Verhandlung vor Gerichtshof für Menschenrechte Diskriminiert das Burka-Verbot Frauen?
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat über das Tragen der Burka verhandelt. Frankreich hatte den Vollschleier als "Zeichen der Unterwerfung der Frau" verboten. Die Klägerin fühlt sich dadurch diskriminiert.
Im Jahr 2011 beschlossen die französischen Gesetzgebungskammern ein Burka-Verbot: Mit 150 Euro Bußgeld und Nachsitzen in Staatsbürgerkunde müssen die derzeit rund 3000 Burka-Trägerinnen in Frankreich rechnen, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigen. Und wenn Männer Frauen zur Burka zwingen, drohen ihnen Gefängnisstrafe und 30.000 Euro Geldbuße. Der französische Gesetzgeber will so - wie es Ex-Präsident Nicolas Sarkozy ausdrückte - das "Zeichen der Unterwerfung der Frau" aus dem Straßenbild verbannen.
Dagegen klagt eine 23-jährige Frau. Sie betrachtet das Verbot als menschenunwürdige Behandlung. Ihr Privat- und Familienleben sei damit fremdbestimmt. Daneben sieht sie ihr Recht verletzt, ihren religiösen Vorstellungen zu folgen. Das sei eine unzulässige Diskriminierung. Bislang hatte sich der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg noch nicht mit einem so weitreichenden Eingriff in Bekleidungssitten befasst.
Frankreich will westliche Lebensart schützen
Der französische Gesetzgeber will mit seinen Vorschriften westliche Lebensart schützen. Petra Follmar-Otto vom deutschen Menschenrechtsinstitut weist aber auf eine unbedachte Folge des Burka-Verbots hin. "Letztendlich liegt doch die Befürchtung sehr nahe, dass durch das Verbot des Tragens im öffentlichen Raum eher diese Frauen hinausgedrängt werden - eben genau aus dem öffentlichen Raum und damit aus der gesellschaftlichen Teilhabe", sagt sie.
Der Ganzkörperschleier, der auch das Gesicht bedeckt, ist die strengste Form der Verhüllung des weiblichen Körpers im Islam. Die unterschiedlichen Formen werden vor allem auf der arabischen Halbinsel und in Afghanistan getragen.
Die Burka ist ein weites Gewand, das über den Kopf gezogen wird und die Frau bis zu den Zehenspitzen komplett verhüllt. Ihre Augen sind hinter einem feinmaschigen Gitter versteckt.
Der arabische Nikab ist ein Gesichtsschleier, der zusätzlich zu einem langen Gewand plus Kopftuch getragen wird. Er ist meist schwarz und lässt nur einen kleinen Sehschlitz frei.
Entscheidung in Großer Kammer
Der Menschenrechtsgerichtshof nimmt den Fall so wichtig, dass er die 17-köpfige Große Kammer eingeschaltet hat. Schließlich geht es um die heiklen Grenzen der Religionsfreiheit sektiererischer Gruppen, die andererseits eingebunden werden sollen in die Zivilgesellschaft.
Die Gegner des Burka-Verbots weisen darauf hin, dass nicht nur die französische Polizei Kontrollen vornimmt, sondern neuerdings Burka-Trägerinnen in Frankreich auf offener Straße von Passanten immer häufiger attackiert werden. Und die Leidtragenden seien alle fünf Millionen muslimischen Franzosen, die zum allergrößten Teil mit dem Schleier nichts am Hut haben.
Verbot kann Menschenrechte verletzen
Die Sorge um die Selbstbestimmung der Frau hält die Menschenrechtsspezialistin Follmar-Otto für berechtigt. Sie weist aber darauf hin, dass "auch ein so weitreichendes Verbot bestimmter Verschleierungsformen im öffentlichen Raum in westeuropäischen Staaten wieder zur Verletzung von Menschenrechten von Frauen beiträgt, nämlich derjenigen Frauen, die diesen Schleier aus religiöser Überzeugung tragen". Damit werde deren Religionsfreiheit und auch Recht auf Privatleben verletzt.
Das häufig auch in Deutschland gehörte Argument "Warum machen wir uns Gedanken über die Toleranz gegenüber Burka-Trägerinnen, wenn Christen in einigen muslimischen Ländern um ihre Existenz bangen", hält Follmar-Otto für zu kurz gedacht. Denn das Ziel müsse die universelle Verwirklichung der Menschenrechte sein. Konkret nennt sie dabei den Grundsatz der Religionsfreiheit, "des individuellen Rechts nach den eigenen religiösen Überzeugungen zu leben" sowie des Rechts der Gleichberechtigung der Geschlechter. "Das gilt universell und da kann man nicht sozusagen Menschenrechtsverletzung in einigen Staaten aufwiegen durch Rechtsverletzungen in den europäischen Staaten", so Follmar-Otto.
Das Grundsatzurteil wird in Straßburg voraussichtlich im Frühjahr gesprochen werden.