Ein palästinensischer Hirte steht in den Ruinen des Beduinendorfs al-Baqa im Westjordanland

Internationaler Gerichtshof Israels Siedlungspolitik laut UN-Gutachten illegal

Stand: 19.07.2024 18:19 Uhr

Fast 60 Jahre hält Israel palästinensische Gebiete besetzt. Ein Verstoß gegen internationales Recht, sagt das höchste UN-Gericht. Das Gutachten dürfte den Druck auf die Regierung von Premier Netanyahu im Nahost-Krieg noch erhöhen.

Die israelische Besatzung palästinensischer Gebiete ist nach Auffassung des höchsten UN-Gerichts unrechtmäßig. Auch die israelische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten verstoße gegen internationales Recht. Israel mache sich faktisch der Annektierung schuldig, stellt der Internationale Gerichtshof in Den Haag in einem Rechtsgutachten fest. 

Das UN-Gericht habe festgestellt, "dass Israels anhaltende Präsenz in den palästinensischen Gebieten unrechtmäßig ist", erklärte Richter Nawaf Salam. Israel müsse die Besatzung "so schnell wie möglich beenden". 

Netanyahu: "Kein Eroberer im eigenen Land"

Das Gutachten ist rechtlich zwar nicht bindend. Doch es wird erwartet, dass es den internationalen politischen Druck auf Israel weiter erhöhen wird. Der ist zuletzt wegen des Vorgehens Israels im Gazastreifen erheblich gestiegen. Dort bekämpft Israel nach dem Terrorangriff von Anfang Oktober mit Hunderten Toten die militant-islamistische Hamas. Der Krieg hat schwerwiegende Folgen für die Zivilbevölkerung. 

Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu kritisierte die Einstufung des Internationalen Gerichtshofs - die palästinensische Seite begrüßte dagegen das Gutachten. Es sei ein "großartiger Tag für Palästina", erklärte die Staatsministerin der Palästinenserbehörde für Auswärtige Angelegenheiten, Warsen Aghabekian Schahin. 

Netanyahu schrieb im Kurznachrichtendienst X zum IGH-Gutachten, das Westjordanland und Ostjerusalem seien Teil des historischen Heimatlandes des jüdischen Volkes - ein Rückgriff auf biblische Zeiten. Die "israelischen Siedlungen in allen Gebieten unseres Heimatlandes", seien rechtmäßig. "Das jüdische Volk ist kein Eroberer in seinem eigenen Land - nicht in unserer ewigen Hauptstadt Jerusalem und nicht im Land unserer Vorfahren in Judäa und Samaria." Letzteres ist die historische Bezeichnung für das Westjordanland.

Israel besetzte die Gebiete im Sechstagekrieg 1967

Die UN-Vollversammlung hatte das Gericht beauftragt zu klären, welche rechtlichen Folgen die fast seit 60 Jahren andauernde Besatzungspolitik Israels hat. Das war zwar lange vor Beginn des Gaza-Krieges. Doch auch westliche Kritiker Israels können sich nun gestärkt sehen, Israel zu einem Rückzug zu bewegen und der Gründung eines palästinensischen Staates zuzustimmen. 

Israel hatte das Westjordanland, den Gazastreifen und Ost-Jerusalem im Sechstagekrieg von 1967 besetzt. Die Palästinenser beanspruchen diese Gebiete aber für einen eigenen Staat. 2005 hatte Israel Gaza wieder verlassen, aber kontrolliert weiter Grenzen zu Land, Wasser und in der Luft. 

Klage wegen Vorwurf des Völkermords läuft noch

Es ist das zweite Rechtsgutachten des Gerichtshofes zur Besatzungspolitik Israels. Vor 20 Jahren, im Juli 2004, hatten die Richter bereits erklärt, dass die von Israel im Westjordanland errichtete Mauer gegen internationales Recht verstoße und daher abgerissen werden müsse. Israel hielt sich aber nicht daran. 

Das heute vorgestellte Gutachten ist unabhängig von einem anderen Verfahren vor dem UN-Gericht. Südafrika hatte 2023 Israel vor den Gerichtshof gebracht und dem Land wegen der Angriffe auf den Gazastreifen Völkermord vorgehalten. Israel bestreitet diese Vorwürfe.    

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 19. Juli 2024 um 17:00 Uhr.