Angehörige und Freunde von Geiseln, die im Gazastreifen von der Hamas festgehalten werden, zünden Fackeln an und marschieren während des jüdischen Chanukka-Festes auf dem Geiselplatz am Kunstmuseum, um die Freilassung der Geiseln zu fordern.
reportage

Chanukka in Tel Aviv Das Lichterfest in einer dunklen Zeit

Stand: 08.12.2023 08:23 Uhr

Das erste Licht am Chanukka-Leuchter brennt. Doch für die Angehörigen der Geiseln, die noch in der Gewalt der Hamas sind, ist es eine dunkle Zeit. Sie fordern die Politik auf, mehr für die Freilassung zu tun.

Es ist eine sehr stille Menge auf dem Platz vor dem großen Kunstmuseum in Tel Aviv, den sie umbenannt haben in "Platz der Geiseln". Hunderte Menschen sind gekommen. Auch hier wollen sie dabei sein, wenn die erste Chanukka-Kerze angezündet wird.

Vorne auf der Bühne stehen die Angehörigen - auch Lee Siegel. Sein Bruder Keith hat im Kibbutz Be’eri gewohnt und wurde von den Terroristen am 7. Oktober in den Gazastreifen verschleppt.

Es heißt, Chanukka ist das Fest des Lichts. Für mich ist es eher das Fest der Dunkelheit. Metaphorisch gesprochen ist man unter- oder oberhalb der Erde im Gazastreifen in der Dunkelheit, nicht im Licht. Ich hoffe sehr, dass Keith freikommt. Wenn nicht morgen, dann in einer Woche. Aber in der Zeit bis dahin kann ich ihn mir nur in der Dunkelheit vorstellen.
Lee Seigel, Angehöriger einer Geisel
Angehörige der verbliebenen Geiseln im Gazastreifen laufen in Tel Aviv mit Fackeln und Demonstrieren für die Freilassung der Geiseln.

Angehörige der verbliebenen Geiseln im Gazastreifen laufen mit Fackeln in Tel Aviv und fordern die Politik auf, mehr für die Freilassung der Geiseln zu tun.

Sorge um verbliebene Geiseln im Gazastreifen

Seine Schwägerin, Aviva, ist freigekommen, während der Feuerpause am 26. November. Das war für die Familie von Lee Siegel ein Fest. Doch so sehr ihn das gefreut hat, so sehr macht er sich Sorgen um seinen Bruder.

Chanukka, das Lichterfest, feiert eigentlich den Sieg über die Dunkelheit. Doch in diesem Jahr ist alles anders: "Es war eine Riesenfreude, sehr gut - bis letzten Freitagmorgen. Wir waren aufgeregt, Aviva zu sehen, und wir waren sicher, dass in einer der nächsten Gruppen auch Keith nach Hause kommen würde. Er ist auch Amerikaner. Aber dann: keine Feuerpause, keine Geiselfreilassungen mehr", sagt Seigel.

"Es geht um Leben und Tod"

Seit vergangenem Freitag wird wieder gekämpft in Gaza. Seitdem ist es für die Angehörigen der verschleppten Geiseln schwerer geworden, Hoffnung zu haben.

Gil Dickmann ist 31 Jahre alt und kommt aus Tel Aviv. Seine Cousine, Carmel, war am 7. Oktober zu Besuch bei Ihren Eltern, auch im Kibbutz Be’eri. Sie war gerade von einer langen Reise zurückgekommen. Ihre Mutter wurde umgebracht. Und manche der Dinge, die die freigelassenen Geiseln aus der Gefangenschaft berichten, sind für Gil Dickmann der reine Horror.

Es klingt so, als ob Hamas die Geiseln foltert, sie berührt. Frauen, Männer, alte, kranke Leute, die sterben, während sie dort sind. Das ist ein furchtbares Kriegsverbrechen und die ganze Welt sollte verstehen, was hier passiert. Das ist keine israelische Sache, keine Sache zwischen Israel und Palästina. Es geht um Leben und Tod, eine humanitäre Frage - das muss jetzt aufhören.
Gil Dickmann, Angehöriger einer Geisel
Lichterfest Chanukka
Mit dem Lichterfest Chanukka (hebräisch: Weihung) feiern Juden den Sieg der Makkabäer über die syrischen Armeen im Jahr 164 vor Christus und die Wiedereinweihung des Jerusalemer Tempels. Weil damals das ewige Licht im Tempel wie durch ein Wunder acht Tage lang gebrannt haben soll, wird an dem Leuchter jeden Tag eine weitere Kerze angezündet.

Alle Geiseln sollen freikommen - sofort

Jeden Tag zünden Juden in aller Welt in diesen Tagen eine weitere Chanukka-Kerze an. Symbolisch kommt dadurch immer mehr Licht in die Welt. Auch mitten in Tel Aviv, auf dem "Platz der Geiseln", steht ein großer Chanukka-Leuchter.

Es ist eine Mischung aus Trauer, Hoffnung und Entschlossenheit auf dem Platz - auch wenn der Ruf ertönt, der eigentlich eine Forderung an die Politik ist. Die Geiseln sollen endlich freikommen - alle. Und zwar: "Achshav" - jetzt. Gil Dickmann weiß, dass seine Cousine eine starke Frau ist. Mitgefangene haben sie gesehen und von ihr berichtet.

"Wir wissen, dass sie in Gaza am Leben ist. Das wissen wir von den freigelassenen Geiseln. Sie haben uns nicht nur gesagt, dass sie körperlich in Ordnung ist, sondern dass sie mit den anderen in Gefangenschaft Yoga und Meditationen gemacht hat, um sie auch mental zu stärken", sagt Dickmann.

Er hoffe, dass sie das noch immer macht, während sie dort ist. Er hofft, dass das nicht mehr lange dauert. Dass sie vielleicht in Freiheit ist, wenn Chanukka zu Ende geht - wenn die achte Kerze brennt.

Jan-Christoph Kitzler, ARD Tel Aviv, tagesschau, 08.12.2023 06:49 Uhr