Nordkorea Will Kim Krieg?
Nordkoreas Diktator Kim Jong Un lässt seit Jahresbeginn keine Gelegenheit aus, um zu beweisen, dass er die militärische Auseinandersetzung nicht scheut. Einige Experten meinen: Es ist mehr als das übliche Säbelrasseln.
Wenige westliche Beobachter kennen Nordkorea so gut wie die beiden Amerikaner Siegfried Hecker und Robert Carlin. Hecker durfte Anfang der 2000er-Jahre nordkoreanische Atomanlagen inspizieren. Carlin besuchte das verschlossene Land an der Spitze internationaler Delegationen.
Es ist beunruhigend zu erfahren, wie die beiden renommierten Experten die aktuelle Situation einschätzen.
"So gefährlich wie seit 1950 nicht mehr"
Die Lage sei so gefährlich wie seit 1950 nicht mehr, schreiben Hecker und Carlin in einem Artikel der Experten-Plattform 38 North. Sie ziehen damit einen direkten Vergleich zum Koreakrieg, der von 1950 bis 1953 Millionen Leben kostete. Hecker und Carlin sind überzeugt:
Kim Jong Un hat die strategische Entscheidung getroffen, in den Krieg zu ziehen.
Verstörende Signale
Tatsächlich sendet der Machthaber in Pjöngjang seit Jahresbeginn verstörende Signale. Er testete innerhalb von nur zehn Tagen vier Mal neue Marschflugkörper. Nordkorea nennt sie "strategisch" und deutet damit an, dass sie atomwaffenfähig sind.
Es probt den Krieg mit Schießübungen in gefährlicher Nähe zur umstrittenen Seegrenze westlich der Halbinsel. Begleitet von einem beängstigenden rhetorischen Feuer auf die Nachbarn in Südkorea. "Feindstaat Nummer 1", so heißt Südkorea jetzt in der nordkoreanischen Propaganda.
Um den Bruch für alle sichtbar zu vollziehen, ließ Kim auch noch das Wiedervereinigungsdenkmal in der Hauptstadt des Nordens abreißen. Es war einst ein monumentales Symbol der Annäherung, das sein eigener Großvater Kim Il Sung errichten ließ. Heute ist dort ein leerer Platz in Pjöngjang, wie Satellitenbilder zeigen.
"Nordkorea stärkt Kriegsbereitschaft"
Anlass zur Sorge sieht auch Eric Ballbach, Nordkorea-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Die Grundlagen des innerkoreanischen Verhältnisses in Frage zu stellen, ist nach seiner Einschätzung eine der weitreichendsten politischen Entscheidungen Kim Jong Uns. Dahinter stehe die Absicht, die eigene Machtposition durch die Abgrenzung gegenüber dem Süden zu stärken.
Militärisch arbeite das Regime daran, sein Atomwaffenarsenal vielfältiger und flexibler zu gestalten. Dafür würden unterschiedliche Trägersysteme erprobt: "Nordkorea stärkt eindeutig die Kriegsbereitschaft des eigenen Landes", analysiert Ballbach.
In naher Zukunft rechnet Ballbach auch mit sogenannten taktischen Atomwaffen, geeignet für den Einsatz auf kürzere Distanz. Damit verbunden ist die Schreckensvision eines Nuklearkriegs an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea. Die Metropole Seoul mit fast zehn Millionen Einwohnern liegt nur etwa 50 Kilometer südlich dieser Grenze.
Krieg für Nordkorea nicht zu gewinnen
Doch mit einem direkten Angriff auf Südkorea würde Kim die Gegenreaktion der USA provozieren. "Es würde am Ende mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Ende des nordkoreanischen Regimes bedeuten", so Ballbach.
Es wäre also ein Krieg, der für Nordkorea nicht zu gewinnen ist und damit unvereinbar mit dem obersten Ziel des politischen Systems des Nordens: die Herrschaft der Kims zu bewahren.
Das spricht gegen die These der Amerikaner Hecker und Carlin, meint der Berliner Experte. Ausgerechnet jetzt, wo Pjöngjang begonnen hat, in großem Umfang Waffen und Munition an Russland zu verkaufen, käme ein Krieg mit dem Süden eher ungelegen.
Partnerschaft mit China und Russland
Doch der Konflikt kann sich auch unabsichtlich zuspitzen, denn es gibt inzwischen keinen direkten Kontakt mehr zwischen den verfeindeten Seiten. "Vor allem die Risiken einer ungewollten Eskalation steigen, wenn die Kommunikationskanäle für den Notfall fehlen", befürchtet Ballbach.
Hinzu kommt die neue geopolitische Lage seit Russlands Überfall auf die Ukraine. Nordkorea ist heute nicht mehr so abhängig vom Westen. Russland und China haben Nordkorea als strategischen Partner wiederentdeckt. Kim Jong Un hat dadurch Handlungsspielraum gewonnen. Wie er ihn nutzen wird, kann niemand mit Sicherheit vorhersagen.