Menschen tragen einen Leichensack aus dem Wrack eines abgestürzten Privatjets in der Nähe des Dorfes Kuschenkino in der Region Twer.

Prigoschin soll tot sein Was wir über den Absturz wissen - und was nicht

Stand: 24.08.2023 20:38 Uhr

Nach Angaben der russischen Luftfahrtbehörde war Wagner-Chef Prigoschin an Bord des in Russland abgestürzten Privatjets. Alle zehn Insassen sollen tot sein. Doch vieles ist noch unklar - auch, ob Prigoschin tatsächlich ums Leben kam.

Was ist passiert?

In der russischen Region Twer ist am Mittwochabend in der Nähe des Dorfes Kuschenkino ein Privatjet vom Typ Embraer Legacy abgestürzt. Nach offiziellen Angaben gehört er dem Chef der russischen Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin.

Das russische Katastrophenschutzministerium meldete, dass sich zehn Menschen an Bord befanden: sieben Fluggäste und drei Besatzungsmitglieder. Laut der Nachrichtenagentur Tass war das Flugzeug auf dem Weg von Moskau nach Sankt Petersburg. Wenige Minuten nach dem Start des Flugzeugs soll der Kontakt zu der Besatzung abgebrochen sein. 

Die Karte zeigt den Ort Kuschenkino, der in der Nähe der Absturzstelle in der russischen Region Twer liegt.

Die Absturzstelle des Jets befindet sich nahe des Dorfes Kuschenkino.

War Wagner-Chef Prigoschin an Bord?

Die russische Luftfahrtbehörde Rosawiazija veröffentlichte ungewöhnlich schnell die Passagierliste. Normalerweise geschieht das erst mit großer Verspätung. Sie erklärte wenige Stunden nach dem Absturz offiziell, dass sich auch der Chef der Söldnergruppe Wagner an Bord der Maschine befunden habe. Auch dessen Stellvertreter und Mitbegründer der Wagner-Gruppe, Dmitri Utkin, habe zu den Passagieren gezählt.

Ein Sprecher der von Moskau eingesetzten Verwaltung in der ukrainischen Region Saporischschja, Wladimir Rogow, sagte, auch ihm sei von Wagner-Leuten versichert worden, dass Prigoschin und dessen enger Vertrauter Utkin an Bord gewesen seien, als die Maschine abstürzte.

Trotzdem ist damit nicht bewiesen, dass Prigoschin auch tatsächlich an Bord war. Eine Verschleierungsaktion, um von der Bildfläche zu verschwinden, kann nicht ausgeschlossen werden. In der Vergangenheit war schon zweimal voreilig über den Tod Prigoschins berichtet worden: 2019 sollte er beim Absturz eines Frachtflugzeugs in Afrika umgekommen sein. Im vergangenen Jahr wurde sein Tod im Osten der Ukraine vermeldet. Beide Male tauchte er später wieder auf.

Söldnertruppe Wagner bestätigt Tod von Prigoschin

Arnd Henze, WDR, tagesschau, 24.08.2023 12:00 Uhr

Wer war noch mit an Bord?

Die "Nowaja Gaseta Europe" veröffentlichte die Namen auf der Passagierliste. Demnach sollen auch Sergej Propustin, Jewgenij Makarjan und Alexander Totmin an Bord gewesen sein. Russischen Medienberichten zufolge soll es sich dabei um Wagner-Kämpfer handeln.

Auf der Liste steht auch Valerij Tschekalow, der nach Berichten russischer Portale der Wagner-Cheflogistiker und ein enger Vertrauter Prigoschins sein soll. Nikolaj Matuseew, der Chef von Prigoschins Sicherheitsdienst, soll laut Medienberichten in Syrien gekämpft haben und dort verwundet worden sein.

Alexej Lewschin als Pilot, Rustam Karimow als Co-Pilot und Kristina Raspopowa als Flugbegleiterin sollen die Besatzung gebildet haben.

Ist Prigoschins Tod bestätigt?

Schnell war bekannt geworden, dass Prigoschins Name auf der Passagierliste für den Flug mit dem Privatjet stand. Als erstes hatte dann der der Wagner-Gruppe nahestehende Telegram-Kanal "Grey Zone" verbreitet, Prigoschin sei bei dem Absturz gestorben. Auch der russische Zivilschutz teilte mit, alle zehn Insassen seien ums Leben gekommen.

Eine amtliche Bestätigung oder eindeutige Belege für den Tod des Wagner-Chefs gibt es bislang allerdings nicht. Russlands Präsident Putin kondolierte aber bereits den Angehörigen und bestätigte damit indirekt den mutmaßlichen Tod Prigoschins. In einer im Fernsehen übertragenen Sitzung sagte Putin: "Er war ein Mensch mit einem schwierigen Schicksal, und er hat schwere Fehler gemacht." Zugleich habe der Geschäftsmann und Söldnerchef Ergebnisse erzielt - für sich wie für die gemeinsame Sache.

ARD-Korrespondentin Ina Ruck sagte mit Blick auf die von Russland veröffentlichte Liste, man habe alle zehn Namen gesehen. "Das gilt vielen als Bestätigung, dass Prigoschin an Bord war. Aber eine wirkliche Bestätigung, dass er da ums Leben gekommen ist, haben wir nach wie vor nicht."

Wie geht es jetzt weiter?

Mittlerweile sind alle Leichen geborgen worden. Sie wurden in ein Institut zur Forensischen Untersuchung nach Twer gebracht. Dort soll die Identität der Absturzopfer ermittelt werden - dazu ist auch ein DNA-Abgleich geplant.

