Neues Anti-Terror-Gesetz Kritik an Kollektivstrafe in Israel
Ein neues Gesetz in Israel sieht vor, dass auch Angehörige von Terroristen bestraft werden können. Es soll für alle gelten - Beobachter rechnen aber damit, dass vor allem Palästinenser betroffen sein werden.
Kollektive Bestrafung wendet Israel bislang vor allem gegen Palästinenserinnen und Palästinenser an: zum Beispiel, wenn im besetzten Westjordanland Menschen, die Terroranschläge verüben, nicht nur verhaftet oder erschossen werden. In vielen Fällen werden dann gleich auch die Häuser ihrer Familien zerstört.
Das Gesetz, das die Knesset - das israelische Parlament - jetzt beschlossen hat, ermöglicht kollektive Bestrafungen auch von Israelis. Hanoch Dov Milwidsky, ein Abgeordneter von Benjamin Netanyahus Likud-Partei, erklärte das Prinzip vor der Abstimmung: "Wenn es einen Terroristen gibt, der einen Anschlag verübt hat, und wenn nach Einschätzung des Innenministers bewiesen ist, dass seine Familie die Absicht kannte und nichts unternahm, um ihn davon abzuhalten und ihn stattdessen noch dazu motiviert hat, wird diese Familie nicht hierbleiben dürfen. Sie wird in das Gebiet des Gazastreifens oder an einen anderen Ort, der vom Innenminister bestimmt wird, für einen Zeitraum zwischen sieben und 15 Jahren vertrieben werden."
Die Vertreibung - oder Ausweisung - von Familienangehörigen werde ausschließlich gegen Palästinenserinnen und Palästinenser angewendet werden, sind sich alle Beobachter einig. Die Maßnahme solle der Abschreckung dienen, sagen die Befürworter.
"Grundprinzipien des Rechtsstaats verletzt"
Michael Sfard, ein bekannter israelischer Menschenrechtsanwalt und Enkel polnischer Holocaust-Überlebender, findet, dieses Gesetz zeige, dass die in Teilen rechtsextreme Mehrheit im Parlament Israel als demokratischen Rechtsstaat abwickelt. Dieses Gesetz, so Sfard, verletze die Grundprinzipien eines Rechtsstaats. Also dass Menschen Gesetzen folgten, an deren Entstehung sie beteiligt seien und die für alle gleich gelten. Aber das sei nicht das, was diese Regierung mache, meint der Anwalt. "Sie wollen durch Gesetze regieren, wobei die Gesetze ein Instrument sind, um Menschen zu unterdrücken, zu kontrollieren und ihnen das Recht zu verweigern, ein freies, gleichberechtigtes Leben zu führen."
Issa Fayed hat schon am eigenen Leib erlebt, wie ein Gesetz wie dieses wirken könnte. Er hat einen Laden für Autoreifen am Rand von Haifa. Bisher gingen die Geschäfte gut, doch weil er politisch aktiv ist, kamen irgendwann, gleich nach dem 7. Oktober, israelische Spezialkräfte in sein Haus: "Explosionen in der Nachbarschaft, die Armee blockiert die Straße", erinnert sich Fayed. "Unser Haus hat mehrere Stockwerke, und wir hatten Besucher, die mussten sich alle auf den Boden legen. Sie haben nach mir gesucht, mich auf den Boden geworfen, meine Augen verbunden. Den ganzen Weg zum Auto haben sie mich geschlagen. Und dann haben sie mich zur Wache gebracht. Da sind sie auf mir herum getreten und haben mich weiter geschlagen."
Issa Fayed ist ein großer Mann mit Bart - in den sozialen Medien hatte er darauf hingewiesen, dass es auch ein palästinensisches Narrativ vom 7. Oktober gibt, in dem es um Vertreibung und Unterdrückung von Palästinensern geht. Keinesfalls, so sagt er, habe er den Terror der Hamas gutgeheißen - sonst würde er heute nicht in seinem Laden sitzen. Trotzdem hat er Angst, seine Meinung zu sagen.
Er hat schon am eigenen Leib erlebt, wie ein solches Gesetz wirken kann: der Reifenhändler Issa Fayed
Frage der Definition von Terror
Michael Sfard, der Rechtsanwalt, sieht ein großes Problem auch in der Definition von Terrorismus in Israel. Klar müsse man von Terror sprechen bei Gewaltakten gegen Zivilisten aus politischen Gründen. Aber für Israel ist ein Terrorist auch jemand, der eine Organisation unterstützt, die Israel für eine Terrororganisation hält, zum Beispiel diverse palästinensische Menschenrechtsorganisationen: "Ihr westliche Staaten müsst Eure Definition des Regimes in Israel überprüfen. Das ist keine Demokratie. Früher hatte es einige Elemente einer Demokratie, aber das wurde mit den Jahren abgewickelt," meint Sfard. Einige demokratische Elemente gebe es noch und Menschen, die für Demokratie kämpften, aber sie seien schwach. "Die heutige Mehrheit und die Regierung bringen ein Regierungssystem voran, in dem es um jüdische Vorherrschaft geht", ist sich Sfard sicher.
Das beschlossene Gesetz wird wohl schon bald zur Anwendung kommen. Palästinensische Israelis könnten dann auf Anweisung des Innenministers über Jahre abgeschoben werden. Mit demokratischen Vorstellungen eines Rechtsstaates hat das in den Augen von Experten nichts zu tun.