Krise in Belarus Lukaschenko lehnt Neuwahlen ab
100.000 Lukaschenko-Gegner versammelten sich in der belarussischen Hauptstadt Minsk - so viele wie nie seit der umstrittenen Wahl. Erstmals mobilisierte auch der Präsident seine Anhänger - mit Hilfe des Staatsapparats.
Der durch Massenproteste unter Druck stehende belarussische Präsident Alexander Lukaschenko hat erstmals nach der Wahl am vergangenen Wochenende vor seinen Anhängern gesprochen. Er rief sie auf, die Unabhängigkeit des Landes zu verteidigen. "Ich habe euch nicht hierher gerufen, um mich zu verteidigen. Vielmehr könnt ihr zum ersten Mal seit einem Vierteljahrhundert euer Land und dessen Unabhängigkeit verteidigen", sagte er bei einer regierungsfreundlichen Demonstration in der Hauptstadt Minsk.
Mit Buskolonnen in die Hauptstadt
Zugleich wandte er sich gegen Neuwahlen. Diese würden den Tod des Staates bedeuten, sagte Lukaschenko. Er warf Polen, der Ukraine, Litauen und Lettland vor, ihm Neuwahlen aufzwingen zu wollen. Die Kundgebung für den Präsidenten wurde offenbar vom Staatsapparat organisiert. Medien berichteten, in vielen Teilen des Landes seien Staatsbedienstete dazu gedrängt worden, an der Veranstaltung teilzunehmen. Auf Videos war am Vormittag zu sehen, wie Buskolonnen in Richtung der Hauptstadt fuhren.
Die Menschen auf dem Minsker Unabhängigkeitsplatz riefen "Für Lukaschenko", viele trugen T-Shirts, auf denen "Wir sind uns einig" stand. Das Innenministerium sprach von 65.000 Teilnehmenden, unabhängige Beobachter schätzten die Zahl deutlich nieriger ein. Zu der Kundgebung hatte eine Organisation aufgerufen, die den Präsidenten seit 2007 zum Beispiel bei Wahlkämpfen unterstützt. Es sollten alle Kräfte gebündelt werden, die den Staatskurs unterstützen, hieß es in dem Aufruf.
Der seit 26 Jahren mit harter Hand regierende Lukaschenko hatte sich bei seiner inzwischen sechsten Wahl mit gut 80 Prozent der Stimmen zum Sieger erklären lassen. Seine Gegner, die im ganzen Land demonstrieren, fragen seit Tagen, wo diese 80 Prozent seien.
Tausende Menschen versammelten sich auf dem Unabhängigkeitsplatz in Minsk. Staatsbedienstete sollen zur Teilnahme an der Kundgebung für den Präsidenten gedrängt worden sein.<br/>
100.000 Menschen auf Gegendemo
Während Lukaschenko redete, versammelten sich im Zentrum von Minsk auch Anhänger der Opposition zur größten Kundgebung der vergangenen Tage, um gegen den autoritären Präsidenten zu protestieren. Nachrichtenagenturen schreiben von mehr als 100.000 Teilnehmern. Bei ihrem "Marsch der Freiheit" riefen die Demonstranten Lukaschenko erneut zum Rücktritt auf.
Hunderte kamen zu Trauerfeier
In der Stadt Gomel nahmen Hunderte Menschen Abschied von einem jungen Mann, der bei den Protesten gegen Lukaschenko festgenommen wurde und später im Krankenhaus starb. Menschen legten Blumen nieder und entzündeten Kerzen. An Fotos des 25-Jährigen waren Luftballons angebracht. Viele hielten davor inne. Seine Mutter macht die Polizei für den Tod verantwortlich.
Der junge Mann, der eine Herzkrankheit gehabt habe, sei am Wahlsonntag auf dem Weg zu seiner Freundin festgenommen worden und in Polizeigewahrsam im Krankenhaus gestorben. Die Polizei bestätigte dies erst am Mittwoch und teilte mit, die Gerichtsmedizin müsse die Todesursache klären.
