Japans Premier unter Druck Der lange Schatten des Shinzo Abe
Das politische Erbe des ermordeten Ex-Premiers Abe lastet schwer auf Japans Ministerpräsidenten Kishida. In seiner Partei toben Grabenkämpfe, und Verstrickungen der LDP mit der Moon-Sekte könnten Kishida straucheln lassen.
Deutsche Politiker gaben sich in diesem Jahr in Tokio förmlich die Klinke in die Hand. Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kennen und schätzen den japanischen Regierungschef Fumio Kishida.
Sein Kabinett schloss sich auch den Sanktionen gegen Russland an. Außenpolitisch steht Japan als Partner des Westens so hoch im Kurs wie lange nicht.
Doch innenpolitisch gerät Kishida unter Druck. Bei der jüngsten Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo sprachen nur noch 33,1 Prozent der Wahlberechtigten seinem Kabinett das Vertrauen aus. Mehr als die Hälfte der Befragten äußerte sich ablehnend.
Enge Vernetzung zur Moon-Sekte
Für Mieko Nakabayashi, Politikwissenschaftlerin an der renommierten Waseda-Universität in Tokio, liegt das hauptsächlich am Auftreten des Regierungschefs: "Die Menschen sehen ihn nicht als jemanden, der sich ernsthaft den Problemen stellt."
Das größte dieser Probleme zeigte sich nach der Ermordung von Ex-Premier Shinzo Abe am 8. Juli - die Verbindungen von Politikern der regierenden LDP zur sogenannten Moon-Sekte. Der Attentäter handelte nach eigener Aussage aus Hass auf die religiöse Gruppierung, die in Japan als "Vereinigungskirche" bekannt ist. Diese habe seine Familie finanziell ruiniert.
Schon seit Jahrzehnten hört man in Japan solche Klagen von Betroffenen. Abe unterhielt dennoch gute Kontakte zu der umstrittenen Gruppierung, die ursprünglich aus Südkorea stammt. Nach Abes Tod kam ein ganzes Netzwerk ans Licht. Mindestens 180 Parlamentsabgeordnete der LDP standen mit der Sekte in Kontakt.
Unmut in Bevölkerung, Gegner in der Partei
Regierungschef Kishida ist persönlich frei von derlei Verstrickungen. "Aber die Rolle des Chefermittlers in diesem Skandal hat er nicht übernommen", beobachtet die Politikwissenschaftlerin Nakabayashi. "Wie Pilze" seien daher die Spekulationen über den Einfluss der Moon-Sekte in Japan aus dem Boden geschossen.
Kishida unterschätzte die Empörung in der Bevölkerung, als er im Sommer einem Staatsbegräbnis für Abe zustimmte. Seine Entscheidung war ein Zugeständnis an den mächtigen rechten Flügel seiner Partei, der Abe als Idol verehrt. Kishida gehört dem liberalen Lager in der LDP an. Zum Machterhalt benötigt er das Wohlwollen der Rechtskonservativen in den eigenen Reihen.
Doch der teure öffentliche Trauerakt löste unerwartet deutliche Proteste aus und trug Kishida Kritik ein. Seine innerparteilichen Gegner setzen ihm jetzt erst recht zu. Eine Reihe von Enthüllungen und Skandalen erschüttert die Regierung. Informationen aus dem Inneren des Machtapparats wurden durchgestochen. Innerhalb eines Monats mussten drei Minister gehen.
Mit der Partei - oder gegen sie?
"Kishida steckt in einem Dilemma", stellt Nakabayashi fest. Ohne die Partei könne er sich nicht an der Macht halten. Aber die Bevölkerung könne er nur zurückgewinnen, wenn er sich gegen seine Partei stelle.
Ein Balanceakt, der auch in einem Rücktritt enden könnte. Dann würde auch der Westen einen geschätzten Ansprechpartner in Fernost verlieren.
Wirtschaftspolitik auf Prüfstand
Der Druck auf die Regierung wächst auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Sie ist ebenfalls noch vom Kurs Shinzo Abes geprägt. Mit den sogenannten "Abenomics" finanziert Japan seit Jahren wirtschaftliches Wachstum über die Notenpresse.
"Das Modell stößt jetzt an seine Grenzen", meint Martin Schulz, Chefökonom beim Technologiekonzern Fujitsu in Tokio. Anders als früher bekommt Japan heute Inflation zu spüren.
Händeringend sucht die Regierung nach Gegenmitteln. Um so mehr hängt Kishidas politische Zukunft davon ab, ob und wie er aus dem Schatten Abes heraustreten kann.