Um den Absturz zu untersuchen, wurde ein erfahrener Ermittler des staatlichen Ermittlungskomitees eingesetzt, berichtet ARD-Korrespondentin Ruck. Er habe schon viele Flugzeugkatastrophen untersucht. Allerdings handele es sich um einen automatischen Prozess, dass bei ungewöhnlichen Abstürzen ein solcher Ermittler eingesetzt werde.

"Die Wagner-Gruppen haben von Anfang an auf den Kreml gezeigt", Eckart Aretz, Redakteur bei tagesschau.de, zu den Spekulationen nach dem möglichen Tod von Wagner-Chef Prigoschin

tagesschau24, 24.08.2023 18:00 Uhr

Was ist über die Absturzursache bekannt?

Die Luftfahrtbehörde teilte mit, der Absturz in der Region Twer nördlich von Moskau werde untersucht. Der russischen Nachrichtenagentur Tass zufolge befindet sich die Absturzstelle fast 300 Kilometer von der Hauptstadt entfernt.

Noch gibt es keine offizielle Erklärung, wie es zu dem Absturz kommen konnte. Der zur russischen Polizei gehörende Telegram-Kanal "Baza" meldete unter Berufung auf die Internetseite flightradar24.com, dass das Flugzeug vor dem Absturz nicht in den Sinkflug übergegangen sei - es verschwand vom Radar, als es an Höhe gewann. 

Videoaufnahmen zeigen, wie das von Rauch umhüllte Privatflugzeug kurz nach 18 Uhr Moskauer Zeit fast senkrecht zu Boden fällt. Außerdem gibt es ein Video, das die letzten Minuten zeigen soll. Experten analysierten das Video und kamen zu dem Ergebnis, dass es darin Aufnahmen gibt, die auf eine Explosion hinweisen. Dafür sprächen die Wrackteile und wie das Flugzeug heruntergekommen sei.

Mehrere russische Gruppen bei Telegram und der Prigoschin nahestehende Kanal Grey Zone spekulieren über eine oder zwei Bomben an Bord der Embraer sowie den Abschuss durch die russische Flugabwehr. Die Nachrichtenagentur Reuters sprach mit mehreren Menschen im Dorf Kuschenkino. Sie berichteten von einem Knall kurz vor dem Absturz der Maschine.

Könnte es kein Unfall gewesen sein?

Es soll eine Explosion an Bord gegeben haben, die Leichen seien sehr stark verbrannt, so ARD-Korrespondentin Ruck im Gespräch mit den tagesthemen. Es werde sicherlich noch dauern, bis es eine Identifizierung geben könne. Aus Kreisen der Wagner-Gruppe werde der Vorwurf erhoben, es habe sich um einen Anschlag gehandelt, "ausgeübt von Verrätern Russlands".

"Es gibt noch keine wirkliche Bestätigung, dass Wagner-Chef Prigoschin ums Leben gekommen ist", Ina Ruck, ARD Moskau, mit Hintergründen zum abgestürzten Flugzeug in Russland

tagesthemen, 23.08.2023 22:15 Uhr

"Grey Zone" und einige Militärblogger verbreiteten die These, dass der Absturz kein Unfall gewesen sei. "Grey Zone" sprach von einem Abschuss durch die russische Flugabwehr. Überprüfen lassen sich diese Behauptungen nicht.

Auch der kremltreue russische Fernsehsender Zargrad stellte den Verdacht eines Mordkomplotts gegen Prigoschin in den Raum. Er gab aber dem ukrainischen Militärgeheimdienst die Schuld am Absturz des Flugzeugs.

Wie hat Kiew reagiert?

ARD-Korrespondent Vassili Golod sagte, in Kiew sei die Nachricht über den Flugzeugabsturz mit Interesse, aber auch mit Zurückhaltung aufgenommen worden. Das liege vor allem daran, dass es noch immer viele ungeklärte Details und Fragezeichen gebe, aber auch daran, dass Russland in seinem Krieg gegen die Ukraine immer wieder bewusst Lügen und Falschinformationen einsetzte und Nachrichten aus Moskau deshalb ganz grundsätzlich mit einer gehörigen Portion Skepsis aufgenommen werden.

Vassili Golod, ARD Kiew, zur Nachricht zum mutmaßlichen Tod Prigoschins

tagesthemen, 23.08.2023 22:15 Uhr

So äußerte sich auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nur knapp zu dem Flugzeugabsturz und dem möglichen Tod des Wagner-Chefs. "Wir haben nichts damit zu tun", schloss Selenskyj jegliche Beteiligung an dem Vorfall aus. Gleichzeitig fügte er hinzu, dass jeder wisse, wer dahinterstecke.

Zuvor hatte der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak auf der ehemals als Twitter bekannten Plattform X allerdings von einer "demonstrativen Beseitigung" des Wagner-Kommandos gesprochen.

Auf den Tag des Absturzes ist es genau zwei Monate her, dass die Wagner-Truppen meuterten und auf Prigoschins Geheiß auf Moskau zu marschierten. Die Hintergründe dieser Ereignisse sind bis heute unklar. Für Russlands Präsidenten Putin, der keine öffentliche Infragestellung seiner Autorität duldet, war es eine beispiellose Erschütterung seiner Machtposition. Er nannte Prigoschin daraufhin einen Verräter. Und selbst wenn sich beide Männer später noch einmal trafen, gingen viele Experten davon aus, dass Putin seinem einstigen Intimus den Ungehorsam nicht verzeihen werde.

Christina Nagel, ARD Moskau, tagesschau, 24.08.2023 07:55 Uhr

Mit Informationen von Stephan Laack und Christina Nagel, ARD-Studio Moskau

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 24. August 2023 um 12:00 Uhr.