Nordirland und der Brexit Bangen um das Geld aus Brüssel
Die künftige Grenzregelung auf der Insel ist nur eine der Sorgen, die die Nordiren mit dem Brexit verbinden. Viele fürchten auch den Wegfall der Subventionen und den Verlust von Arbeitsplätzen.
So klein wie Nordirland auch ist mit seinen knapp 1,9 Millionen Einwohnern - im Brexit-Streit spielt dieser Landesteil eine ganz entscheidende Rolle. Und im Unterhaus verschafft er sich entsprechend Gehör. Noch in dieser Woche verlangte der Abgeordnete Sammy Wilson von der Democratic Unionist Party (DUP) im Unterhaus, dass Nordirland die EU "unter den gleichen Bedingungen" wie die anderen Landesteile verlässt - "da wir Teil des Vereinigten Königreichs sind".
Grundsätzlich will die DUP den Brexit, aber eine Zollgrenze in der Irischen See, also zwischen Großbritannien und Nordirland, hält sie für inakzeptabel. Die würde es allerdings geben, wenn es der britischen Regierung in einer Übergangsphase nach dem Brexit nicht gelingt, ein neues Handelsabkommen mit der EU abzuschließen.
Es herrscht daher große Unzufriedenheit mit dem Deal von Boris Johnson. Dieser verhindere zwar eine reguläre Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland. Aber, so Wilson: "Er hat eine Zoll- und Wirtschaftsgrenze errichtet zwischen dem Land, zu dem wir gehören und der Wirtschaft, von der wir abhängig sind."
Militante Nordiren feiern noch heute den bewaffneten Kampf gegen die Vereinigung Irlands - auch auf diesem Wandgemälde in Belfast.
EU-Regeln auch nach Austritt
Nach dem aktuellen Entwurf für das EU-Austrittsabkommen würden in Nordirland de facto weiterhin die EU-Regeln gelten. Damit braucht es zwar keine Warenkontrollen und Zolldeklarationen an der Grenze zu Irland, aber dafür zwischen Nordirland und Großbritannien. Für nordirische Unternehmen bringt das einen höheren Verwaltungsaufwand und auch Kosten mit sich, was besonders kleineren Unternehmen zu schaffen machen könnte.
Die Bürger auf der Straße in Belfast treiben daneben noch ganz andere Sorgen um. Steven etwa, ein Mann mittleren Alters, erwartet schwierige Zeiten, weil Fördergelder wegfallen werden. Besonders die Landwirtschaft in Nordirland ist von den EU-Subventionen abhängig, und es ist gerade die Landwirtschaft, die im ländlichen Raum Arbeitsplätze schafft. Steven befürchtet eine Negativspirale: weniger Geld, weniger Arbeitsplätze.
Das sind die beiden großen Befürchtungen in Nordirland: dass der Brexit der Wirtschaft schaden wird und dass er zu neuen Konflikten führen wird zwischen den Unionisten, die sich als Briten fühlen und unbedingt Teil des Vereinigten Königreichs bleiben wollen und den Republikanern, die sich als Iren verstehen.
Zerbrechliches Gefüge
Auch Patricia King, die Generalsekretärin des irischen Gewerkschaftsverbands, der Beschäftigte auf der gesamten irischen Insel vertritt, rechnet mit negativen Folgen für Nordirland, wenn der Brexit kommt. Sie warnt: "Wenn Leute ihren Job und ihr Einkommen verlieren, dann könnte das gesamte gesellschaftliche Gefüge zusammenbrechen." Beschäftigung sei "wesentlich, um die soziale Einheit aufrechtzuerhalten." Alles, was das gefährde, sei negativ.
Erleichterung herrscht zumindest darüber, dass es auch künftig keine Kontrollen an der - derzeit unsichtbaren - Grenze zwischen Nordirland und Irland geben soll. Denn für die Wirtschaft ist die offene Grenze von zentraler Bedeutung. Pro Tag wird sie rund 14.000 Mal von gewerblichen Fahrzeugen überquert. In vielen Bereichen, gerade auch in der Landwirtschaft, funktioniert die Insel wie ein einheitlicher Markt, und viele Güter werden bis zur Fertigstellung zigmal von Nord nach Süd und Süd nach Nord gefahren. Das immerhin kann wohl bleiben wie es ist.