Zerstörte Gebäude in Chan Yunis

Kriegswaffen im Gazastreifen "Verbrennungen, Zerreißungen, Frakturen"

Stand: 19.10.2024 04:12 Uhr

Während Deutschland weiter Waffen an Israel liefern will, sind andere Staaten kritischer - und begründen das mit den verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung. Ein Chirurg berichtet aus einem Feldkrankenhaus.

Hört man das, was Bundeskanzler Olaf Scholz zuletzt wieder zum Thema Waffenlieferungen an Israel sagte, dann scheint die Lage klar: Israel habe das Recht, sich zu verteidigen, heißt es dann wie immer. Und in seiner Regierungserklärung am vergangenen Mittwoch kam noch hinzu: Es werde immer weitere Waffenlieferungen aus Deutschland geben, darauf könne sich Israel verlassen.

In Israel scheint man diesen Worten nicht ganz zu trauen - unter anderem vermutlich auch, weil es laut Regierungssprecher Steffen Hebestreit seit mehr als einem halben Jahr de facto keine Waffenlieferungen aus Deutschland mehr gegeben hat.

Und wenn man dann noch die Berichte in israelischen Medien liest über Munitionsmängel bei der Armee, über zu wenige Geschosse für die Raketenabwehr und über Anordnungen zum Sparen von Munition im Krieg an mehreren Fronten, dann erklärt sich die unverblümte Forderung, die der israelische Außenminister Israel Katz nun gegenüber Deutschland in der Bild-Zeitung erhoben hat: "Es ist klar, dass Deutschland eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels hat. Jetzt ist der Zeitpunkt dafür gekommen. Ich sage Ihnen, dass wir erwarten, dass Deutschland die Waffen liefert, die Israel benötigt."

Waffen, die Israel zum Beispiel im Gazastreifen einsetzt, wo das von der Hamas geführte Gesundheitsministerium von inzwischen mehr als 42.000 Toten und fast 100.000 Verletzten spricht.

Chirurg berichtet von Wirkung der Waffen

Wenn man wissen will, wie die Waffen in Gaza wirken, dann sollte man Jan Wynands zuhören: Der plastische Chirurg aus Bonn ist gerade für sechs Wochen in einem Feldkrankenhaus für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz im Einsatz, und zwar in Rafah, ganz im Süden, wo es immer wieder Kämpfe gibt.

"In der alltäglichen Auseinandersetzung mit den verletzten Patienten hier sehen wir Verbrennungen, Zerreißungen, einhergehend mit Frakturen, also Brüchen der Knochen", sagt er. "Häufig ist das nicht nur ein Bein, sondern das sind verschiedene, multiple Brüche, die dann ihren Ursprung haben in Explosionsverletzungen aus der Luft oder aus einem Geschoss."

Wohlgemerkt, diese Verletzungen gibt es auch bei Zivilisten. Das Feldkrankenhaus habe eine Station für Frauen und eine für Kinder, sagt Wynands, die Betten seien immer belegt.

Selbst die USA drohen mit Kürzungen

Andere Staaten stellen längst nicht mehr nur die Frage, ob Israels Kriegsführung in Gaza, nach dem Terrorüberfall der Hamas vom 7. Oktober, noch verhältnismäßig ist: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat gerade erst gefordert, keine Waffen mehr an Israel zu liefern, die im Gaza-Krieg eingesetzt werden könnten.

Die britische Regierung hat die Lieferung bestimmter Waffen bereits verboten, denn es bestehe in Gaza ein klares Risiko von Verletzungen des Kriegsvölkerrechts. Und selbst die USA, Israels engster Verbündeter, drohen mit der Kürzung von Waffenlieferungen, sollte sich die humanitäre Lage im Gazastreifen nicht deutlich verbessern.

Es gibt da einen Zusammenhang: Für Jan Wynands, den Chirurgen, verschlimmert vor allem der Hunger in Gaza das, was die Kriegswaffen dort anrichten. "Das ist eine der größten Herausforderungen, dass wir es mit Menschen zu tun haben, die mangelernährt sind, die sehr, sehr schlecht dran sind, und wo man noch so gute Operationen planen kann. Wenn der Körper keine Nährstoffe mehr hat, dann heilt auch vieles nicht", sagt er. 

Deutschland wird weiter liefern

Doch Deutschland wird weiter liefern: Es soll beispielsweise um Getriebe für Panzer gehen, die im Gazastreifen im Einsatz sind. In den vergangenen acht Wochen habe die Bundesregierung Rüstungsexporte im Wert von rund 31 Millionen Euro für Israel genehmigt, berichtet die Nachrichtenagentur dpa.

Auf die Frage der ARD nach zivilen Opfern durch den Einsatz deutscher Rüstungsgüter antwortet Regierungssprecher Hebestreit schmallippig: "Wir haben dazu keinerlei Hinweise und ansonsten darf ich mich zu internen, geheimen Vorgängen innerhalb der Bundesregierung hier und an anderer Stelle nicht äußern."

Sicher ist nur: Deutschland wird weitere Rüstungsgüter an Israel liefern. Was sie im Gazastreifen anrichten, steht auf einem anderen Blatt.