Israel und die Hamas Was einer Waffenruhe im Wege steht
Gründe für eine Feuerpause im Gazastreifen und ein Abkommen zur Freilassung der israelischen Geiseln gibt es viele - aber auch weiterhin hohe Hürden. Worüber wird im Detail gestritten?
Es geht um viel bei den Verhandlungen über eine Waffenruhe in Gaza. Zunächst einmal darum, eine große Eskalation im Nahen Osten zu verhindern. Nach den gezielten Tötungen von Ismail Hanija, dem politischen Chef der Hamas in Teheran und von Fuad Schukr, eines Militärchefs der Hisbollah-Miliz im libanesischen Beirut, haben der Iran und die Hisbollah Vergeltung geschworen.
Doch der große Schlag gegen Israel ist bislang ausgeblieben. Dafür haben wohl massiver internationaler Druck gesorgt - aber auch die neuen Hoffnungen auf eine Waffenruhe in Gaza.
Dort ist die humanitäre Lage - auch angesichts von mehr als 40.000 Toten und mehr als 90.000 Verwundeten - weiterhin katastrophal und könnte sich noch verschärfen. Angesichts der flächendeckenden Zerstörung im Gazastreifen funktioniert das dortige Gesundheitssystem nur noch zum Teil.
Ein Frau zwischen Trümmern: Die humanitäre Lage der Menschen in Gaza ist katstrophal.
Und schließlich sind da die Geiseln in der Hand der Hamas und weiterer Terrororganisationen. Von den 109 verbleibenden Geiseln sollen mehr als 40 nicht mehr am Leben sein - die Zahl könnte noch höher liegen. Die Angehörigen und auch US-Außenminister Blinken sprechen von einer "letzten Chance", um Geiseln noch lebend aus dem Gazastreifen zu holen.
Gründe für eine Feuerpause und ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln gibt es also genug, aber auch weiterhin hohe Hürden. Die Knackpunkte:
Befristete Waffenruhe oder dauerhafter Waffenstillstand?
Der Plan, den US-Präsident Joe Biden schon im Mai vorgelegt hat, sieht drei Phasen vor: eine sechswöchige Feuerpause, in dieser Zeit Verhandlungen über die zweite Phase, einen dauerhaften Waffenstillstand - und schließlich den Wiederaufbau des Gazastreifens.
Der Hamas sind Garantien für ein Ende des Krieges in Gaza wichtig. Dabei geht es für die Terrororganisation nicht nur um ihr militärisches, sondern auch um ihr politisches Überleben.
Israels Regierung fordert dagegen, den Krieg nach einer sechswöchigen Feuerpause fortsetzen zu können. Ziel ist laut Premierminister Benjamin Netanyahu der "totale Sieg" und die "Zerschlagung der Hamas". Zuletzt hatte er immer wieder aber auch von der "Zerschlagung der militärischen und der Regierungsfähigkeiten der Hamas in Gaza" gesprochen. Israel will nach dem Terror des 7. Oktober verhindern, dass von Gaza noch eine Gefahr für das Land ausgeht. Beide Positionen scheinen nur schwer vereinbar.
Israelische Militärpräsenz in Gaza
Eine zentrale Forderung der Hamas ist immer noch der vollständige Abzug der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen. Im Biden-Plan ist hingegen nur von einem Rückzug aus den Ballungszentren des Küstenstreifens die Rede. Israel hatte bis zuletzt auf einer Kontrolle des so genannten Philadelphi-Korridors bestanden, der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten. In der Vergangenheit waren über diese Grenze viele Waffen in das Palästinensergebiet gekommen.
Auch die Kontrolle des Grenzübergangs Rafah ist Israel wichtig. Den Vorschlag, die palästinensische Autonomiebehörde (PA), die Teile des besetzten Westjordanlandes kontrolliert, könnte künftig auch diesen Grenzübergang kontrollieren, hatte Israel bis zuletzt abgelehnt. Ein Ausbau der Europäischen Grenzmission EU BAM, die 2005 eingerichtet wurde, wird diskutiert. Es ist aber unklar, ob sich Israel und die Hamas darauf einlassen würden.
EU BAM hatte die palästinensische Autonomiebehörde beim Aufbau von Grenzschutz und Zoll unterstützt und die Kontrollen am palästinensisch-ägyptischen Grenzübergang Rafah überwacht. Nach der Machtübernahme der Hamas wurde die Mission in Gaza im Juni 2007 jedoch ausgesetzt.
Strategisch wichtig ist Israel auch der im Verlauf des Gazakriegs eingerichtete Netzarim-Korridor, der das Gebiet in einen Nord- und in einen Südteil spaltet. Die Hamas fordert den Rückzug israelischer Truppen auch hier. Israel möchte verhindern, dass Kämpfer der Hamas zurück in den Norden des Gazastreifens gehen und will deshalb auch hier die Kontrolle behalten.
Auch die Präsenz israelischer Soldaten in Gaza ist Teil der Verhandlungen.
Der Austausch von Geiseln und Häftlingen
Auch wenn es eine grundsätzliche Einigung geben sollte, sind noch eine Reihe technischer Fragen zu klären. Wie viele Geiseln werden wann und in welcher Reihenfolge freigelassen? Wie viele palästinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen kommen im Gegenzug frei? Welche Häftlinge - und wohin werden sie freigelassen? Was ist der Zeitplan für einen Rückzug israelischer Truppen?
Die beim Terrorangriff des 7. Oktober verschleppten Geiseln sind dabei eine Art Lebensversicherung für die Hamas. Angesichts des großen militärischen Drucks kämpft die Organisation um ihr Überleben. Dabei genießt sie in Teilen der palästinensischen Bevölkerung immer noch große Zustimmung.
Drohender Koalitionsbruch in Israel
Um sein politisches Überleben geht es auch Benjamin Netanyahu: Israels Premierminister lehnt bisher eine Verantwortung für den 7. Oktober ab. Seine rechtsextremen Koalitionspartner drohen im Fall von Zugeständnissen an die palästinensische Seite mit einem Bruch der Koalition.
So könnte am Ende nur Druck von außen zu einer Waffenruhe im Gazastreifen führen. Die USA können, als wichtigster strategischer Partner, diesen Druck auf Israel ausüben, Katar und Ägypten wiederum auf die Hamas. Der Ausgang ist ungewiss.