Gewalt nach Belarus-Wahl EU sucht nach Antworten auf Lukaschenko
Während die heftigen Proteste gegen Präsident Lukaschenko in Belarus weitergehen, ringen die Nachbarländer und die EU um den richtigen Umgang mit dem autoritär regierenden Staatschef. Die Forderungen reichen von Dialog bis Sanktionen.
Angesichts der brutalen Polizeigewalt gegen Demonstranten in Belarus suchen die Nachbarländer und die EU nach angemessenen Reaktionen auf die eskalierende Lage. Litauen, Polen und Lettland boten sich als Vermittler an, mehrere EU-Mitgliedsländer sprachen sich für eine Verschärfung der Sanktionen gegen Belarus aus. Während die Bundesregierung eine "Repressionswelle" in dem osteuropäischen Land anprangerte, verlangte Ungarn von der EU, die Brücken nach Minsk nicht abreißen zu lassen. Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko lehnt einen Dialog bislang strikt ab.
Seit Sonntag kommt es wegen der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Präsidentenwahl in Belarus zu heftigen Protesten. Die Polizei geht brutal gegen die Demonstranten vor, bis zum Morgen wurden nach Angaben des Innenministeriums fast 7000 Menschen festgenommen. Allein in der vergangenen Nacht habe es etwa 700 Festnahmen gegeben. Ein Mensch starb bei den Protesten, ein weiterer kam nach seiner Festnahme aus bislang ungeklärter Ursache ums Leben. Es sind die größten Proteste, die die Ex-Sowjetrepublik je erlebt hat. Sie haben das Ziel, Lukaschenko aus dem Amt zu drängen.
Litauen schlägt belarussischen "Nationalrat" vor
Der litauische Präsident Gitanas Nauseda präsentierte einen Vermittlungsplan, um die Gewalt beenden zu können, wie die Präsidialkanzlei des baltischen EU-Landes mitteilte. Dieser sieht unter anderem die Einrichtung eines belarussischen "Nationalrats" mit Vertretern aus Regierung und Zivilgesellschaft vor sowie ein sofortiges Ende der Polizeigewalt. Polen und Lettland würden diesen Plan sowie die Einleitung eines internationalen Vermittlungsprozesses unterstützen, hieß es.
"Die engsten Nachbarn von Belarus, einschließlich Litauen, brauchen ein stabiles, demokratisches, unabhängiges und erfolgreiches Land in ihrer Nachbarschaft", sagte Nauseda. "Das ist unvereinbar mit den jüngsten Entwicklungen, die wir mit großer Sorge verfolgen."
Bundesregierung spricht von "Klima der Einschüchterung"
Lettlands Ministerpräsident Krisjanis Karins berief wegen der angespannten Lage im Nachbarland eine außerordentliche Kabinettssitzung ein. "Lettland unterstützt den Wunsch der belarussischen Gesellschaft, in einem freien und demokratischen Land zu leben", schrieb Karins auf Twitter. Auch der Auswärtige Ausschuss des lettischen Parlaments in Riga will sich mit der Situation in Belarus befassen. In Tschechien wiederum wurde der belarussische Botschafter einbestellt, um gegen die aus Sicht der tschechischen Regierung "undemokratischen Wahlen" in der Ex-Sowjetrepublik zu protestieren.
Die Bundesregierung prangerte eine "Repressionswelle" in Belarus an. Die Ausreise der Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja zeige, welches "Klima der Einschüchterung, der Angst, auch der Gewalt" im Land herrsche, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Tichanowskaja war nach der Wahl, bei der sich Lukaschenko mit 80,08 Prozent der Stimmen zum Sieger erklärt hatte, unter dem Druck der Behörden nach Litauen geflüchtet.
Orban pflegt ein gutes Verhältnis zu Lukaschenko
Das EU-Mitgliedsland Ungarn rief die Union dazu auf, die Beziehungen zu Belarus nicht abzubrechen. "Wir sind daran interessiert, dass in der EU dialogbasierte Entscheidungen getroffen werden, die den künftigen Ausbau von Beziehungen zwischen der EU und Belarus nicht unmöglich machen", schrieb der ungarische Außenminister Peter Szijjarto auf seiner Facebook-Seite.
Es war die erste offizielle Äußerung der rechtsnationalen Regierung in Budapest zu den Vorgängen in Belarus seit der umstrittenen Wahl und der blutigen Niederschlagung von Protesten. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban pflegt ein gutes Verhältnis zu Lukaschenko. Erst im Juni hatte Orban den belarussischen Präsidenten in Minsk besucht und dabei ein Ende der noch bestehenden EU-Sanktionen gegen Belarus gefordert.
EU könnte Sanktionen verschärfen
Die EU-Außenminister wollen an diesem Freitag bei einer außerordentlichen Videokonferenz über die Lage in der Ex-Sowjetrepublik beraten. Etliche Mitgliedsländer sprechen sich für eine Verschärfung der Sanktionen gegen Belarus aus. Ungarn könnte dies mit einem Veto verhindern, weil Strafmaßnahmen von allen EU-Mitgliedstaaten einstimmig mitgetragen werden müssen. Ungarns Außenminister Szijjarto legte sich in seinem Facebook-Posting diesbezüglich nicht fest. Er ging auch nicht darauf ein, ob Budapest das von Lukaschenko reklamierte Wahlergebnis anerkennt oder das brutale Vorgehen der belarussischen Polizei gegen Demonstranten hinnimmt.
Historisch überholte Bezeichnungen wie "Weißruthenien" in der Zeit des Nationalsozialismus und "Belarussische SSR" während der Sowjetunion sind für die 9,4 Millionen Einwohner des seit 1991 unabhängigen Staates schmerzhaft und erinnern sie an die leidvolle Zeit der Fremdherrschaft.
Sie bezeichnen ihr Land meist als Belarus und sich selbst als Belarusen, weil sie damit ihre Eigenständigkeit - insbesondere vom Nachbarstaat Russland - betonen. Auf diplomatischer Ebene wird der Name "Belarus" im deutschsprachigen Raum schon lange verwendet, auch das Auswärtige Amt spricht von der "Republik Belarus". Zunehmend gehen auch deutsche Nachrichtenmedien dazu über - und nennen die Einwohner konsequenterweise "Belarusen", nicht "Belarussen".