Wahlen in Israel Ultra-orthodoxer Wahlkampf mit Popvideo
Für die anstehende Wahl zur Knesset buhlen die männerdominierten Parteien der ultra-orthodoxen Juden in Israel um die Jugend - und fürchten gleichzeitig die Frauen, von denen sich immer mehr politisch engagieren wollen.
Die wachsende Zahl der ultra-orthodoxen Juden in der israelischen Gesellschaft wird vor allem durch zwei Parteien abgebildet: Durch die Schas-Partei und das Vereinigte Thora-Judentum. Nach der letzten Wahl waren beide Parteien in der Opposition, zuvor hatten sie in mehreren rechtsgerichteten Regierungen kraftvoll die Interessen der ultra-orthodoxen Minderheit im Land durchgesetzt.
Auch bei der anstehenden Wahl könnten sie das Zünglein an der Waage sein, das den Ausschlag für eine mögliche rechtsgerichtete Regierungskoalition unter Benjamin Netanjahu gibt.
Doch beide Parteien haben ein Problem: Immer mehr junge ultra-orthodoxe Wähler kehren ihnen den Rücken; und nun kommt auch von den ultra-orthodoxen Frauen Gegenwind: Denn die Schas-Partei und das Vereinigte Thora-Judentum sind reine Männerklubs, in denen Frauen so gut wie keine Rolle spielen. Doch eine Gruppe moderner ultra-orthodoxer Frauen will sich das nicht mehr bieten lassen. Sie pochen auf mehr politischen Einfluss.
Popvideo als Wahlwerbung
Ein ungewöhnliches Video kursiert zurzeit in den sozialen Medien. Ultra-orthodoxe Popsänger tanzen festlich gekleidet mit einem Shtreimel-Pelzhut auf dem Kopf, der eigentlich nur an Festtagen getragen wird. Und dazu singen sie immer wieder einen Satz: "Wir müssen gewinnen"
Das Popvideo ist Wahlwerbung der ultra-orthodoxen Partei Vereinigtes Thora-Judentum. Wahlwerbung die - so Parteifunktionär Moshe Morgenstern - dringend notwendig ist:
Wir haben keine Wahl. Das ist für die jungen Leute gedacht. Wir müssen in die Medien, und vor allem für Whatsapp solche Wahlwerbung machen. Nur so erreichen wir die jungen Leute, und schaffen es, sie nach Hause zu bringen und ihnen den Kopf wieder geradezurücken.
Die ultra-orthodoxen Juden haben ein Nachwuchsproblem
Noch vor Kurzem wäre ein solches Video bei den ultra-orthodoxen Juden, die die digitale Welt eigentlich ablehnen, undenkbar gewesen. Doch sie haben ein Nachwuchsproblem. Junge Haredim fühlen sich inzwischen von anderen - häufig rechtsgerichteten, nationalistischen Parteien angezogen. Und noch ein Problem haben die ultra-orthodoxen Parteien: Die Frauen begehren immer häufiger auf - Frauen wie Esti Shushan:
Am Anfang dachten alle, dass ich verrückt bin. Dann kam das Mitleid, nach dem Motto, vielleicht hat sie ja nicht alle Tassen im Schrank.
Immer mehr ultraorthodoxe jüdische Frauen, hier bei einer "Pidyon Haben"-Zeremonie, fühlen sich in Israel politisch ausgeschlossen.
Ultra-orthodoxe Frauen wollen endlich mitmachen...
Esti Shushan ist 45 Jahre alt. Die ultra-orthodoxe Frau hat fünf Kinder. Vor einigen Jahren gründete sie mit gleichgesinnten ultra-orthodoxen Frauen das Projekt Nivcharot. Das Ziel der Bewegung: Die Haredim-Frauen sollen endlich bei den ultra-orthodoxen Parteien mitmachen dürfen. Denn bisher gibt es weder bei der Schas-Partei noch beim Vereinigten Thora-Judentum weibliche Parteimitglieder, es gibt keine Kandidatinnen geschweige denn weibliche Abgeordnete.
Parteifunktionär Moshe Morgenstern nennt den einfachen Grund: "Noch sagen die Rabbiner, dass eine Frau keine Abgeordnete im Parlament werden darf. Die Rabbiner sind die Einzigen, die entscheiden. Es gibt keine Demokratie."
...und klagen sich vor Gericht ein
Die Macht der Rabbiner in den ultraorthodoxen Parteien führt dazu, dass Frauen politisch so gut wie nicht mitwirken dürfen. Doch die wehren sich: Derzeit läuft vor einem Bezirksgericht eine Klage von 22 ultra-orthodoxen Frauen gegen die Schas-Partei und das Vereinigte Thora-Judentum. Sie wollen als Parteimitglieder aufgenommen werden, was beide Parteien mit fadenscheinigen Gründen immer wieder ablehnen. Esti Shushan hat daraus eine einfache Konsequenz gezogen:
Seit mir die Bedeutung dieser Ausgrenzung in den ultraorthodoxen Parteien bewusstgeworden ist, wähle ich sie nicht mehr. Neben meiner Aktivität drücke ich meinen Protest vor allem dadurch aus, dass ich diese Parteien nicht wähle.
Ultra-orthodoxe Lobby verhindert strengere Gesetze
Doch noch lassen sich die beiden großen ultra-orthodoxen Parteien davon nicht beeindrucken. Juristisch geht es nur zäh voran, weil das Thema aus Sicht säkularer Institutionen eher ein Nischenproblem darstellt. Und noch dazu die ultraorthodoxe Lobby verhindert, dass strengere Gesetze, die ihnen schaden könnten, verabschiedet werden.
Und so ist es für Esti Shushan und ihre Mitstreiterinnen ein zäher Kampf um Gleichberechtigung in den ultra-orthodoxen Parteien:
Die Phase der Frustration habe ich bereits überschritten. Deshalb habe ich die Bewegung Nivcharot gegründet. Heute handeln wir. Wir wissen, wie die Situation ist und wenn wir nichts dagegen tun, wird niemand es tun.