Eine Grenzanlage am Meer auf der südkoreanischen Insel Yeongpyeong
reportage

Südkoreanische Grenzinseln Die Gefahr kommt vom Meer

Stand: 02.05.2024 16:47 Uhr

Auf der südkoreanischen Inselgruppe Yeongpyeong erleben die Menschen unmittelbar, wie oft Nordkorea das Nachbarland provoziert. Drei Kilometer trennen die Inseln vom Norden. Wie lebt man dort mit dem fast täglichen Beschuss?

Zweimal am Tag legt die Fähre von Incheon an der Westküste Südkoreas ab in Richtung der Yeongpyeong-Inseln. Bis zur größten, der Daeyeongpyeong, sind es gut zwei Stunden Fahrt.

Sie ist nur sieben Quadratkilometer groß und für den demokratischen Süden strategisch wichtig, denn wenige Kilometer Luftlinie entfernt erheben sich Inseln aus dem Meer, die zu Nordkorea gehören.

Karte: Inselgruppe Yeongpyeong, Südkorea

Bunker, Tunnel und viele Soldaten

Daeyeongpyeong lebt vom Militär. Rund ein Drittel der 2000 Menschen auf der Insel sind Soldaten oder Militärangehörige. Wer die Aussichtsplattform in der Mitte der Insel besucht, sieht überall Tunnel in Tarnfarben, hier und da einen Bunker.

Im Inselcafé hängen an einer Gitterwand hunderte Post-it-Friedenstauben und Herzchen in gelb und lila. Soldaten und ihre Freundinnen haben Wünsche und Botschaften geschrieben, bekunden ihre Liebe und hoffen auf Frieden, den es de facto zwischen Nord- und Südkorea seit dem Ende des Krieges 1953 noch immer nicht gibt, sondern nur einen Waffenstillstand.

Wegen der exponierten Lage des Cafés auf einer Anhöhe muss es täglich ab 17.00 Uhr schließen. Young Ae steht entspannt hinter der Espressomaschine. "Wenn der Norden Militärübungen macht, hören wir das immer", sagt sie, "dann mache ich mir auch kurz Sorgen, aber die vergehen auch schnell wieder, und der Alltag kehrt zurück."

Blick von der südkoreanischen Insel Yeongpyeong nach Nordkorea

Blick von der südkoreanischen Insel Yeongpyeong nach Nordkorea: "Wenn der Norden Militärübungen macht, hören wir das immer"

Zuflucht im Schutzbunker

Einen größeren Schreck habe sie Anfang Januar bekommen, als 200 Artilleriegranaten in der Pufferzone einschlugen, auf Daeyeongpyoeng Alarm ausgelöst wurde und sich die Menschen in Sicherheit bringen sollten. Drei Stunden habe sie daraufhin im Schutzbunker gesessen und sich, wie wahrscheinlich auch andere Bewohnerinnen, gefragt, warum die Menschen im restlichen Südkorea ein so sorgloses Leben führen können und sie nicht.

Park Hee Sook haben die Ereignisse im Januar nicht aus der Ruhe gebracht. Sie zeigt den Schutzbunker unterhalb ihres Hauses. Die Stahltür ist, anders als üblich, nur angelehnt. Zumindest der Vorraum ist geöffnet. Dort stehen links in einem Regal ordentlich aufgereiht etwa 50 Paar Hausschuhe.

Sie schätzt die Gefahr einer Attacke nicht größer ein als anderswo: "Südkorea ist ein kleines Land, und wir sind nirgendwo sicher." Aber warum sollte Nordkorea eine kleine Insel eher attackieren als das Festland und Seoul, fragt sie sich.

Dennoch hat sie noch gut einen wesentlich schwereren Zwischenfall auf Daeyeongpyoeng in Erinnerung. Im Herbst 2010 reagierte der Norden auf Militärübungen des Südens mit Artilleriefeuer. Mehrere Häuser wurden in Brand gesetzt, vier Menschen starben, achtzehn wurden verletzt. Park Hee Sook zog daraufhin für drei Monate aufs Festland und sagt, sie sei auch danach noch lange bei jedem Geräusch zusammengezuckt. 

