Osten und Nordafrika, Brett McGurk, auf der Sicherheitskonferenz "Manama Dialog" in Bahrain.
Die USA hätten so auch eine Bedrohung durch den Iran abgewendet, sagte er mit Blick auf Berichte, dass der Iran seinen Erzfeind Saudi-Arabien angreifen wollte.