Putin sagt militärische Hilfe zu
Russlands Präsident Wladimir Putin sagte Lukaschenko militärische Hilfe zu. Auf Belarus werde Druck von außen ausgeübt, erklärte das Moskauer Präsidialamt nach einem erneuten Telefonat Putins mit Lukaschenko am Sonntag. Russland sei daher bereit, im Rahmen des mit dem Nachbarland bestehenden Militärabkommens zu helfen.
Lukaschenko selbst warf der NATO einen Truppenaufmarsch an seiner Westgrenze vor. Panzer und Flugzeuge stünden nur 15 Minuten von der Grenze entfernt, sagte er vor seinen Anhängern. Die NATO wies die Behauptung umgehend zurück. Es gebe keine Ansammlung in der Region, so Sprecherin Oana Lungescu. "Die multinationale Präsenz der NATO im östlichen Teil der Allianz ist keine Bedrohung für irgendein Land." Vielmehr sei sie defensiv, verhältnismäßig, friedenssichernd und solle Konflikte verhindern.
Lukaschenko ordnet Truppenverlegung an
Der als "letzter Diktator Europas" kritisierte Lukaschenko zeigt sich bisher weitgehend unbeeindruckt von den Protesten. Er lehnt einen Dialog mit der Opposition oder eine Vermittlung aus dem Ausland ab. Er hatte die Demonstranten als vom Ausland manipuliert und bezahlt sowie als Menschen mit krimineller Vergangenheit und als Arbeitslose bezeichnet.
Am Samstagabend ordnete er die Verlegung von Fallschirmjägern nach Grodno im Westen des Landes an. In der Region sei die Lage gespannt, sagte er bei einer vom Staatsfernsehen übertragenen Sitzung des Generalstabs. Lukaschenko wies zudem das Verteidigungs- und das Innenministerium sowie den Geheimdienst KGB an, keine "ungesetzlichen Aktionen" im Land zuzulassen. Konkret planten seine Gegner eine Menschenkette vom EU-Land Litauen durch Belarus in die Ukraine. Diese Solidaritätsaktion für die Proteste müsse verhindert werden.
Der Staat "Republik Belarus" ist landläufig als Weißrussland bekannt - doch diese Übersetzung trügt. Der Name "Belarus" ist eine Referenz auf die Westliche Rus, ein Teilgebiet des mittelalterlichen slawischen Großreichs der Kiewer Rus.
Historisch überholte Bezeichnungen wie "Weißruthenien" in der Zeit des Nationalsozialismus und "Belarussische SSR" während der Sowjetunion sind für die 9,4 Millionen Einwohner des seit 1991 unabhängigen Staates schmerzhaft und erinnern sie an die leidvolle Zeit der Fremdherrschaft.
Sie bezeichnen ihr Land meist als Belarus und sich selbst als Belarusen, weil sie damit ihre Eigenständigkeit - insbesondere vom Nachbarstaat Russland - betonen. Auf diplomatischer Ebene wird der Name "Belarus" im deutschsprachigen Raum schon lange verwendet, auch das Auswärtige Amt spricht von der "Republik Belarus". Zunehmend gehen auch deutsche Nachrichtenmedien dazu über - und nennen die Einwohner konsequenterweise "Belarusen", nicht "Belarussen".
Maas: Sanktionen sollen "einzelne Personen" treffen
Die EU hatte am Freitag wegen der Polizeigewalt in Belarus (Weißrussland) neue Sanktionen gegen Unterstützer von Lukaschenko auf den Weg gebracht. Nach den Worten von Bundesaußenminister Heiko Maas sollen damit gezielt einzelne Verantwortliche bestraft werden. "Es geht dabei nicht um Wirtschaftssanktionen, die vor allem die belarussische Bevölkerung treffen würden, sondern wir wollen als EU gezielt einzelne Personen bestrafen, die nachweislich an den Wahlmanipulationen und der Gewalt gegen Demonstranten beteiligt waren", sagte er der "Bild am Sonntag".
Derzeit werde eine Liste von Namen angefertigt, gegen die sich die Strafmaßnahmen richten sollen.