Nord- und Südkorea Psychoterror an der Grenze
An der innerkoreanischen Grenze ist die Kriegsgefahr so hoch wie seit Jahrzehnten nicht. Und eine neue Taktik Nordkoreas macht den Nachbarn im Süden das Leben zur Qual.
Wenn die Dunkelheit kommt, ist es vorbei mit der Ruhe im Dorf. Dann setzt ein Jaulen ein, wie von einer Sirene. Vermischt mit einem scharrenden Unterton, als würde jemand eine Eisenstange über den Boden ziehen.
"Manchmal sind es auch Laute wie das Bellen von Hunden oder das Quaken von Enten", erzählt ein Anwohner. Seine Nachbarin ergänzt: "Diese Geräusche sind so furchtbar, dass ich kaum schlafen kann." Die Dorfbewohner sind wütend. "Es nervt tierisch. Das macht uns krank."
"Die Männer trinken, die Frauen nehmen Schlaftabletten"
Gerade einmal 100 Menschen leben in dem Ort Siam-ri auf der südkoreanischen Seite der Grenze. Nacht für Nacht legt sich ein Lärmteppich über das Dorf. Dann bleibt den Bewohnern nur noch, sich in ihren Häusern zu verbarrikadieren und alle Türen und Fenster zu schließen.
Doch auch das hilft nicht wirklich. Die Störgeräusche erreichen sie überall. Ortsvorsteher Lee Tae-song beschreibt die Verzweiflung seiner Mitbürger: "Die Männer haben angefangen zu trinken. Die Frauen nehmen Schlaftabletten."
Landwirt Lee Hyun-goo zeigt bei Tageslicht, woher die Geräusche kommen. Mit dem bloßen Auge ist die Lärmquelle in der Ferne erkennbar. In wenigen Kilometern Entfernung ragt ein haushohes Gestell in die Höhe. Es ist eine Aufhängung für Lautsprecher jenseits der Grenze zu Nordkorea. Sie richten die Schallwellen direkt auf das Dorf Siam-ri.
Kriegsgefahr seit Jahrzehnten nicht so hoch wie heute
Lee lebt seit 70 Jahren hier. Er hat schon viel Auf und Ab in den Beziehungen zwischen Südkorea und dem kommunistischen Norden erlebt. Aber nichts war bisher so schlimm, findet er. Der Lärm-Terror aus Nordkorea mache alle fertig. Lee ahmt die Geräusche von drüben mit seiner Stimme nach. Für ihn klingen sie wie ein Maschinengewehr. "So geht das die ganze Nacht", beschwert sich der Landwirt.
Angefangen hat alles im Frühsommer 2024, als Nordkorea mit Müll beladene Ballons vom Wind in den Süden treiben ließ. Als Revanche begann der Süden mit Lautsprecher-Durchsagen und koreanischer Pop-Musik an der Grenze. Die Reaktion Nordkoreas wiederum war die Geräusch-Kanone. Eine endlose Spirale gegenseitiger Provokationen.
Nach Ansicht von Beobachtern war die Kriegsgefahr zwischen Nord- und Südkorea seit Jahrzehnten nicht mehr so hoch wie heute. Nordkorea stößt immer neue Drohungen Richtung Süden aus. Diktator Kim Jong-un hat Südkorea zum "Feind Nummer 1" erklärt. Hintergrund ist eine strategische Neuaufstellung des Nordens.
Bündnis mit Russland verschärft Lage
Pjöngjang hat in Russland einen Partner gefunden, wie es ihn seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mehr hatte. Deshalb unterstützt Diktator Kim Russlands Kremlchef Wladimir Putin inzwischen auch mit Tausenden Soldaten im Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Das Bündnis Nordkoreas mit Russland könnte dem Regime in Pjöngjang auch die Mittel und die Technik verschaffen, um sein Waffenarsenal zu modernisieren, vielleicht sogar für sein Atomwaffenprogramm. Damit verschärft sich auch die Lage auf der koreanischen Halbinsel.
In Südkorea beobachten sie diese Entwicklung mit Sorge: "Wenn Kim Jong-un Putin weiterhin unterstützt, wird Putin sich im Gegenzug auch erkenntlich zeigen", vermutet Moon Sung-mook, Leiter des Zentrums für Wiedervereinigungsstrategie in Seoul.
"Nordkorea nicht unnötig provozieren"
Südkoreas Regierung reagiere mit Entschlossenheit auf die erhöhte Gefahr. "Aber viele Bürger finden auch, dass die südkoreanische Regierung Nordkorea nicht unnötig provozieren sollte", so der Experte.
Gemeint ist unter anderem der akustische Schlagabtausch an der Grenze. Die Bewohner des Dorfes Siam-ri glauben, dass Nordkorea erst dann aufhören wird, wenn auch der Süden seine Lautsprecher abschaltet. Dorfvorsteher Lee Tae-Song hat deshalb vor allem einen Wunsch: "Hört bitte auf, Nordkorea zu beschallen." Bis auf Weiteres geht der Psychoterror aber weiter, Nacht für Nacht.
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