Das Ziffernblatt von Big Ben ist durch unscharfe Luftballons von Brexit-Gegnern zu sehen.
Hintergrund

Abstimmung im Unterhaus Wer will was im Brexit-Streit?

Stand: 12.03.2019 00:31 Uhr

Heute stimmt das britische Parlament ein zweites Mal über das Brexit-Abkommen ab. Schon bevor May die neuen Verhandlungsergebnisse präsentierte, war die Lage im Unterhaus unübersichtlich. Ein Überblick.

Die britische Premierministerin Theresa May hofft, bei der Abstimmung im Unterhaus, doch noch eine Mehrheit für ihr mit der EU ausgehandeltes Brexit-Abkommen zu bekommen, doch das wird schwierig. Sie braucht 318 Stimmen, damit ihr Deal sicher ratifiziert wird. Weniger könnten auch reichen, solange eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen erzielt wird.

May wird vor der Abstimmung die Ergebnisse ihrer gestrigen Verhandlungen in Straßburg präsentieren, die ein "rechtlich bindendes Instrument" enthalten und vor allem die umstrittene "Backstop"-Regelung zur künftigen Grenze zwischen Irland und Nordirland betreffen. Wie diese Ergänzung des Brexit-Abkommens die Mehrheiten bei der Abstimmung beeinflusst, ist noch unklar. Schon vorher. Beim ersten Versuch scheiterte sie krachend: 432 Abgeordnete stimmten mit Nein, nur 202 mit Ja. Vor dieser neuen Abstimmung gibt es diese unterschiedlichen Lager:

Das vom UK Parliament zur Verfügung gestellte Foto zeigt Theresa May gestikulierend im Parlament.

Premierministerin May kann sicher mit den Stimmen von etwa 200 Tories rechnen.

200 May-Unterstützer

Tory-Loyalisten (dafür): Rund 150 Abgeordnete aus der konservativen Fraktion gelten als loyal. Viele haben neben ihrem Mandat Ämter in der Regierung inne und müssten sie abgeben, wenn sie sich gegen das Abkommen positionieren.

Brexit Delivery Group (dafür): Auch die sogenannte Brexit-Durchführungsgruppe von rund 50 Tory-Abgeordneten steht der Premierministerin grundsätzlich zur Seite. Einen EU-Austritt ohne Vertrag lehnen diese Parlamentarier aber strikt ab. Rücktrittsdrohungen aus der Brexit Delivery Group zwangen May, eine Abstimmung über eine Verschiebung des Brexits anzukündigen.

Einige Tories wollen No-Deal-Brexit

Konservative Brexit-Hardliner (dagegen): Rund 80 Mann stark ist die so genannte European Research Group um den exzentrischen, einflussreichen Abgeordneten Jacob Rees-Mogg. Dazu kommen rund 20 weitere unabhängige konservative EU-Gegner. Wie viele Parlamentarier aus dieser Gruppe auf jeden Fall gegen den Deal stimmen werden, ist unklar. May müsste aber den Großteil auf ihre Seite ziehen, um eine Chance zu haben. Ein harter Kern von 20 Tories scheint einen No-Deal-Brexit unter allen Umständen herbeiführen zu wollen.

Jacob Rees-Mogg

Der einflussreiche Jacob Rees-Mogg führt die konservativen Brexit-Hardliner an.

EU-freundliche Tories (halb-halb): Eine Gruppe von rund zehn Abgeordneten um den ehemaligen Generalstaatsanwalt Dominic Grieve kämpft für eine möglichst enge Anbindung an die EU oder gar eine Abkehr vom EU-Austritt. Einige in dieser Gruppe dürften auf eine Verschiebung des Brexits hoffen und gegen Mays Deal stimmen.

Labour-Chef spekuliert auf Neuwahl

Labour-Loyalisten (dagegen): Labour-Chef Jeremy Corbyn spekuliert auf eine Neuwahl, sollte das Brexit-Abkommen scheitern. Rund 170 Abgeordnete dürften seinem Aufruf folgen und gegen den Deal stimmen.

EU-freundliche Labour-Hinterbänkler (dagegen): Auf den Hinterbänken bei Labour ist eine starke Bewegung entstanden, die einen Brexit ohne Abkommen unbedingt verhindern will und teilweise ein neues Referendum fordert. An der Spitze dieser etwa 50-köpfigen Gruppe steht Yvette Cooper, die mehrmals versucht hat, May mit ihren ausgeklügelten Änderungsanträgen die Kontrolle über den Brexit-Prozess zu entreißen.

Jeremy Corbyn

Labour-Chef Jeremy Corbyn spekuliert auf eine Neuwahl und weiß etwa 170 Abgeordnete hinter sich.

25 Oppositionelle könnten May unterstützen

Die unabhängige Gruppe (dagegen): Acht ehemalige Labour-Abgeordnete und drei Ex-Konservative bilden diese Gruppe, die sich für ein zweites Referendum stark macht. Angeführt werden sie von dem charismatischen, ehemaligen Labour-Parlamentarier Chuka Umunna. Die Angst vor weiteren Austritten hat Labour-Chef Jeremy Corbyn dazu gebracht, sich hinter die Forderung nach einer zweiten Volksabstimmung zu stellen, wenn auch nur sehr zögerlich und mit Bedingungen verknüpft.

Labour-Rebellen (dafür): Bis zu 25 Labour-Abgeordnete könnten versucht sein, für Mays Brexit-Abkommen zu stimmen. Entweder, weil sie selbst vom EU-Ausstieg überzeugt sind, oder weil sie wie die Abgeordnete Caroline Flint in ihren Wahlkreisen eine große Pro-Brexit-Wählerschaft haben. May versucht, diese Gruppe mit Geldversprechen für deren Wahlbezirke und Garantien für Arbeitnehmerrechte zu locken.

May umgarnt nordirische Protestanten

DUP (dagegen): Die zehn Abgeordneten der nordirischen Protestantenpartei sind der Schlüssel für einen Erfolg Mays. Stimmt die DUP dem Deal zu, werden sich viele Brexit-Hardliner auch anschließen, glauben Beobachter. Doch die DUP will keinerlei Sonderstatus für Nordirland akzeptieren, wie er im Brexit-Abkommen zumindest übergangsweise vorgesehen ist. May ist seit der vorgezogenen Neuwahl 2017 auf die Stimmen der DUP angewiesen. Fraglich ist, ob sich die Nordiren am Ende doch mit Geldversprechen für ihre wirtschaftlich abgehängte Provinz kaufen lassen.

Weitere Opposition (dagegen): Die Schottische Nationalpartei (SNP), die Liberalen, Grüne, die Waliser-Partei Plaid Cymru - die kleineren Oppositionsparteien haben gemeinsam rund 50 Abgeordnete. SNP-Fraktionschef Ian Blackford gehört zu den entschiedensten Kritikern des Abkommens. Die meisten haben sich klar gegen den Brexit positioniert und fordern ein zweites Referendum.

Quelle: dpa

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 28. Februar 2019 um 05:21 Uhr, 02. März 2019 um 13:11 Uhr, 08. März 2019 um 09:12 Uhr und am 11. März 2019 um 05:44 Uhr.