Proteste in Belarus EU beruft Sondergipfel ein
Die EU-Staatschefs wollen am Mittwoch per Video über die Lage in Belarus beraten. Es soll ein Zeichen der Solidarität an die Menschen sein, die gegen den umstrittenen Wahlsieg von Machthaber Lukaschenko demonstrieren.
Nach der umstrittenen Präsidentenwahl in Belarus und angesichts anhaltender Proteste gegen Staatschef Alexander Lukaschenko wird die EU am kommenden Mittwoch einen Sondergipfel zur Lage in der Ex-Sowjetrepublik abhalten. EU-Ratschef Charles Michel sagte, die Menschen in Belarus hätten das Recht, über ihre Zukunft zu entscheiden und ihre Führung frei zu wählen. Gewalt gegen die Demonstranten sei inakzeptabel.
Bei der Präsidentschaftswahl vor gut einer Woche hatte der amtierende belarussische Präsident nach offiziellen Angaben mit 80 Prozent der Stimmen gewonnen. An dem Ergebnis gibt es international jedoch erhebliche Zweifel. Die Opposition und das Ausland werfen den belarussischen Behörden Wahlbetrug vor.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen schrieb auf Twitter, sie freue sich auf eine "strategische Diskussion" der EU-Staats- und Regierungschefs. Aus EU-Kreisen hieß es, die Union wolle eine wichtige Nachricht der Solidarität an die Menschen in Belarus senden.
Steinmeier fordert von Lukaschenko Dialog
Die deutsche Bundesregierung verlangte von Minsk ebenfalls ein Ende der Gewalt. Zudem brauche es einen "nationalen Dialog" der Regierung mit der Opposition und Gesellschaft, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Ähnlich äußerte sich Bundespräsident Steinmeier: "Ich appelliere an Präsident Lukaschenko, den Weg des Gesprächs zu gehen. Nicht auf Gewalt zu setzen, sondern auf Dialog."
Auch Großbritannien erkennt Wahlergebnis nicht an
Bereits am Freitag hatten die EU-Außenminister wegen der Polizeigewalt und den Fälschungsvorwürfen neue Sanktionen gegen Unterstützer Lukaschenkos auf den Weg gebracht. Außerdem hatte der EU-Außenbauftragte Josep Borrell erklärt, die Gemeinschaft akzeptiere das Ergebnis der umstrittenen Präsidentenwahl nicht.
Dem schloss sich nun auch Großbritannien an. Außenminister Dominic Raab schrieb auf Twitter von "Betrug" und "schweren Mängeln" bei der Wahl. Seine Regierung erkenne das Ergebnis nicht an.
Freigelassene berichten von Misshandlungen
Seit der Wahl am vorvergangenen Wochenende kommt es in Belarus jeden Tag zu Massenprotesten. Am Sonntag waren bei den größten Demonstrationen bislang im ganzen Land nach Schätzungen von Aktivisten mehr als eine halbe Million Menschen auf den Beinen. Allein in Minsk waren es Hunderttausende. In den ersten Tagen waren die Sicherheitskräfte brutal gegen überwiegend friedliche Demonstranten vorgegangen. Es gab Tausende Festnahmen.
Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft in Minsk sind mittlerweile fast alle inhaftierten Demonstranten wieder frei. Das Innenministerium sprach am Nachmittag von 122 Menschen, die noch in den Gefängnissen des Landes säßen. Viele Freigelassene hatten von Misshandlungen berichtet. Bei Kundgebungen am Wochenende zeigten sie ihre von Blutergüssen gezeichneten Körper.
Historisch überholte Bezeichnungen wie "Weißruthenien" in der Zeit des Nationalsozialismus und "Belarussische SSR" während der Sowjetunion sind für die 9,4 Millionen Einwohner des seit 1991 unabhängigen Staates schmerzhaft und erinnern sie an die leidvolle Zeit der Fremdherrschaft.
Sie bezeichnen ihr Land meist als Belarus und sich selbst als Belarusen, weil sie damit ihre Eigenständigkeit - insbesondere vom Nachbarstaat Russland - betonen. Auf diplomatischer Ebene wird der Name "Belarus" im deutschsprachigen Raum schon lange verwendet, auch das Auswärtige Amt spricht von der "Republik Belarus". Zunehmend gehen auch deutsche Nachrichtenmedien dazu über - und nennen die Einwohner konsequenterweise "Belarusen", nicht "Belarussen".