Inhaftierter PKK-Anführer in der Türkei Prokurdische Politiker besuchen Öcalan
Der letzte Friedensprozess zwischen der türkischen Regierung und der PKK scheiterte 2015. Nun durfte der inhaftierte Anführer Öcalan Besuch empfangen. Hinter der Versöhnungsgeste könnte ein Kalkül Erdogans stecken.
In der Türkei hat erstmals seit fast zehn Jahren eine Delegation der prokurdischen Oppositionspartei DEM den inhaftierten Kurdenführer und PKK-Gründer Abdullah Öcalan im Gefängnis besucht. Nach Angaben der Partei waren zuvor die Abgeordneten Sirri Süreyya Önder und Pervin Buldan auf der Gefängnisinsel Imrali eingetroffen.
Wie die DEM-Partei gegenüber dem ARD-Studio Istanbul mitteilte, sei keine Pressekonferenz zu dem Ergebnis des Besuchs bei Öcalan geplant. Fünf Stunden soll das Gespräch gedauert haben. Türkische Medien rechnen damit, dass der Besuch nur ein erster Schritt war - demnach handelte es sich um eine Art Vorgespräch. Für ein Ergebnis werde auf das kurdische Neujahrsfest am 21. März hingewiesen, hieß es.
Hoffnung auf "eine neue Ära"
Zuvor hatte DEM-Co-Parteichef Tuncer Bakirhan mitgeteilt, er hoffe, dass die Gespräche mit Öcalan "eine neue Ära" für die demokratische Lösung der Kurdenfrage einleiten würden. "Während ich hier spreche, trifft sich unsere Delegation mit Herrn Abdullah Öcalan auf Imrali. Wir glauben, dass dies wichtig ist", sagte Bakirhan vor Journalisten. Die Gefängnistore auf Imrali müssten "geöffnet werden", forderte er. "Ich hoffe, dass die Gespräche dort es ermöglichen werden, die Kurdenfrage durch demokratische Mittel auf einer demokratischen Grundlage zu lösen".
Die türkische Justiz hatte nach Angaben eines Parteisprechers den Besuchsantrag genehmigt. Es ist der erste Besuch von Vertretern der DEM bei Öcalan seit rund zehn Jahren. Die Partei war früher unter dem Namen HDP bekannt. Die türkische Regierung wirft ihr Verbindungen zur von der türkischen Justiz verbotenen und als Terrororganisation eingestuften PKK vor. Die Organisation kämpft seit den 1980er Jahren gegen den türkischen Staat. Sie wird auch von der Europäischen Union und den USA als Terrororganisation eingestuft.
Ihr Anführer Öcalan sitzt seit 1999 in Haft. Zunächst wurde er zum Tode verurteilt, entging durch die Abschaffung der Todesstrafe in der Türkei dem Urteil jedoch. Seitdem verbüßt er in fast völliger Isolation auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer vor Istanbul eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Regierungspartner bringt Öcalan-Freilassung ins Spiel
Der Abgeordnete Önder konnte Öcalan bereits im Rahmen früherer Bemühungen um eine Aussöhnung im Gefängnis besuchen. Der letzte Versuch, einen Frieden zwischen der Regierung und der PKK zu erreichen, scheiterte 2015. Ende Oktober durfte Öcalan schon seinen Neffen Ömer, der ebenfalls Abgeordneter der DEM-Partei ist, empfangen. Das Treffen galt aber vielmehr als eines auf familiärer statt politischer Ebene.
Zuvor hatte der Vorsitzende der rechtsnationalistischen Koalitionspartei MHP, Devlet Bahceli, überraschend vorgeschlagen, Öcalan solle im Parlament die Auflösung der PKK und einen Gewaltverzicht verkünden. "Wenn er das macht, sollte es für ihn einen Weg zur Rehabilitation geben", so Bahceli.
Die MHP ist seit Jahren wichtigster Bündnispartner der Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Dieser unterstützte den MHP-Vorschlag. Es sei sinnvoll, den Vorstoß seines Regierungspartners ohne Vorurteile zu bewerten, so der türkische Staatschef. Die Türkei müsse Probleme lösen, anstatt sie zu ignorieren. Angesichts der Herausforderungen im Nahen Osten sei ein neuer politischer Ansatz nötig.
Verfassungsänderung als Hintergrund?
Beobachter sehen die Versöhnungsgesten in Zusammenhang mit einer von Erdogan in Spiel gebrachten Verfassungsänderung. Diese könnte zu seiner unbegrenzten Amtszeit führen. Dafür braucht der türkische Präsident Stimmen aus anderen politischen Lagern. Um ein Referendum über eine Verfassungsänderung auszurufen, ist die Zustimmung von 360 der 600 Abgeordneten im Parlament notwendig, ebenso wie für eine Neuwahl. Das AKP-Bündnis verfügt über 321 Sitze. Die DEM-Partei verfügt über 57 Sitze.
Erdogan bestimmt die Geschicke der Türkei seit 21 Jahren - zunächst als Ministerpräsident, dann als Staatspräsident. Nach seiner Wiederwahl 2023 ist seine gegenwärtige Präsidentschaft gemäß Verfassung die letzte, sofern das Parlament keine Neuwahlen ausruft. Regulär wird 2028 gewählt.
Ob aus den jüngsten Vorstößen ein neuer Friedensprozess in der Türkei entstehen könnte, ist noch unklar. Einen Tag nach Bahcelis Vorschlag zu Öcalan gab es einen Anschlag auf ein Rüstungsunternehmen in Ankara, zu dem sich die PKK bekannte. Ein Hinweis, so Beobachter, dass nicht alle hinter dem neu angedachten Friedensprozess stehen - allerdings führte er nicht dazu, dass der Besuch bei Öcalan unterbunden wurde.
Mit Informationen von Tina Fuchs, ARD-Studio Istanbul