Kritik an deutscher Nahost-Politik Verspieltes Vertrauen in der arabischen Welt
Die deutsche Unterstützung Israels im Nahost-Krieg stößt in der arabischen Welt auf viel Kritik. Menschenrechtler werfen der Regierung Doppelmoral vor. Auch hierzulande warnen Experten, Deutschland verspiele außenpolitisches Vertrauen.
In der arabischen Welt stand Deutschland wahrscheinlich lange vor allem für drei Dinge: Fußball - klar, Ingenieurskunst, und: Menschenrechte. Doch das positive Bild, das die Menschen von Deutschland hatten, ist ins Wanken gekommen. Fragt man zum Beispiel in Kairo herum, zeigen sich viele enttäuscht. Der Grund: Die aus ihrer Sicht einseitige Unterstützung für Israels Krieg im Gazastreifen.
"Das schadet dem Ruf Deutschlands", sagt Soaad. "Deutschland ist als Verfechter der Grundrechte bekannt. Aber jetzt ignorieren sie die Rechte derer, die getötet werden in Gaza." Und Mostafa ergänzt: "So, wie wir schon israelische und amerikanische Marken boykottieren, sollten wir vielleicht auch darüber nachdenken, bald deutsche Marken nicht mehr zu kaufen." Deutschland sei doch so ein fortschrittliches Land, moniert Yasser. "Jetzt trübt sich dieses Bild. Sie unterstützen Israel zu Unrecht."
Unverständnis und Ablehnung
In Kairos Straßen trifft die Haltung Deutschlands im Krieg zwischen Israel und der radikal-islamistischen Hamas auf Unverständnis und Ablehnung. Auch, wenn es praktisch keine offiziellen Umfragen dazu gibt, was die Menschen im Nahen und Mittleren Osten genau von Deutschlands Rolle halten, scheint man jetzt mit Enttäuschung auf den ehemaligen Sehnsuchtsort zu blicken.
Einer, der stets engen Kontakt zu deutschen Spitzenpolitikern und Diplomaten hatte, ist der ägyptische Aktivist Hossam Bahgat. Er ist einer der letzten Verteidiger für Menschenrechte in Ägypten und vertritt mit seiner Organisation "Egyptian Initiative for Personal Rights" politische Gefangene. Es ist keine leichte Aufgabe in einem Land, in dem viele Menschen teils seit Jahren ohne Anklage im Gefängnis sitzen.
"Wir haben keine romantischen Vorstellungen von der Weltpolitik", sagt Bahgat. "Wir wissen um Doppelstandards. Und wir kennen die Geschichte Deutschlands und dessen Beziehungen zu Israel. Aber was wir von Deutschland erwartet haben, war ein gewisser Anstand. Wir waren schockiert, als Deutschland zu einer Minderheit wurde - selbst in der EU."
Vorwurf der deutschen Doppelmoral
Viele hier in Ägypten hätten verfolgt, wie die Bundesrepublik vor dem Internationalen Gerichtshof Israel gegen den Vorwurf des Genozids verteidigte, so Bahgat - und wie sich die deutschen Waffenexporte nach Israel im Jahr 2023 verzehnfacht haben. Auch, dass Deutschland sich bei den Vereinten Nationen lange enthalten habe, als es um die Frage einer Waffenruhe ging, hätten viele enttäuscht zur Kenntnis genommen.
Von Doppelmoral ist dabei immer wieder die Rede: Während Deutschland etwa in Syrien oder der Ukraine zivile Opfer stets lautstark angeprangert habe, würden Tod und Leid der Palästinenser hingenommen.
"Für uns ist Deutschland ein Teil des Krieges"
Außenpolitisch hätte sich Deutschland dadurch ins Abseits gespielt, meint der ägyptische Menschenrechtler. Dazu komme seiner Meinung nach das Verbot von pro-palästinensischen Demonstrationen innerhalb Deutschlands und eine - Zitat - "Zensur" freier Meinungsäußerung im künstlerischen Bereich sowie bei öffentlichen Veranstaltungen.
