Terrorangriff der Hamas Warum wurden die Warnungen ignoriert?
Medienberichten zufolge dokumentierten israelische Streitkräfte fast drei Wochen vor dem Angriff der Hamas Terrorvorbereitungen im Gazastreifen. Ihr Bericht fand offenbar keine Beachtung.
Am 7. Oktober, beim Terrorangriff aus dem Gazastreifen auf Israel, gab es Berichten zufolge nur zwölf Panzer und 600 Soldatinnen und Soldaten auf israelischer Seite - zur Verteidigung einer 65 Kilometer langen Grenze.
Und inzwischen gibt es immer mehr Informationen darüber, dass die Sicherheitskräfte vorab hätten gewarnt sein können. Zum Beispiel durch die Beobachtungen von Soldatinnen, die vor dem 7. Oktober ein verdächtiges Vorgehen im Gazastreifen festgestellt hatten. Ihre Warnungen wurden nicht beachtet.
Dokument beschreibt Vorbereitungen der Hamas
Nun berichten israelische Medien über ein Dokument, das bereits am 19. September, also fast drei Wochen vor dem Terrorangriff, von der sogenannten Gaza-Division der israelischen Streitkräfte erstellt wurde. Darin werden die Vorbereitungen für eine großangelegte Invasion nach Israel ebenso erwähnt wie die Pläne, 200 bis 250 Geiseln zu nehmen. Auch das Training dafür im Gazastreifen wird in dem Bericht detailliert beschrieben. Doch offenbar zirkulierte das Papier nur in der Gaza-Division und erreichte nie höhere Ränge und die politische Ebene.
Der Kommandeur der Gaza-Division, Avi Rosenfeld, hatte vor gut einer Woche seinen Rücktritt erklärt und gesagt, er sei "am 7. Oktober an der Aufgabe seines Lebens, das Gaza-Grenzgebiet zu schützen, gescheitert".
Probleme bei der Auswertung von Informationen
Ronen Cohen, der als Direktor im Militärgeheimdienst gearbeitet hat, sagte dem israelischen Radiosender 103fm, man solle das Dokument nicht überbewerten. Es könne als eine weitere Informationsquelle betrachtet werden.
Wieso aber fanden die festgehaltenen Beobachtungen keine Beachtung? Laut Cohen liegt das auch an der Art, wie in israelischen Sicherheitskreisen Informationen verbreitet werden: "Im Geheimdienst gilt seit vielen Jahren, dass man aus Einzelinformationen nicht gleich ein Untersuchungsdokument erstellt, sondern diese Informationen, wie sie sind, weiterleitet, wenn sie von Bedeutung sind. Deswegen werden sie dann gleich dem Befehlshaber vorgelegt, was natürlich bis zur politischen Ebene weitergehen kann."
In den vergangenen Jahren habe sich in der Armee aber die Dringlichkeit der Informationsverbreitung geändert, so Cohen. "Früher wurden Informationen mit Dringlichkeit verteilt und heute befindet sich die Information in einem sogenannten Pool und jeder wertet für sich die relevanten Informationen aus. So erreichen Informationen oftmals nicht die politische Ebene."
Stunden vor Angriff wurde über Beobachtungen beraten
In der Nacht, nur wenige Stunden vor Beginn des Terrorangriffs, hatte sich unter anderem Generalstabschef Halevi mit führenden Geheimdienstvertretern 90 Minuten lang über Auffälligkeiten in Gaza beraten. Die Runde wurde vertagt und mehr Informationen wurden angefordert.
In den frühen Morgenstunden wurden dann Hunderte Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgeschossen, rund 3.000 Terroristen gelangten über die Grenze, töteten fast 1.200 Menschen und nahmen rund 250 Geiseln.
In Israel laufen bereits mehrere Untersuchungen zu einem möglichen Versagen der Sicherheitskräfte vor dem 7. Oktober. Israels Armee kündigte im Februar eine interne Untersuchung an. Bisher wurden aber noch keine Ergebnisse veröffentlicht.
Frage der politischen Verantwortung bleibt offen
Auch Matanyahu Engelsman, der sogenannte Staatskontrolleur, der in Israel Regierungshandeln überwacht, hatte schon im Dezember eine eigene Untersuchung angekündigt. Im Februar erklärte er, ihm sei bewusst, dass sich die Armee in Kampfhandlungen befinde und man sie unterstützen müsse. Allerdings könnten die Staatskontrolleure ihre Arbeit nicht für ein Jahr lang einstellen. Die Staatskontrolle gehöre zur Stärke des Staates Israel.
Doch der Oberste Gerichtshof Israels ordnete an, diese Untersuchung zu stoppen - unter anderem mit der Begründung, sie würde zum jetzigen Zeitpunkt in der Armee und in den Geheimdiensten zu viele Kräfte binden.
So ist die Frage der Versäumnisse auf israelischer Seite weiter offen - und auch die Frage der politischen Verantwortung der Regierung um Benjamin Netanyahu. Er lehnt es weiterhin ab, politische Verantwortung zu übernehmen. Kritiker werfen ihm vor, mit seinen rechtsextremen und ultrareligiösen Koalitionspartnern vor dem 7. Oktober die Sicherheit Israels vernachlässigt zu haben.