Soldaten der UN-Friedensmission UNIFIL patroullieren im Libanon

UNIFIL-Truppen im Libanon Mission ohne Macht

Stand: 19.10.2024 20:48 Uhr

Die UN-Resolution 1701 ist Grundlage der Friedensmission UNIFIL im Libanon. Doch für die Durchsetzung fehlt den UN-Truppen die Macht. Und es fehlt der politische Wille, das zu ändern.

Richard Gowan beobachtet seit Jahren die Arbeit der Vereinten Nationen. Im Interview mit der ARD ist der Direktor der unabhängigen Denkfabrik "Crisis Group" in New York sehr nachdenklich und spricht von schweren Zeiten für die UN-Friedensmissionen. Besonders für UNIFIL. Die fast 10.000  Blauhelmsoldaten dort tragen zwar Waffen, dürfen sie aber im Wesentlichen nur zur Selbstverteidigung einsetzen.

Ein Dilemma, meint Gowan:  "Sie patrouilliert in der Gegend, beobachtet das Gebiet, ist aber nicht in der Lage, die Hisbollah aus eigener Kraft zu vertreiben."

Mandat aus dem Jahr 2006

1978 wurden die ersten Blauhelmsoldaten in den Libanon geschickt - um dort den Frieden zu bewahren. Im Jahr 2006 erweiterte der Sicherheitsrat ihr Mandat. Mit der Resolution 1701 erhielt UNIFIL den Auftrag, die libanesische Armee dabei zu unterstützen, wieder die Kontrolle über den Südlibanon zu übernehmen. Und um sicherzustellen, dass die Hisbollah dort weder Kämpfer noch Waffen hat. Außerdem sollten sich Israel und der Libanon über die Verwaltung ihrer gemeinsamen Grenze verständigen. Soweit die Theorie.  

"UNIFIL steckt in der Mitte fest, auch wenn man die Mission für einige Fehler verantwortlich machen kann. Aber man muss wirklich sagen, dass weder der Libanon noch Israel jemals wirklich versucht haben, die Resolution richtig umzusetzen", erklärt Analyst Gowan.  

Mit Geld und Waffen aus dem Iran

Das Ergebnis: Vor den Augen der UN-Truppen konnte sich die Hisbollah-Miliz im Grenzgebiet ausbreiten und aufrüsten. Mit Geld und Waffen aus dem Iran greift sie den Norden Israels an, das seinerseits immer wieder zurückfeuert. Verstöße auf allen Seiten - wie auch UNIFIL an das UN-Hauptquartier in New York berichtet.  

Jedes Mal, wenn ein israelischer Jet die libanesische Grenze überquere, verstoße er gegen die Resolution 1701, sagt Beobachter Gowan. "Ich denke, die Resolution beruhte auf der Hoffnung, dass der libanesische Staat stark genug sein würde, um die Hisbollah zurückzuhalten. In Wirklichkeit ist der libanesische Staat sehr, sehr schwach. Und die Hisbollah dort sehr einflussreich." Deshalb sei es den Libanesen nie möglich gewesen, die Hisbollah dazu zu bewegen, sich von der israelischen Grenze zurückzuziehen. "Das ist der Kern des Problems."

Hisbollah schüchtert UN-Truppen ein

Matthew Levitt ist Politologe und arbeitet für die pro-israelische Denkfabrik "Washington Institute". Levitt hat mehrere Bücher über die Terrorgruppen Hamas und Hisbollah geschrieben. Er bezeichnet UNIFIL als "kläglich gescheiterte Mission".

Levitt erzählt, wie Hisbollah-Kämpfer die UN-Truppen einschüchterten: "Einmal, als Bewaffnete in Zivilkleidung dem spanischen Kontingent den Zugang in ein Gebiet verweigerten, verzichteten die Spanier auf ihre Patrouillen. Dafür gibt es eigentlich gepanzerte UN-Fahrzeuge - oder sie hätten libanesische Streitkräfte als Eskorte holen können", schildert er. "Aber stattdessen wollten die Spanier Drohnen einsetzen. Als Hisbollah sie dann belästigte, haben sie ihre Drohnen am Ende gar nicht erst ausgepackt."

Angriff auf UN-Truppen könnte Kriegsverbrechen sein

Auch sind inzwischen bereits mehrere UNIFIL-Soldaten bei israelischen Angriffen verletzt worden. Die Israelis sprechen von versehentlichen Treffern und fordern, das Gefahrengebiet zu verlassen. Die an der Mission beteiligten Länder wiederum fordern alle Kriegsparteien dazu auf, internationales Recht zu achten. Ein Angriff auf UN-Truppen könne ein Kriegsverbrechen darstellen

Wie kann der Sicherheitsrat darauf reagieren? Verhängt er Sanktionen gegen Israel? Oder wird das UNIFIL-Mandat erweitert?

Eher nicht, meint Gowann: "Ich denke, dass es nach den Erfahrungen in Afghanistan und im Irak nur sehr wenige europäische Länder gibt, die in einen Krieg mit der Hisbollah geraten wollen." Auch wenn diese geschwächt sei. "Zumal dies das Risiko einer Konfrontation mit dem Iran erhöhen würde." 

UNIFIL hat an Glaubwürdigkeit verloren

Für den Terrorismusexperten Levitt sind nun zwei Dinge nötig. Zum einen müsse man den Iran als Geld- und Waffenquelle isolieren und ausschalten. Und: "Sowohl die libanesischen Streitkräfte als auch UNIFIL müssen personell aufgestockt werden, um effektiv rund um die Uhr an der Grenze zu patrouillieren. Waffen sind nicht zu Dekorationszwecken da. Wenn Hisbollah sie herausfordert, müssen sie bereit und befähigt sein, sich gegen zu behaupten." 

Aus Kreisen des UN-Gremiums heißt es, kurzfristig passiere wohl eher nichts. Die USA als Schutzmacht Israels würden mit ihrem Veto israelkritische Maßnahmen blockieren; während die iran-freundlichen Vetomächte Russland und China ein robusteres UNIFIL-Mandat sicherlich ablehnen würden.  

Klar ist aber auch, dass UNIFIL bei den Israelis an Glaubwürdigkeit verloren hat. Sollte Israel mit seiner derzeitigen Angriffswelle die Hisbollah nachhaltig schwächen,  wäre die Frage, ob UNIFIL im Rahmen des bestehenden Mandats ein Neuanfang gelingen könnte.  

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 19. Oktober 2024 um 06:20 Uhr.