Abstimmung im Unterhaus Brexit-Abkommen droht erneutes Scheitern
"Verzweiflungstat", "letzte Chance" oder "Abrechnung": Vor der dritten Abstimmung zum Brexit-Abkommen stehen die Chancen für ein Ja offenbar schlecht. Auch wenn ein May-Widersacher seine Meinung änderte.
Am Tag des ursprünglich geplanten EU-Austritts steht im britischen Parlament erneut das umstrittene Brexit-Abkommen zur Abstimmung. Die Chancen für Premierministerin Theresa May stehen allerdings auch dieses Mal nicht gut. Britische Medien sprachen sogar von einem "Tag der Abrechnung".
"...dann stehen wir am 12. April am Abgrund"
Handelsminister Liam Fox warnte in einem BBC-Interview davor, dass die Wähler sich betrogen fühlen könnten, wenn der Vertrag durchfalle. Fox sieht sogar die "politischen Strukturen" des Landes in Gefahr. "Wenn wir die Abstimmung heute nicht gewinnen, dann stehen wir am 12. April am Abgrund", warnte er.
Es sei "die letzte Chance, die wir haben, für einen Brexit zu stimmen, so wie wir ihn verstehen", sagte Fox. "Ich habe wirklich Angst, dass wir niemals einen Brexit haben werden." Der Minister erinnerte die Parlamentarier an den Ausgang der Volksabstimmung, bei der 2016 eine knappe Mehrheit für den Brexit gestimmt hatte. Daran müssten sich die Abgeordneten halten. "Ich denke, alle Mitglieder des Parlaments müssen heute darüber nachdenken, wer die Herren und wer die Diener im demokratischen Prozess sind", sagte Fox.
Der britische Handelsminister Liam Fox sorgt sich wegen des Brexit-Streits um die politischen Strukturen des Landes.
Frist der EU läuft ab
Ursprünglich wollte sich Großbritannien am 29. März von der Europäischen Union trennen. Doch dieser Termin war nicht mehr einzuhalten. Ende dieser Sitzungswoche läuft eine von der EU gesetzte Frist ab, bis zu der in London zumindest der Brexit-Vertrag gebilligt sein muss. Fehlt die Zustimmung, droht zum 12. April ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU ohne Abkommen oder eine sehr lange Verschiebung des Brexits.
Zwar könnten einige Brexit-Hardliner angesichts des Zeitdrucks Mays Deal in letzter Minute doch noch stützen, aber das dürfte britischen Medien zufolge für die Annahme des Vertrags wahrscheinlich nicht reichen. May hatte sogar ihren Rücktritt angeboten, sollte das Abkommen im Parlament doch noch eine Mehrheit finden. So will sie ihre Kritiker in den eigenen Reihen bewegen, den Widerstand gegen ihre Vereinbarung aufzugeben.
"Zustimmung wäre Kapitulation"
Unterstützung bekam die Regierungschefin ausgerechnet von ihrem Widersacher Boris Johnson, dem Ambitionen auf ihr Amt nachgesagt werden. Der frühere Außenminister deutete seine Zustimmung für den Vertrag an. "Es ist sehr schmerzhaft, für diesen Deal zu stimmen", schrieb Johnson auf Twitter. Er setze aber nun darauf, dass man zusammenarbeite, um die Mängel daran zu beheben und den Brexit umzusetzen, für den die Briten gestimmt hätten.
Etliche andere konservative Abgeordnete haben aber bereits angekündigt, sie würden erneut gegen Mays Vorlage stimmen. Dieser Vertrag bedeute in letzter Konsequenz einen Verbleib in der EU, sagte der Abgeordnete Mark Francois dem Hörfunksender LBC. Eine Zustimmung käme einer "Kapitulation" gleich. Sein Parteifreund Bill Cash ist davon überzeugt, dass "genügend" seiner Kollegen im Parlament Mays Vereinbarung ablehnen werden.
Labour gegen "Brexit im Blindflug"
Auch die nordirische Partei DUP, auf deren zehn Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, will nicht für den Vertrag stimmen. DUP-Vize-Chef Nigel Dodds dämpfte in der BBC zugleich Sorgen, es könne zu einem harten Brexit kommen. Es bestehe nun die Möglichkeit eines Brexits, bei dem Großbritannien und die EU enger miteinander verbunden blieben.
Die größte Oppositionspartei Labour lehnt den Vertrag ebenfalls mehrheitlich ab: Sie bezeichnete das Vorgehen der Regierung als "Brexit im Blindflug". Der Wegfall der politischen Erklärung aus dem Antrag durch die May-Regierung sei "nicht Teil eines Plans, sondern eine Verzweiflungstat", sagte der Brexit-Sprecher der Labour-Partei, Keir Starmer. Ohne die Erklärung wüssten die Abgeordneten nicht, "wofür sie wirklich votieren".
Barnier warnt vor langem Aufschub
Selbst wenn die Abgeordneten dem Austrittsvertrag zustimmen sollten, könnte das Abkommen mit der EU noch nicht in Kraft treten. Nach dem britischen EU-Austrittsgesetz muss das Parlament beide Teile des Brexit-Deals absegnen. Dazu gehört auch die politische Erklärung über die künftigen Beziehungen, die dieses Mal nicht zur Abstimmung steht.
EU-Unterhändler Michel Barnier unterstrich dennoch die Bedeutung des britischen Parlamentsvotums. "Wichtiger Tag heute im Unterhaus", schrieb er auf Twitter. Werde der Austrittstrag gebilligt, sichere dies Großbritannien eine Verschiebung des EU-Austritts bis zum 22. Mai.
Barnier hatte Vertreter der 27 bleibenden EU-Staaten am Donnerstag drastisch die Konsequenzen der britischen Entscheidung beschrieben: Sollte das Austrittsabkommen wieder durchfallen, blieben nur noch die Optionen eines ungeregelten Brexits oder eines langen Aufschubs mit Teilnahme der Briten an der Europawahl im Mai.
Barnier sagte auch, dass die politische Erklärung noch kurzfristig geändert werden könnte, wenn Großbritannien etwa den Verbleib in der Zollunion wünsche. Die umstrittene Frage einer offenen Grenze auf der irischen Insel wäre dann viel leichter zu regeln. Er forderte von den britischen Abgeordneten allerdings Klarheit, wie sie sich die Beziehungen zur EU nach einem Austritt vorstellen. Die künftigen Handelsgespräche seien wichtiger als eine Zustimmung zum Austrittsabkommen, sagte Barnier.