Auf den Ernstfall vorbereiten

Die Insel hat insgesamt sieben Schutzbunker, die so ausgestattet sind, dass alle Bewohner mindestens für einen halben Tag gut versorgt werden können. Lee Han Byul arbeitet bei der Stadtverwaltung und ist für zwei Jahre nach Daeyeongpyoeng abgeordnet. Er führt durch einen der Bunker für 150 Menschen.

In einem Raum hängen Gasmasken, im nächsten stehen Notfallbetten, dazu jede Menge verschiedene Nahrungsmittel, eine Hifi-Anlage für Fernsehen und Radio. Außerdem gibt es zwei graue Telefone - eines für die Bewohner der Insel, eines für das Militär - und ein Satellitentelefon.

Lee Han Byul glaubt, dass sie auf Daeyeongpyeong sehr gut auf einen möglichen Angriff vorbereitet sind. Die Marine trainiere ständig, gerade im Norden gebe es viele Militärbasen und sogar eine Panzerhaubitze. Im Notfall könne sogar eine Rakete Richtung Norden abgefeuert werden.

Regelmäßige Evakuierungsübung

Weil es in einem solchen Notfall das Ziel ist, die Bewohner so schnell wie möglich von der Insel zu bringen, wird auch das regelmäßig geübt, alle drei Monate einmal - die Teilnahme ist freiwillig.

Ein gutes Dutzend Menschen ist der Aufforderung gefolgt. Sie sitzen an einem Vormittag am Hafen in einem Luftkissenboot. Als das Schiff ablegt, schauen die Koreanerinnen in der ersten Reihe abwechselnd nach links und rechts und unterhalten sich darüber, wie sie verfärbte Wäsche wieder weiß bekommen. Das Reden mit Journalisten überlassen sie den Männern. Die sind eher still, aber einer von ihnen sagt, ihm gebe die Übung Sicherheit, auch wenn die Gruppe im Grunde nur 20 Minuten um die eigene Insel gefahren wird.

Polizeihauptmeister Choi Gwang Seok, der vorher sichtlich angespannt war, hat nun ein Lächeln im Gesicht. Alles habe gut geklappt.

Auf der südkoreanischen Insel Yeongpyeong begrüßt ein Schild am Meer Geflüchtete aus Nordkorea.

Wer es von Nordkorea nach Yeongpyeong schafft, wird am Strand mit diesem Schild begrüßt.

Auf der südkoreanischen Insel Yeongpyeong warnt ein Schild vor Minen.

Für Geflüchtete wie Inselbewohner gilt stets, auf angespülte Minen zu achten.

Willkommensgruß und Minenwarnung

Pro Jahr überqueren, meist in Holzbooten, ein bis zwei Nordkoreaner die Seegrenze und stranden im Süden. Schwimmen ist nach Einschätzung von Anwohnern wegen der Strömung zu schwierig. Wenn ein Nordkoreaner an dem breiten Strand aus Sand und Kieselsteinen ankommt, sieht er als erstes ein Schild: "Willkommen in dem freien Land Südkorea. Bitte drücken Sie den Kopf neben dem Telefon, und wir werden sie weiterleiten."

Was der Geflüchtete nicht sieht, ist ein weiteres Schild auf der zum Strand hinführenden Seite. Dort wird vor nordkoreanischen Minen gewarnt, die immer wieder angespült werden und sich in den Kieselsteinen verbergen könnten.

Ein Restaurantbesitzer vertritt sich in der Mittagspause am Strand die Füße. Im Sommer gingen hier alle schwimmen, Minen hin oder her. Ihm mache die geringe Entfernung zum Norden auch keine Angst: "Beide Länder wissen, dass es im Falle eines Konflikts kein Ende gibt, dann wird das ein richtig großer Krieg, deshalb mache ich mir keine großen Sorgen."

Kathrin Erdmann, ARD Tokio, tagesschau, 02.05.2024 11:51 Uhr