Bericht über Vertreibungen in Gaza Menschenrechtler werfen Israel Kriegsverbrechen vor
Human Rights Watch macht Israel schwere Vorwürfe. Grund sind die wiederholten Evakuierungsaufforderungen an die Bevölkerung im Gazastreifen. Sie glichen Zwangsumsiedlungen. Das Militär bestreitet das.
Für Muhammad Barghouth sind es keine abstrakten Sätze, die in dem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch stehen. Fast 90 Prozent aller 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen haben ihre Wohnung, ihr Haus, ihre Nachbarschaft verlassen müssen - und dies mehrmals.
Muhammad, der ursprünglich aus Gaza-Stadt kam, findet mit seiner Familie derzeit Obdach in einer UN-Schule in Chan Yunis im Süden des Gazastreifens: "Wenn man heute vertrieben wird", sagt Barghouth der Nachrichtenagentur Reuters, "ist das ein großes Leid. Man braucht Geld, man braucht einen Ort, man braucht Sicherheit, man braucht viele Dinge - und es ist ermüdend." Der Bericht von Human Rights Watch, der die israelischen Übergriffe und die Zwangsumsiedlungen verurteilt hat, stimme, so Barghouth, dennoch sei er spät gekommen.
Außergewöhnlich hohe Anzahl von Vertreibungen
Aus Rafah ganz im Süden des Gazastreifens ist auch Muhammad al Qan nach Chan Yunis geflohen, ebenfalls in ein hoffnungslos überfülltes UN-Schulgebäude: "Der Bericht von Human Rights Watch kam spät, aber so Gott will, ist er gut für uns und ein positiver Schritt für das palästinensische Volk in Gaza und unser Volk im Westjordanland und in der Diaspora." Sein Volk werde seit 1948 unterdrückt.
Die Menschenrechtsorganisation kommt in ihrem Bericht zu der Schlussfolgerung: Die außergewöhnlich hohe Anzahl von Vertreibungen der 1,9 von 2,2 Millionen Einwohnern des Gazastreifens durch die israelischen Streitkräfte käme einer Zwangsvertreibung gleich. Die Indizien würden darauf hindeuten, dass mehrere Aktionen von Vertreibungen vorsätzlich durchgeführt worden seien. Somit handele es sich um Kriegsverbrechen.
Israel: Evakuierung zum Schutz der Zivilisten
Die Militärbehörde für die Regierungsaktivitäten in den palästinensischen Gebieten, COGAT, weist dies zurück. Shimon Friedman, ein COGAT-Sprecher, sagt: "Wenn Israel eine Evakuierung anordnet, dann um das Leben der Zivilisten im Gazastreifen zu schützen." Deshalb würden sie erlassen und deshalb gebe es sie auch.
"Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir uns im Krieg mit der Hamas befinden und nicht mit den Menschen in Gaza. Und wir werden auf der Grundlage dieses Verständnisses weiterarbeiten und weiterhin humanitäre Hilfe für die Menschen leisten, die sie brauchen", so Friedman.
Humanitäre Bedürfnisse müssen befriedigt werden
Den Verpflichtungen, die für völkerrechtlich konforme Evakuierungen der Zivilbevölkerung erforderlich seien, sei Israel im Gazastreifen nicht nachgekommen, heißt es in dem Bericht von Human Rights Watch.
Die Evakuierungen müssten vorübergehend sein, die Zivilisten müssten in sicherere Gebiete gebracht werden, wo ihre grundlegenden humanitären Bedürfnisse befriedigt werden. Und außerdem könne die Zivilbevölkerung nur evakuiert werden, wenn das militärisch dringend erforderlich sei.
Bei den Vertriebenen, die schon sieben-, zehn- oder 15-mal hatten fliehen müssen, ist jede Hoffnung auf eine Besserung längst verschwunden: "Gestern hatten wir 20 Märtyrer, vorgestern hatten wir 30 Märtyrer und jeden Tag gibt es 30, 100 Märtyrer," sagt diese alte Frau, die in Chan Yunis jetzt Obdach findet. "Wir hören jeden Tag von 30 und 100 Märtyrern. Im Norden und in Rafah. Was soll ich sagen? Sieht die Welt das nicht?" Die ganze Welt könne sehen, was in Gaza vor sich geht. "Sie alle schweigen und wenden ihre Köpfe ab. Niemand kümmert sich um uns."