Trotz hoher Inzidenzwerte Belgien macht sich locker
Festivals, Konzerte und Fußballspiele mit Publikum - in Deutschland ist das noch Zukunftsmusik. Im Nachbarland Belgien soll das im Sommer wieder möglich sein. Statt Inzidenzwerten gelten dort andere Kriterien.
Zehntausende Menschen, die dicht an dicht stehen, tanzen, feiern. Ein Bild aus einer anderen Zeit, vom "Tomorrowland 2019". Raven in einer skurrilen Märchenland-Kulisse auf einem Acker nahe der belgischen Kleinstadt Boom.
Das "Tomorrowland" gilt als eines der bedeutendsten Dance-Festivals der Welt. Letztes Jahr musste es Corona-bedingt ausfallen, aber diesen Sommer soll wieder getanzt werden. Die belgische Regierung gibt den Veranstaltern - Stand jetzt - grünes Licht.
Man sei sehr froh zu hören, dass das "Tomorrowland" wohl stattfinden kann. Natürlich wolle man sich an Gesundheitsprotokolle halten, vor allem aber: endlich loslegen, sagt Debby Wilmsen, Pressesprecherin des Festivals. Wenn alles gut läuft, sollen 75.000 Besucher pro Festivaltag möglich sein. Allerdings mit Sicherheitskonzept - ganz unbeschwert wird das Feiern in diesem Jahr noch nicht werden.
Die Spielregeln erklärt Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke:
Wenn Sie auf so ein Festival wollen, dann müssen Sie nachweisen, dass Sie geimpft sind oder einen negativen PCR-Test gemacht haben.
Erstaunen in den Nachbarländern
Trotzdem reiben sich die Nachbarländer verwundert die Augen, wie schnell Belgien jetzt mit seinem Sommerplan startet. Jeden Monat sind neue Lockerungen geplant.
Die Gastronomie ist schon wieder geöffnet, seit dieser Woche auch innen. Auch Einkaufen und private Treffen sind bereits jetzt mit deutlich weniger Einschränkungen erlaubt - ohne jede Testpflicht, denn flächendeckende Schnelltests: in Belgien Fehlanzeige.
Mangel an Schnelltests
Schnelltests blieben hauptsächlich auf Schulen oder Jugendgruppen beschränkt, so Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke. Das hänge mit der Verfügbarkeit zusammen, aber auch mit der Verlässlichkeit. Er wolle nicht improvisieren, sondern schlüssige Strategien entwickeln.
Das hängt auch damit zusammen, dass das kleine Land beim Einkauf von Schnelltests europaweit nicht mithalten kann. Unter anderem das benachbarte Deutschland hat große Teile der Vorräte aufgekauft.
Also muss es ohne den wöchentlichen Abstrich klappen - und trotz hoher Inzidenzen. Die sinken zwar endlich, liegen aber mit rund 80 Fällen auf 100.000 Einwohner immer noch deutlich über den Werten anderer Länder.
Inzidenz nicht länger Gradmesser
Warum also macht Belgien jetzt so viel Tempo bei den Öffnungen? Weil die Inzidenz nicht länger als Gradmesser der Pandemie gilt. Stattdessen schaue man auf andere Faktoren, erklärt Gesundheitsminister Vandenbroucke den Sommerplan.
Die Zahl der Covid-Patienten auf der Intensivstation muss demnach unter 500 liegen und die Krankenhausaufnahmen müssen stabil zurückgehen.
Die Indikatoren sehen gut aus. Jede Woche überschlägt sich das nationale Statistikamt mit neuen Erfolgsmeldungen. Die Zahl der Covid-Patienten auf Intensivstationen sinkt rapide. Auch mit den Impfungen geht es gut voran.
Impfkampagne hilft
Die günstige Entwicklung gehe weiter, so der Virologe Steven van Gucht im Wochenreport des nationalen Krisenzentrums. Man liege nun bei 75 Krankenhausaufnahmen pro Woche - die Schwelle, die weitere Lockerungen möglich macht. Außerdem gebe es in allen Risikogruppen nun eine Impfquote von knapp 70 Prozent, die Impfkampagne helfe also.
Lockerungen steht also nichts mehr im Wege, findet Brüssel. Nicht jeder ist allerdings einverstanden. Die führenden Virologen des Landes betrachten die Öffnungsorgie mit Sorge - etwa Erika Vlieghe, die auch die Regierung berät. Wenn das Virus im August noch unterwegs sei und dann lasse man eine Masse von Leuten zum Feiern auf eine Weide, ohne Abstand und Masken, dann könne man nicht wissen, wie das ausgeht, meint sie.
Und nicht nur die Mediziner, sondern auch einige Belgier und Belgierinnen dürften ein mulmiges Gefühl bekommen, wenn ab Mitte August wieder diese Bilder zu sehen sind: Zehntausende Menschen, die draußen ausgelassen zusammen feiern und tanzen. Zumindest beim Dancefestival "Tomorrowland" heißt es aber: Man sei überzeugt, dass man die Märchenwelt in diesem Sommer zu einem sicheren Ort machen könne.