Westjordanland Haft ohne Anklage nur gegen Palästinenser
Mit der umstrittenen Administrativhaft geht Israel im Westjordanland gegen Terrorverdächtige vor. Künftig soll es sie nur noch für Palästinenser geben - nicht mehr für israelische Siedler.
Die Zustimmung zu der Entscheidung des neuen Verteidigungsministers Israel Katz, die sogenannte Administrativhaft für israelische Siedler im besetzten Westjordanland aufzuheben, ist im Lager der regierenden Likud-Partei von Premierminister Benjamin Netanyahu sowie dessen rechtsextremen Koalitionspartnern Bezahel Smotrich und Itamar Ben Gvir einhellig begrüßt worden.
Im Rahmen der Administrativhaft werden Verdächtige für sechs Monate und länger aus Sicherheitsgründen festgehalten. Das ist dann der Fall, wenn die Betroffenen etwa mit einer Straftat in Verbindung gebracht werden, es aber nicht genügend Beweise für eine Anklage gibt. Anwälte beklagen, dass die Inhaftierung in solchen Fällen auf Geheiminformationen basiert und sie deswegen kaum etwas dagegen in der Hand haben.
In Israel gibt es die Administrativhaft nicht. Premier Benjamin Netanyahu hat sie aber bereits in Erwägung gezogen, um gegen Kriminalität in der arabischen Community vorzugehen.
Quelle: dpa
Damit werde eine langjährige "Misshandlung" korrigiert und "Gerechtigkeit für alle, die das Land lieben" wiederhergestellt, so Ben Gvir, der Minister für Nationale Sicherheit ist und in der Siedlung Kiryat Arba bei Hebron lebt. Der neue Verteidigungsminister habe "die seit langem bestehende Diskriminierung der Siedler beseitigt und der Ungerechtigkeit ein Ende bereitet", erklärte Finanzminister Smotrich, der ebenfalls in einer der ältesten Siedlungen, in Kedumim, im besetzten Westjordanland wohnhaft ist. Gegen die Siedler seien "drakonische und undemokratische Maßnahmen angewandt" worden.
"Die Administrativhaft wurde politisch genutzt"
Ben Gvirs Parteifreundin, die Knesset-Abgeordnete Limor Son Har Melech, machte im Radiosender KAN aus ihrer Haltung keinen Hehl. Ob es also in Ordnung sei, wollte der Moderator wissen, Palästinenser zu verhaften und sie ohne Gerichtsverfahren in Haft zu halten - aber es könne niemals eine jüdische Person geben, die einen Terroranschlag verüben wolle? Solche Fälle habe es gegeben, argumentierte er.
Sie wisse von keinem solchen Fall, antwortete die Abgeordnete. Und sollte es Fälle geben, gebe es dafür ein Strafverfahren. "Es gibt keine Symmetrie zwischen einigen sporadischen Fällen und dem mörderischen Terrorismus, den jüdische Bürger erleben und unter dem wir leiden. Diese sporadischen Fälle können auf andere Weise behandelt werden." Die Administrativhaft sei politisch genutzt worden. "Alle wussten das, aber sie haben geschwiegen. Aber heute stehen die Leute auf."
Geheimdienst und Ex-Generäle kritisieren Entscheidung
Nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober war die Gewalt extremistischer Siedler gegen die palästinensische Bevölkerung massiv angestiegen. Es kam regelmäßig zu Brandanschlägen auf Wohnhäuser und Autos, zu nächtlichen Überfällen und zur Abholzung ganzer Olivenhaine. Die US-Regierung verhängte daraufhin Sanktionen gegen einige militante Anführer der Siedler.
Dass jetzt der Nachfolger von Yoav Gallant, Verteidigungsminister Katz, alle Siedler von der Administrationshaft ausgenommen hat, wurde vom israelischen Inlandsgeheimdienst sowie von Ex-Generälen massiv kritisiert. Vergeblich hatte der Shin-Bet-Chef Ronen Bar davor gewarnt: Das würde der Sicherheit des Staates einen "sofortigen, schweren Schaden" zufügen. Ex-Generalstabschef Gadi Eisenkot sprach von einem "schwerwiegenden und gefährlichen Fehler". Das sei ein weiterer Schritt in Richtung Eskalation im Westjordanland.
Ex-General Giora Eiland, einer der schärften sicherheitspolitischen Hardliner im Land, sagte im israelischen Radio, "natürlich bleibt es ein rein theoretisches Problem, wenn es keine Juden gibt, die terroristische Angriffe planen. Aber da wir leider davon ausgehen müssen, dass es solche gibt, ist das Mittel der Administrativhaft sehr wichtig und notwendig." Jahrelang sei das Mittel richtig angewandt worden, "ganz gleich, wer Verteidigungsminister war", so Eiland. "Ich finde die Entscheidung des Verteidigungsministers daher sehr merkwürdig, populistisch und sogar gefährlich."
Haft ohne Anklage nur noch bei Palästinensern
Künftig wird nur noch ausschließlich gegen Palästinenser im besetzten Westjordanland das umstrittene Instrument der Administrativhaft angewendet werden. Das heißt, sie können für sechs, zwölf und oftmals deutlich mehr Monate in Haft genommen werden, in der Regel ohne Gerichtsverfahren oder Zugang zu Anschuldigungen, die gegen sie erhoben werden.
Derzeit befinden sich nach Angaben der israelischen Gefängnisverwaltung rund 3.400 Palästinenser in Administrativhaft.