Inflation in der Türkei Nur der Simit wird nicht teurer
In der Türkei liegt die Inflation mittlerweile bei fast 70 Prozent. Immer mehr Menschen drohen in die Armut zu rutschen. Nun will die Erdogan-Regierung Sparmaßnahmen ergreifen. Ist sie wirklich zu harten Einschnitten bereit?
Etwas abseits in einer kleinen Seitenstraße des Istanbuler Bezirks Beyoglu liegt die kleine Bäckerei "Eryilmaz Kardesler". Hier wird noch selbst gebacken. Es gibt fast nur Stammkundschaft.
Doch die Stimmung ist gedrückt. Das Standard-Weißbrot mit 200 Gramm kostet mittlerweile zehn türkische Lira - das sind 31 Prozent mehr als noch vor wenigen Wochen, wie die Istanbuler Handelskammer ausgerechnet hat.
Eine Frau schimpft auf die Regierung, "nur leere Versprechen sind gemacht worden", sie könne sich bald nichts mehr leisten, nicht einmal mehr einfaches Weißbrot. Andere Kunden nicken zustimmend.
Bei einer galoppierenden Inflation wird der Brotpreis zum Politikum - viele Türken fürchten, sich selbst das einfachste Produkt nicht mehr leisten zu können.
Es trifft nicht nur die Ärmsten
Das ist der Alltag in der Millionen-Metropole, wenn man nicht superreich ist. Lebensmittelpreise steigen, Energiepreise steigen, Mieten steigen. Die einkommensschwachen Schichten kämpfen oft ums wirtschaftliche Überleben.
Und auch die Mittelschicht ist stark betroffen - sie werde "zerstört", sagt der Ökonom Ibrahim Kahveci, der für die Zeitung Karar und die TV-Sender Halk TV und Kanal 5 die aktuelle Lage kommentiert.
Sparprogramm gegen die Krise
Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan hat diese Entwicklung lange laufen gelassen, auch weil mehrere Wahlen anstanden, vor denen sie bei ihren Anhängern mit Wohltaten punkten wollte.
In diesem Jahr stehen keine Wahlen an, und bei einer Inflationsrate von fast 70 Prozent ist die Regierung nun bereit zum Kurswechsel - und das bedeutet: die Staatsausgaben zu kürzen.
Für Finanzminister Mehmet Simsek, der seit dem vergangenen Jahr im Amt ist und vielen als Garant einer stabilen Finanzpolitik gilt, ist das allerdings nach Jahren des ungezügelten Geldausgebens unter seinem Vorgänger eine politisch heikle Aufgabe.
Ende der Niedrigzinspolitik
Das Versprechen ist ambitioniert: Ende 2025 soll die Inflation im einstelligen Bereich liegen. Die Niedrigzinspolitik der Erdogan-Jahre hat Simsek schon rückgängig gemacht. Aktuell liegt der Leitzins bei 50 Prozent. Das sei aber immer noch zu niedrig, sagen Experten.
Nun will Simsek vor allem bei staatlichen Ausgaben sparen. Er legt einen Maßnahmenkatalog vor, um die Krise zu bewältigen: Im Staatsdienst sollen Stellen von Pensionären erst einmal nicht mehr neu besetzt werden. Der staatliche Fuhrpark soll verschlankt werden. Der Kauf oder die Miete neuer Fahrzeuge wird für drei Jahre gestoppt.
Auch der Bau oder Kauf von öffentlichen Gebäuden soll für drei Jahre ausgesetzt werden. In den öffentlichen Haushalten soll im zweistelligen Bereich gespart, Dienstleistungen und Investitionen dort eingeschränkt werden.
Experten bezweifeln die Wirkung des Sparprogramms
Doch wie sinnvoll sind diese Budgetkürzungen? Reichen sie aus, um die Probleme zu lösen? Experten bezweifeln das. Ökonom Kahveci, der lange ein Anhänger der Erdogan-Regierung war, nennt das neue Sparprogramm eine "PR-Aktion" und "Augenwischerei".
Vor allem Besserverdienende würden davon profitieren. Nur ein Kurswechsel, nur schmerzhafte Reformen könnten "nach jahrelanger Misswirtschaft" Lösungen bringen.
Kahveci kritisiert, dass es bei den Gehältern der Staatsbediensteten zu einer "Explosion" gekommen sei. Auch weil sich die Anzahl dieser Beamten seit 2006 verdoppelt hätten. Und: Die Beamten könnten schon ab 40 Jahren in Rente gehen. Doch dieser Bereich bleibe im Sparprogramm unangetastet. Auch weil es hier um viele Wähler der Regierungspartei geht, so Kahveci.
Eine Sache von Jahren
Ein tiefgreifendes Umsteuern würde Jahre dauern und am Anfang harte Einschnitte bedeuten. Den politischen Willen dazu sieht Kahveci nicht, obwohl er vom Finanzminister Simsek viel hält. Doch das letzte Wort habe immer Erdogan, und der wolle seine Anhänger nicht zusätzlich belasten.
Und der Präsident werde auch weiter Geldgeschenke an die Bevölkerung verteilen. Wenn denn noch Geld da sei. Die Inflation und das weitere Ansteigen der Preise werde das aber nicht bekämpfen.
Ein Produkt bleibt günstig
Genau darauf aber hoffen auch die Kunden der Bäckerei Eryilmaz Kardesler. Sie freuen sich darüber, dass zumindest ein Produkt nicht immer teurer wird - der beliebte Sesamkringel Simit, ein Nationalgebäck. Sein Preis ist seit einiger Zeit unverändert geblieben - aber nur, weil hier eine staatliche Preisbremse greift.
Die Handelsdirektionen der Provinzen legen den Preis nun fest, nachdem dieser im letzten Jahr stark gestiegen war.