"Das Problem ist nicht nur, dass die deutsche Politik daran scheitert, ihre selbst gesetzten Standards einzuhalten", so Bahgat, "Es ist die direkte Mittäterschaft durch die anhaltenden Waffenlieferungen an Israel. Für uns ist Deutschland, genauso wie die USA, ein Teil des Krieges. Die Auswirkungen sind meiner Meinung nach tektonisch."
Die gute Beziehung zu Deutschland sei passé, sagt Bhagat. Im Dezember lehnte er den deutsch-französischen Menschenrechtspreis ab und kappte die Verbindungen zu deutschen Partnern - auch zur deutschen Botschaft in Kairo.
Intoleranz gegenüber anderen Meinungen?
Dort fragen sich einige Diplomaten hinter vorgehaltener Hand unterdessen, ob man in Berlin eigentlich ahne, wie nachhaltig der Schaden sei, den man mit der lange scheinbar uneingeschränkten Unterstützung für Israel anrichte.
Dass Israels Sicherheit deutsche Staatsräson ist, dafür hätten viele Verständnis, berichtet Lilli Kobler. Sie leitet das Goethe Institut in Kairo und ist verantwortlich für die Institute in der Region Nordafrika und Nahost. Vielmehr sei eine wahrgenommene Intoleranz gegenüber anderen Meinungen der Grund, warum viele Partner in der arabischen Welt nicht mehr mit Deutschland und damit auch dem Goethe Institut assoziiert werden wollen, so Kobler.
"Wir merken natürlich auch, wie sich nach dem 7. Oktober unsere Beziehungen drastisch verändert und auch verschlechtert haben." Es gebe grundsätzlich von Kulturpartnern Verständnis für die besondere Position Deutschlands und die historische Verantwortung. "Aber gleichzeitig gibt es auch viel Unverständnis. Es gibt Partner, die sich alleingelassen fühlen, zu wenig Solidarität empfinden und sich auch teilweise abgeschnitten fühlen."
Einige lokale Organisationen und Kulturschaffende hätten sich bereits abgewandt, so Lilli Kobler. Jetzt gehe es darum, im Gespräch zu bleiben, den Kontakt nicht abreißen zu lassen - gerade wenn die Meinungen auseinandergehen.
Deutschlands Bild in der arabischen Welt hat gelitten
Die Gefahr, dass die deutsche Politik in der arabischen Welt Vertrauen verspiele, sieht auch Muriel Asseburg - insbesondere bei Menschenrechtlern oder Demokratie-Aktivisten. Die Politikwissenschaftlerin arbeitet für die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Damit würde man genau diejenigen verlieren, die Deutschland eigentlich in der Region unterstützen will. Es sind diejenigen, die für eine pluralistische Zivilgesellschaft stehen.
Hinzu kommt aus ihrer Sicht, dass Deutschland sich außenpolitisch in eine schwierigere Verhandlungsposition bringe. "Dass wir unterschiedlich stark priorisieren - also, wann ist uns das Völkerrecht wichtig und wann sind uns andere Interessen wichtiger - das wird uns in der Zukunft sehr stark vorgehalten werden", so Asseburg. Das heiße nicht, dass die politischen Eliten in manchen Ländern nicht mehr mit Deutschland kooperieren werden. "Aber es heißt, dass sie sehr viel stärker sagen werden: 'Kommt uns jetzt bloß nicht mit dem Verweis auf Menschenrechte oder das Völkerrecht. Wir wissen genau, dass euch das nur manchmal wichtig ist, aber nicht immer.'"
Deutschlands Bild in der arabischen Welt hat gelitten. Ob es sich wieder zurechtrücken lässt, hänge von der Haltung der Bundesregierung gegenüber Israel ab, meint die Expertin. Aber wohl auch davon, wie in Deutschland zukünftig andere Meinungen zum Krieg in Gaza und Kritik an der israelischen Regierung Gehör finden.